Elfmeterschießen im Kopf: Wie unser Gehirn flexibel entscheidet
Elferschützen entscheiden ganz flexibel und intuitiv, wohin sie schießen. Was dabei im Gehirn passiert, haben Neurowissenschaftler herausgefunden.
Ein Buch von Peter Handke hat den Titel: „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“. Eigentlich ist es jedoch eher umgekehrt, denn der Schütze hat etwas zu verlieren, während der Keeper nur zum Helden werden kann, wenn er den Ball abwehrt. So oder so: Ein Strafstoß im Fußball ist ein entscheidender Moment. Die Schützin oder der Schütze muss in Sekundenbruchteilen entscheiden: Ins freie Eck zielen oder hoffen, dass der Torwart in die falsche Richtung springt? Also ab durch die Mitte.
Beide Entscheidungen beruhen auf derselben Wahrnehmung – doch das Gehirn wählt flexibel die passende Handlung. Eine Studie des Deutschen Primatenzentrums (DPZ) zeigt, wie diese Anpassungsfähigkeit funktioniert. Die Erkenntnisse helfen zu verstehen, warum einige Entscheidungen uns leichtfallen, während andere unser Gehirn stärker fordern.
Inhaltsverzeichnis
Gleiche Wahrnehmung, unterschiedliche Entscheidungen
Unsere Umwelt liefert ständig sensorische Informationen. Doch wie wir darauf reagieren, hängt vom Kontext ab. Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftler des DPZ untersuchten, wie das Gehirn zwischen bekannten und neuen Situationen unterscheidet und entsprechend flexibel reagiert.
Dabei stellten sie fest: In vertrauten Situationen greift das Gehirn auf vorhandene neuronale Muster zurück. In neuen Kontexten hingegen entstehen neue Verknüpfungen, um eine angemessene Handlung zu ermöglichen.
Experimente mit Rhesusaffen
Um die Mechanismen der Entscheidungsfindung besser zu verstehen, trainierten die Forschenden Rhesusaffen auf eine spezielle Aufgabe. Die Affen mussten Armbewegungen planen und dabei auf verschiedene visuelle Reize reagieren.
- In einem ersten Szenario folgten sie einer bekannten Regel: Sie entschieden, ob sie auf ein sichtbares Ziel („Torwart“) oder auf die gegenüberliegende Seite („freies Eck“) zeigen.
- In einem zweiten Szenario mussten sie sich an eine veränderte Umgebung anpassen. Die Aufgabe war ähnlich, doch die visuelle Wahrnehmung war gespiegelt. Dies erforderte eine andere Herangehensweise an die Bewegungsauswahl.
Zwei Wege zur flexiblen Anpassung
Die Untersuchung ergab: Das Gehirn arbeitet je nach Kontext unterschiedlich. In bekannten Situationen nutzt es bereits existierende neuronale Netzwerke. Bewegungen werden durch kognitive Kontrolle gesteuert, ohne dass tiefgreifende Änderungen in der Struktur der Nervenzellen nötig sind. Anders verhält es sich, wenn sich die Umweltbedingungen ändern. Hier bildet das Gehirn neue neuronale Muster, um die passende Reaktion zu finden.
„Die flexible Verknüpfung verschiedener Verhaltensweisen mit einer bestimmten Situation ist eine Kernkompetenz unseres Gehirns“, erklärt Alexander Gail, Leiter der Forschungsgruppe Sensomotorik am DPZ. „Manchmal erfordert dies eine komplexe Umstrukturierung neuronaler Schaltkreise, aber oft reicht auch eine sogenannte kognitive Kontrolle aus, bei der – wie unsere neuen Erkenntnisse nahelegen – bereits bekannte neuronale Muster wiederverwendet werden.“
Bedeutung für den Alltag und die Wissenschaft
Diese Erkenntnisse zeigen, wie unser Gehirn auf Veränderungen reagiert – sei es in sozialen Interaktionen oder bei neuen motorischen Herausforderungen. Die Fähigkeit, sich schnell an veränderte Bedingungen anzupassen, ist entscheidend für das tägliche Leben. Sie beeinflusst nicht nur sportliche Leistungen, sondern auch unsere Fähigkeit, neue Fähigkeiten zu erlernen oder in ungewohnten Situationen zurechtzukommen.
Die Forschung am DPZ hilft zu verstehen, warum manche Anpassungen mühelos gelingen, während andere umfangreiche Umstrukturierungen im Gehirn erfordern. In Zukunft könnten diese Erkenntnisse dabei helfen, gezielte Trainingsmethoden zu entwickeln – sowohl für den Sport als auch für die Rehabilitation nach neurologischen Erkrankungen.