Erste Handprothese mit sensiblem Tastsinn
Schwedische Wissenschaftler haben eine Patientin mit einer neu entwickelten Prothese ausgestattet: Sie lässt dank implantierter Elektroden eine feinere Motorik zu und ermöglicht echten Tastsinn.
Auf dem Bildschirm ist eine Hand zu sehen, die sich erst dreht und dann vorsichtig öffnet und schließt, gesteuert von den Impulsen der Patientin. Sie ist nur über zwei Kabel mit dem Rechner verbunden. Was nach Science Fiction aussieht, könnte Menschen nach einer Handamputation ein großes Stück Lebensqualität zurückgeben. Denn die Computersimulation ist nur eine Übergangsphase, bis die Folgen der Operation verheilt sind. Im Anschluss wird die Patientin mit der gleichen Leichtigkeit ihre Prothese steuern können. Davon sind ihre Ärzte überzeugt. Umgekehrt sollen ihr die künstlichen Finger durch implantierte Elektroden einen sensiblen Tastsinn zurückgeben. Entwickelt hat die Technik ein Team des schwedischen Unternehmens Integrum AB und der Chalmers University of Technology. Die Wissenschaftler sprechen von einem Durchbruch für die Prothetik.
16 Elektroden wurden in Nerven und Muskeln implantiert
Es ist keine neue Erfindung, Elektroden in der Prothetik einzusetzen, damit sie Bewegungsimpulse weitergeben, aber bei herkömmlichen Prothesen werden sie über der Haut angebracht und empfangen Steuersignale von den darunterliegenden Muskeln. Entsprechend begrenzt ist die Qualität der Signale. Sie ermöglichen zwar grobe Bewegungen wie das Öffnen und Schließen der Hand, die Kraft lässt sich auf diese Weise jedoch schlecht dosieren. Außerdem wird keine Empfindung zurückgespielt. Die Patienten spüren also nicht, ob sie einen Gegenstand berühren, geschweige denn, wie fest sie zupacken. Sie müssen sich auf das Sehen verlassen, um zu entscheiden, ob der Kraftaufwand ausreicht, wenn sie ein Objekt anheben oder tragen möchten. Dementsprechend ist es beispielsweise nicht möglich, vorsichtig mit weichen Materialen umzugehen oder feinmotorische Bewegungen auszuführen.
Das Team um Max Ortiz Catalan ist daher einen anderen Weg gegangen. Die Wissenschaftler setzten Titanimplantate in die beiden Unterarmknochen ein. Sie sind mit insgesamt 16 Elektroden verbunden, die Reize der Nerven und der verbliebenen Muskeln des Stumpfes weiterleiten. Durch das Implantieren von Elektroden in die Nerven, die früher mit den inzwischen verlorenen biologischen Sensoren der Hand verbunden waren, ahmen die Forscher die natürliche Reizweiterleitung nach – und die funktioniert in beide Richtungen. Informationen, die von den Fingern der Prothese aufgenommen werden, stimulieren die Nerven dementsprechend ähnlich wie bei einer biologisch intakten Hand. Dies soll dazu führen, dass die Patientin Empfindungen bewusst wahrnimmt, also faktisch Berührungen der neuen Handprothese spüren kann.
Reha ist nötig, um die Handprothese steuern zu können
Den Forschern ist dabei besonders wichtig, dass sie eine alltagstaugliche Prothese geschaffen haben, die den Betroffenen Lebensqualität zurückgibt – die Technologie bleibt nicht auf ein Forschungslabor beschränkt. Ähnliche Entwicklungen gibt es übrigens bereits für Menschen, die oberhalb des Ellenbogens amputiert wurden, wenn auch nicht mit der gleichen Empfindsamkeit der Prothese. Der Bereich unterhalb des Ellenbogens stellte die Experten jedoch vor eine größere Herausforderung, da es hier nicht einen großen, sondern zwei kleinere Knochen gibt, was die Ansprüche ans Implantatsystem erhöht. Der komplexere Körperbau in diesem Bereich hat aber auch Vorteile. Er betrifft nämlich gleichermaßen die Muskulatur, was dazu führt, dass die Prothese im Endeffekt geschickter gesteuert werden kann.
Für die frisch operierte Patientin ist der Weg allerdings noch nicht beendet. Der Körper baut nicht benötigte Knochen und Muskeln im Laufe der Zeit nämlich ab. Für sie steht jetzt also zunächst eine umfangreiche Reha an, um wieder genug Kraft im Unterarm zu erlangen. Außerdem muss sie üben, die Prothese zu kontrollieren. Bisher verläuft laut der behandelnden Ärzte jedoch alles nach Plan – zwei weitere Patienten in Italien und Schweden werden bereits auf eine Operation vorbereitet.
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