Nanotechnologie 03.05.2019, 07:00 Uhr

Fasern aus Peptiden verbessern die Wundheilung

Durchtrennte Nervenbahnen werden bislang chirurgisch behandelt. Forscher des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung Mainz und der Universität Ulm zeigen, dass Nanofasern die Selbstheilung von Neuronen fördern.

Nervenzellen (grün) auf einem Peptidnetzwerk (blau)

Nervenzellen von Mäusen (grün) wachsen auf einem stabilen Bionetzwerk aus Peptiden (blau).

Foto: Max-Planck-Institut für Polymerforschung

Unfälle im Straßenverkehr oder beim Sport führen mitunter zur Zerstörung von Nervenbahnen. In Deutschland leben rund 100.000 Menschen mit einer Querschnittlähmung. Pro Jahr kommen weitere 1.800 Betroffene hinzu. Nicht immer gelingen medizinische Interventionen. Ärzte versuchen zwar, durchtrennte Nervenenden miteinander zu vernähen. Gute Chancen bestehen, falls Nervenbahnen noch teilweise verbunden sind oder falls die Lücke nicht allzu groß ist. In diesen Fällen repariert der Körper neuronale Defekte und schließt Lücken aus eigener Kraft. Bei stärkeren Läsionen stehen die Chancen schlecht.

Jetzt berichten Wissenschaftler, dass Flüssigkeiten mit sogenannten Nanofasern die Regeneration fördern. Ihre Ergebnisse gehen auf Tierexperimente zurück und müssen im nächsten Schritt bei Menschen evaluiert werden.

Flüssigkeit mit Nanofasern auf Peptidbasis

Ulmer und Mainzer Forscher hatten die Idee, an der verletzten Region ein unterstützendes Netzwerk aufzubauen, damit beschädigte Nervenbahnen leichter zusammenwachsen. Als Material bieten sich wasserlösliche Peptide an, sprich Verbindungen aus einzelnen Aminosäuren. Diese bestehen aus maximal 100 Bausteinen und sind ungiftig. In Lösung entstehen aus Molekülsträngen Nanofasern mit einer Dicke von einigen milliardstel Metern. Diese Strukturen bilden zwei- oder dreidimensionale Netzwerke aus – als Gerüst für wachsende Nervenzellen bei der Regeneration.

Mit diesen theoretischen Überlegungen ging es ins Labor. Ein potenziell geeignetes Peptid sollte gut mit Neuronen in Wechselwirkung treten, aber auch biokompatibel und abbaubar sein. An dieser Stelle mussten Biochemiker aus unzähligen Kombinationsmöglichkeiten einzelner Aminosäuren die richtige Abfolge, sprich Sequenz, identifizieren. Insgesamt gibt es bei Säugetieren 20 unterschiedliche Aminosäuren. Jeder dieser Bausteine kann in Peptiden mehrfach vorkommen. Das schafft gewaltige Möglichkeiten zur Kombination. Etliche Nanofasern wurden hergestellt und anschließend in Zellkulturen getestet. Ein computergestützter Algorithmus wertete diese Daten aus. Dabei fanden Wissenschaftler strukturelle, wiederkehrende Merkmale, die auf eine gute Eignung hindeuteten. Schließlich synthetisierten sie Peptide mit der optimalen Abfolge an Aminosäuren.

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Regeneration von Nervenbahnen im Tierexperiment

Nach weiteren Tests mit isolierten Nervenzellen folgten Tierexperimente. Chirurgen durchtrennten bei gesunden Mäusen einen Gesichtsnerv, der Muskeln von Schnurrhaaren steuert. Manche Tiere erhielten das neue Biomaterial als Injektion zwischen unterbrochene Neuronen. Eine Kontrollgruppe blieb ohne Behandlung, um zu sehen, wie Nervenbahnen unter normalen Bedingungen heilen. Alle Nager wurden per Video beobachtet, um zu sehen, ob sich die Schnurrhaare bewegen: eine vergleichsweise simple Möglichkeit, um Unterschiede zu erkennen. Tatsächlich kam es in der Gruppe mit Nanofasern zur schnelleren Heilung.

„Unser Bionetzwerk kann man sich ähnlich wie ein Rankgitter für Tomatenpflanzen vorstellen“, so die Interpretation von Christopher Synatschke. Er arbeitet am Max-Planck-Instituts für Polymerforschung. „Wir haben – übertragen auf Tomatenpflanzen – ein Gitter ausgewählt, an dem die Pflanze besonders gut haften kann. In einem miniaturisierten Maßstab hilft unser Material den Nervenzellen, die Kluft zwischen zwei Nervenenden zu überbrücken.“

Neue Therapie für Multiple Sklerose?

Ob sich ihre Ergebnisse von der Maus auf den Menschen übertragen lassen, ist noch unbekannt. Tiermodelle gleichen uns in vielen, jedoch nicht in allen Eigenschaften. Deshalb ist die Zeit jetzt reif für neue Experimente. In dem Zusammenhang planen Synatschke und Kollegen, weitere Hypothesen zu prüfen. Sie vermuten, dass körpereigene, wachstumsfördernde Proteine durch die synthetischen Netzwerke vielleicht länger in Wunden bleiben als bei normalen Heilungsvorgängen. Es liegt nahe, Nanofasern selbst mit Wachstumsfaktoren auszustatten.

Damit nicht genug: In ihren Experimenten arbeiten die Wissenschaftler nur mit peripheren Nervensträngen. „Die neu entdeckten Peptide unterstützen auch das Wachstum von Neuronen im zentralen Nervensystem“, schreiben sie in ihrer Veröffentlichung. Weitere Einsatzmöglichkeiten sind denkbar: Bei multipler Sklerose (MS) zerstört das körpereigene Immunsystem Isolationsschichten von Nervenfasern. MS ist nach Epilepsie das zweithäufigste neurologische Leiden. Statistiken der Krankenkassen zufolge sollen deutschlandweit mindestens 200.000 Menschen betroffen sein. Auch junge Erwachsene erkranken. Derzeit kann das Fortschreiten nur verzögert werden, MS ist aber nicht heilbar.

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Ein Beitrag von:

  • Michael van den Heuvel

    Michael van den Heuvel hat Chemie studiert. Unter anderem arbeitet er für Medscape, DocCheck, für die Universität München und für pharmazeutische Fachmagazine. Seit 2017 ist er selbstständiger Journalist und Gesellschafter von Content Qualitäten. Seine Themen: Chemie/physikalische Chemie, Energie, Umwelt, KI, Medizin/Medizintechnik.

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