Gehirnströme messen: Geschichte des EEG und seine Möglichkeiten
Vor etwa 100 Jahren wurden die Gehirnströme erstmals mit dem EEG gemessen. Seitdem hat sich viel getan, zumal sich dank KI ganz neue Möglichkeiten auftun. Wir werfen einen Blick zurück auf die Geschichte des EEG.
Am 6. Juli 1924 zeichnete der Jenaer Psychiater Hans Berger erstmals die elektrische Aktivität des menschlichen Gehirns auf und legte damit den Grundstein für die moderne Elektroenzephalografie (EEG). Diese Methode hat unser Verständnis des Gehirns revolutioniert und bietet heute vielfältige Anwendungsmöglichkeiten, von der Diagnose neurologischer Erkrankungen bis hin zu innovativen Ansätzen in der Hirnforschung.
Inhaltsverzeichnis
Wie funktioniert das EEG?
Viele Körperorgane erzeugen elektrische Signale, die mit geeigneten Methoden gemessen werden können. Ein bekanntes Beispiel ist die Elektrokardiografie (EKG), die die elektrischen Aktivitäten des Herzens erfasst. Ähnlich funktioniert die EEG, bei der Elektroden die elektrischen Ströme der Nervenzellen im Gehirn registrieren.
Ein typischer EEG-Aufbau wirkt für den Laien oft befremdlich: Viele kleine Metallplättchen, sogenannte Elektroden, werden auf der Kopfhaut befestigt und mit einem Computer verbunden. Diese Elektroden messen die elektrische Aktivität des Gehirns und zeichnen sie als wellenartige Kurven auf einem Monitor auf. Diese Kurvenmuster geben Aufschluss über den Zustand des Gehirns und können aktiv beeinflusst werden, zum Beispiel durch das Schließen der Augen.
Anwendungsbereiche und Diagnosemöglichkeiten
Das EEG hat sich als vielseitiges Diagnoseinstrument etabliert. Besonders häufig wird es bei Verdacht auf neurologische Erkrankungen wie Epilepsie oder Hirnschädigungen eingesetzt. Während einer Operation kann das EEG helfen, die Narkose zu überwachen, und auf Intensivstationen oder in Schlaflaboren gibt es Auskunft über die Hirnfunktion.
Epilepsie ist ein klassisches Beispiel für die Anwendung des EEG. Nach einem Anfall zeigt das EEG charakteristische Muster, die auf die Erkrankung hinweisen. Sollte eine medikamentöse Behandlung nicht anschlagen, kann das EEG helfen, die betroffenen Gehirnregionen zu lokalisieren und diese gegebenenfalls chirurgisch zu entfernen.
Durchführung einer EEG-Untersuchung
Für eine EEG-Untersuchung werden in der Regel 21 Elektroden verwendet, die mit einem Kontaktgel bestrichen und auf der Kopfhaut befestigt werden. Eine Rasur ist nicht notwendig, aber die Haare sollten gewaschen und frei von Stylingprodukten sein.
Während der Messung soll der Patient möglichst entspannt und ruhig liegen oder sitzen. Eine medizinische Fachkraft gibt Anweisungen, wie beispielsweise die Augen zu öffnen oder zu schließen, um die Hirnaktivität zu stimulieren. Die Untersuchung dauert in der Regel 20 bis 30 Minuten.
Muster lassen sich zum einen aktiv beeinflussen, etwas durch das Schließen der Augen. Fachleute erkennen zum anderen aber auch je nach Verlauf der Linien Krankheiten wie Epilepsie: „Man braucht viel Expertise, um Böses von Sachen zu unterscheiden, die nur böse aussehen, aber nicht böse sind“, erklärte der Leiter des Epilepsie-Zentrums am Klinikum der Universität München, Jan Rémi gegenüber der dpa.
Interpretation der EEG-Kurven
Ein EEG-Bild zeigt verschiedene Wellenmuster, die die Aktivität der Nervenzellen in bestimmten Hirnregionen widerspiegeln. Diese Wellen können je nach Zustand des Gehirns variieren:
- Alpha-Wellen (8 bis 13 Hz): Treten in Ruhe mit geschlossenen Augen auf.
- Beta-Wellen (14 bis 30 Hz): Erscheinen bei geistiger Aktivität und geöffneten Augen.
- Gamma-Wellen (über 30 Hz): Sind bei erhöhter Aufmerksamkeit und Lernprozessen präsent.
- Theta-Wellen (4 bis 7 Hz): Treten beim Einschlafen oder bei starker Müdigkeit auf.
- Delta-Wellen (0,5 bis 3,5 Hz): Signalisieren Tiefschlaf.
Die Frequenz und Amplitude dieser Wellen geben Aufschluss über die Hirnaktivität und können auf Erkrankungen oder Störungen hinweisen. Zum Beispiel zeigen epileptische Anfälle besonders hohe und steile Wellenmuster, sogenannte Spikewellen.
Die Rolle der Künstlichen Intelligenz
Dank der rasanten Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) wird die Auswertung von EEG-Daten immer präziser. KI kann charakteristische Linienmuster vorfiltern und so die Diagnose erleichtern. Auch wenn wir noch weit vom Gedankenlesen entfernt sind, könnten in naher Zukunft Lügen anhand von EEG-Daten erkannt werden.
EEG-Forscher wie Gyula Kovács von der Universität Jena sehen in der KI die bedeutendste Entwicklung der letzten Jahre. KI ermöglicht es, bestimmte Teile des Bewusstseins sichtbar zu machen, was früher undenkbar war. Diese Fortschritte werfen jedoch auch ethische Fragen auf, wie weit die Technologie genutzt werden sollte.
EEG in der modernen Medizin
Heute ist das EEG ein unverzichtbares Werkzeug in vielen klinischen Bereichen. Es hilft nicht nur bei der Diagnose von Epilepsie, sondern wird auch zur Überwachung der Narkosetiefe und zur Beurteilung von Hirnschäden eingesetzt. In Schlaflaboren dient es dazu, verschiedene Schlafphasen zu unterscheiden.
Die EEG-Forschung wird auch an Bergers alter Wirkungsstätte in Jena weitergeführt. Hier untersuchen Forscher, ob Autisten durch Neurofeedback bestimmte Gehirnaktivitäten kontrollieren können. Bei der Behandlung von ADHS-Patienten wird diese Technik bereits erfolgreich eingesetzt. Erste Versuche gibt es auch bei Schlaganfall-, Tinnitus- und Long-Covid-Patienten.
Zukunft der EEG-Technologie
Die EEG-Technologie bleibt nicht stehen. Unternehmen wie Neuralink, gegründet von Elon Musk, arbeiten an Gehirnimplantaten, die auf der Logik der Elektroenzephalografie basieren. Diese Implantate sollen es ermöglichen, Computer nur mit der Vorstellungskraft zu steuern. Auch wenn es noch Herausforderungen gibt, wie das Lösen von Elektroden, zeigt dies das immense Potenzial der EEG-Technologie.
Frühere Studien in den USA haben gezeigt, dass Menschen sogar Prothesen mit Gedankenkraft bewegen können. Diese Verfahren sind jedoch sehr aufwendig und invasiv und daher noch nicht breit verfügbar.
Hans Berger: Pionier mit Schattenseiten
Hans Berger hatte bereits vor 1924 zahlreiche Versuche unternommen, die elektrische Aktivität des Gehirns zu messen. Am besagten Tag gelang ihm schließlich der Durchbruch. Berger konnte nachweisen, dass das Gehirn elektrische Signale aussendet, die sich messen lassen. Seine Entdeckung bildete die Basis für die heutige Elektroenzephalografie und ermöglichte es, das Gehirn besser zu verstehen und zu erforschen.
Hans Berger war ein akribischer Wissenschaftler, der lange Zeit an seinen Entdeckungen zweifelte. Erst 1929 ging er mit seinen Ergebnissen an die Öffentlichkeit. Seine Arbeiten wurden in den 1930er-Jahren von namhaften Neurophysiologen anerkannt. Während der Zeit des Nationalsozialismus war Berger jedoch auch an fragwürdigen Praktiken wie Zwangssterilisationen beteiligt, was sein Erbe überschattet. (mit Material der dpa)
Ein Beitrag von: