Handprothese mit Ultraschallsensoren und KI
Menschen, die eine Hand verloren haben, sind auf eine gut funktionierende Handprothese angewiesen. Damit erfahren sie eine erhebliche Erleichterung im täglichen Leben. Jetzt können diese Prothesen noch besser werden.
Innerhalb eines EU-Forschungsprojekts arbeiten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Fraunhofer-Instituts daran, die Kontrolle über die Prothese bis hin zu einzelnen Fingern zu verbessern. Anstelle herkömmlicher Elektroden zur Detektion von Nervenimpulsen im Muskelgewebe des Arms setzen sie auf Ultraschallsensoren, um eine präzisere und sensiblere Umsetzung von Befehlen zu ermöglichen. Und es geht noch mehr: es wird geplant, das Konzept bidirektional zu gestalten, so dass das Gehirn auch sensorische Reize aus der Prothese empfängt.
Ultraschallsensoren werden eingesetzt
Gemeinsam mit Projektpartnern haben Forschende des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik IBMT im saarländischen Sulzbach gezeigt, dass die Steuerung von Handprothesen erheblich verbessert werden kann. Wie bereits erwähnt, werden im Projekt namens „SOMA“ Ultraschallsensoren eingesetzt.
Ultraschallsensoren werden genutzt, um kontinuierlich Schallimpulse ins Muskelgewebe des Unterarms zu senden. Im Gegensatz zu elektrischen Impulsen werden dabei Schallwellen vom Gewebe reflektiert. Die Laufzeiten der reflektierten Signale liefern Informationen über die räumliche Tiefe des Muskelstrangs, der die jeweilige Schallwelle zurückspielt, so wird die Funktionsweise in der Pressemitteilung erklärt. Dadurch können die Kontraktionen im Muskelgewebe, die durch Nervenstimulation des Gehirns ausgelöst werden, äußerst detailliert beobachtet werden. Dies ermöglicht wiederum die Identifizierung typischer Aktivierungsmuster im Muskel, die spezifisch für bestimmte Hand- oder Fingerbewegungen stehen.
„Die Ultraschall-basierte Steuerung agiert wesentlich feinfühliger und präziser als dies mit Elektroden möglich wäre. Die Sensoren sind in der Lage, verschiedene Freiheitsgrade wie Beugen, Strecken oder Drehen zu erkennen“, erklärt Dr. Marc Fournelle, der am Fraunhofer IBMT für die Leitung der Gruppe „Sensoren & Aktoren“ und im Projekt für die Entwicklung der SOMA-Ultraschallsensorik zuständig ist.
KI-gesteuerte Software in einer kompakten Elektronikbox
Das Ziel des Projekts besteht darin, dass eine KI-gesteuerte Software in einer kompakten Elektronikbox, die vom Patienten am Körper getragen wird, diese Erkennung übernimmt. Die Elektronik könnte die decodierten Signale als Steuerbefehle an die Aktoren in der Handprothese senden und somit die Bewegung der Prothesenfinger auslösen. Dieser Prozess des Erkennens, Auswertens und Aussendens von Steuerbefehlen geschieht in Echtzeit.
Allerdings befindet sich das EU-Projekt gegenwärtig noch in der experimentellen Phase im Labor. Ultraschallwandler und elektronische Komponenten erzeugen die Schallimpulse und erfassen die zurückgeworfenen Schallwellen. Diese erfassten Daten werden anschließend an einen Computer übertragen, auf dem die KI mit der Analyse beginnt. Anschließend sendet die Elektronik die interpretierten Signale als Steuerbefehle an die Aktoren in der Prothesenhand, wodurch die Bewegungen der Finger ausgelöst werden. Bereits jetzt sind die Vorteile dieser Technologie deutlich erkennbar.
Um eine außerordentlich präzise und zuverlässige Erfassung zu gewährleisten, senden die piezoelektrischen Schallwandler dutzende Male pro Sekunde Impulse mit einer Frequenz im Bereich von 1 bis 4 MHz in das Muskelgewebe. Zusätzlich sind mindestens 20 Sensoren miteinander verbunden. Jeder Sensor liefert nicht nur Informationen über die Tiefe der reflektierten Signale, sondern auch über die Position des Muskelstrangs, von dem die jeweilige Welle zurückgespielt wurde. Vor der Analyse durch die KI werden die gesammelten Daten bezüglich Ort und Tiefe der Signale sorgfältig vorselektiert.
„Die KI muss sich dann um die Analyse der Ultraschallsignale kümmern, die Aktivierungsmuster identifizieren, in einen Steuerbefehl umwandeln und an den entsprechenden Finger der Prothese schicken. Technisch gesehen wertet die KI dabei Amplitude und Zeitverlauf der elektrischen Spannungen aus, die jedes Sensormodul liefert“, erklärt Fournelle.
Aktivitätsmuster als Referenz im System gespeichert
Die Sensoren sind in einem Armband integriert, das im Schaft der Handprothese platziert werden kann. Um eine präzise Zuordnung der Muskelsignale zu den entsprechenden Fingern und der gewünschten Bewegung zu ermöglichen, absolviert die Person ein kurzes Training. Dabei versucht sie, Teile der Hand und der Finger zu bewegen. Die dabei erzeugten Aktivitätsmuster dienen als Referenz und werden im System gespeichert. Auf dieser Grundlage wird die Verknüpfung zwischen den Muskelsignalen, bestimmten Fingern oder Teilen der Hand und den gewünschten Bewegungen hergestellt. Das Training ist in wenigen Minuten abgeschlossen.
„Versuche mit Probanden haben gezeigt, dass die Technologie funktioniert. Sie ist sehr bedienfreundlich und nicht invasiv. Wir arbeiten jetzt daran, dass System noch unauffälliger zu machen“, sagt Andreas Schneider-Ickert, Projektleiter Aktive Implantate und Innovationsmanager am Fraunhofer IBMT.
Rückmeldungen geben
Zusätzlich arbeitet das Konsortium daran, das System in beide Richtungen zu erweitern. Die Handprothese soll nicht nur Befehle ausführen, sondern auch Rückmeldungen geben, die der Träger der Prothese als sensorische Reize wahrnimmt und darauf reagieren kann. Ein Analogon dazu ist, dass wenn eine Person mit einer gesunden Hand ein Glas Wasser festhält und es zum Mund führt, kontinuierliche Rückmeldungen von den Fingern erhält. Diese Rückmeldungen informieren darüber, wie fest das Glas gehalten werden muss, sodass es einerseits nicht aus der Hand rutscht und andererseits nicht durch zu festes Drücken zerbricht.
Die Rückmeldung könnte alternativ über Elektroden erfolgen, die in oder an Nerven implantiert sind, anstelle von Ultraschallsensoren. Diese Elektroden leiten die Signale, die von der Prothese gesendet wurden, mittels gezielter Nervenstimulation ans Gehirn weiter, um sensorische Reize zu erzeugen. Auf diese Weise erhält das menschliche Gehirn Rückmeldung von der künstlichen Hand und kann Befehle zurücksenden, um beispielsweise den Fingerdruck zu verstärken oder zu verringern. Die Elektrode, die aus biologisch verträglichem Material besteht und im Nervengewebe implantiert ist, wird vom Menschen nicht wahrgenommen.
„Auf diese Weise entsteht ein geschlossener Regelkreis, in dem die Handprothese und das Gehirn laufend und in Echtzeit miteinander kommunizieren“, erklärt Fournelle in der Pressemitteilung.
Ein Beitrag von: