Forschung im Dienste des Menschen 26.09.2017, 13:00 Uhr

Hightech-Prothesen für jede Handgröße

Hände geben der Prothetik bis heute Rätsel auf, weshalb Menschen mit kleinen Händen bisher kaum Zugang zu Hightech-Prothesen hatten. Ein Start-up aus Karlsruhe möchte das ändern und präsentiert Prothesen für Kinder sowie ultraleichte Teilprothesen mit Fingersteuerung. 

Baukastensystem für Teilhandprothesen: VINCENTpartial

Baukastensystem für Teilhandprothesen: VINCENTpartial

Foto: Ansgar Pudenz / Deutscher Zukunftspreis 2017

Bisher waren Handprothesen für einen Großteil der Betroffenen, die eine Hand verloren haben und auf einen elektronisch gesteuerten Ersatz angewiesen sind, zu groß oder zu schwer. Zudem gab es bisher für viele Menschen, denen nur ein Finger fehlt, lediglich passive Schmuckprothesen, um das Fehlen der Gliedmaße optisch zu verbergen. Nun hat ein Team aus Wissenschaftlern und Unternehmern eine neue elektronisch gesteuerte Prothese entwickelt, die auch Menschen mit schlanken und kleinen Händen oder jenen, denen nur ein Teil der Hand fehlt, einen adäquaten Ersatz zu bieten.

Entwicklung von Handprothesen begann schon im Mittelalter

Handprothesen hat es schon immer gegeben, nur bestanden sie anfangs aus einfachen Holz- oder bestenfalls Metallstümpfen. Die erste mechanische Hand dagegen soll der Ritter Götz von Berlichingen getragen haben, der um 1500 im deutschen Süden lebte. Die Hand ließ sich öffnen und schließen und mit der gesunden Hand konnte der Ritter die Finger mittels Zahnrädern in verschiedenen Stellungen fixieren. Für die damalige Zeit war diese eiserne Hand ein Vorzeigewerk.

Seither haben sich die Prothesen stets weiterentwickelt. Seit den 1950er-Jahren arbeiten Wissenschaftler und Unternehmer an der Entwicklung von elektronisch gesteuerten, sogenannten myoelektrischen Handprothesen. Sie werden aktuell von rund 10.000 Menschen weltweit verwendet. Ihre Funktionalität erhalten sie von Elektroden, die auf den Armstumpf angebracht sind, um die in den Muskelsträngen erzeugte elektrische Spannung zu übersetzen. Die Signale werden dann an den elektrischen Motor der Prothese weitergeleitet und die Hand je nach Bedarf geöffnet oder geschlossen.

Aufgrund der standardisierten Bauweise und den Materialien ist solch ein technischer Handersatz für Menschen mit kleineren Händen jedoch bis heute ungeeignet.

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Hightech-Prothesen für jede Handgröße

Nun haben Stefan Schulz, Geschäftsführer der Vincent System GmbH, und die Entwicklungsingenieure Adrian Andres und Matthias Baßler eine Handprothese entwickelt, die auch Kinder und Jugendliche auf maßgeschneiderte Hightech-Prothesen zurückgreifen lassen. Ihre Entwicklung ist gemeinsam mit zwei anderen Projekten für den Deutschen Zukunftspreis 2017 nominiert.

Die sogenannte Fluidhand der Firma Vincent System GmbH besitzt elf flexible Fluidaktoren, die weich, nachgiebig, sehr beweglich und deshalb der menschlichen Hand sehr ähnlich sind. Mit solch einer Fluidtech-Prothese lassen sich Gegenstände adaptiv umschließen, weshalb Sie sich als vollkommener Ersatz für eine fehlende Hand eignet. Im Bereich des Antriebs setzten die Entwickler auf die übliche Technik mit Elektromotoren.

Der Unterschied zu herkömmlichen elektrisch betriebenen Handprothese sind jedoch die leichten Baumaterialien. Die Fluidhand besteht aus hochwertigem Aluminium, das langlebiger und qualitativ verlässlicher als Kunststoff-Spritzguss ist. Daraus ergibt sich ein inneres Skelett aus hochfestem Baumaterial, dessen Verkleidung weich und elastisch ist. Die Hightech-Prothese ist also genauso wie eine menschliche Hand, mit einer festen Knochenstruktur und Weichteilen aufgebaut. Die neue maßgeschneiderte Hightech-Prothese bietet im Bereich Funktionalität, Steuerung und Ästhetik bisher nie dagewesene Merkmale, um Trägern von Hand- und Teilprothesen das Leben zu erleichtern.

Hydraulische Steuerung ermöglicht individuelle Fingerbewegungen

Was die neue Hightech-Prothese von herkömmlichen Prothesen zudem unterscheidet, ist die Möglichkeit, einzelne Finger mit Hilfe eines miniaturisierten Antriebs an jeden Teilhandstumpf eines Trägers individuell anzupassen. Für die derzeit weltweit kleinste Einzelfingerprothese kommen robuste Leichtbaumaterialien sowie eine softwaregestützte Optimierung zum Einsatz, welche die Teilprothese genauso leicht macht, wie der menschliche Handteil, der damit ersetzt wird. Das macht die Verwendung im Alltag überaus einfach.

Aufgrund des natürlichen Aussehens und der anatomischen Formgebung ist es nicht mehr notwendig, den bisher üblichen Silikon-Handschuh über der Prothese zu tragen. Denn mittels hautähnlicher Haptik wird mit der Prothese ein sicheres Zugreifen ermöglicht. Noch stärker grenzt sich die Fluidhand von herkömmlichen Prothesen durch den integrierten Tastsinn ab, der dem Benutzer mithilfe von leicht spürbaren Vibrationen eine Rückmeldung über die ausgeübten Kräfte gibt. Dadurch ist weder ein Sichtkontakt noch eine manuelle Unterstützung mit der anderen Hand notwendig, um die Prothese bedienten zu können. Da für die Steuerung der Prothese elektrische Muskelsignale verwendet werden, kann die neue Hightech-Prothese zudem dazu beitragen, eventuell vorhandene Phantomschmerzen zu beseitigen.

Eigenes Start-up gegründet

Entwickelt wurde das neuartige modulare Handprothesen-System von drei Ingenieuren, die alle bei dem eigens für die Entwicklung gegründetem Unternehmen Vincent Systems GmbH arbeiten. Initiator und Geschäftsführer des Unternehmens ist Stefan Schulz, der vorher eine Forschungsgruppe für Endoskopie und Robotik am KIT leitete. Mit im Team bionischer Prothesen sind die Entwicklungsingenieure Adrian Andres, gelernter Mechatroniker und studierter Maschinenbauingenieur und Matthias Baßler, der nach einem Master für Elektro- und Informationstechnik am KIT für die Hard- und Software verantwortlich zeichnet.

Für das 2009 gegründete Start-up-Unternehmen Vincent Systems GmbH musste der Unternehmensgründer zunächst sein Privatvermögen zusammentragen, um das nötige Startkapital für die mechanischen Bauteile zur Herstellung der Steuerungselektronik zur Verfügung zu haben. Erst etwas später konnte er Stiftungen und Banken davon überzeugen, sein Start-up und die Entwicklung der Hightech-Prothesen mittels zinsgünstiger Kredite zu unterstützen.

Mittlerweile haben sich die Forscher und Entwickler sämtliche Patente der Technologie absichern lassen. Viele Fachwerkstätten der Orthopädie in Deutschland, Europa und den USA werden mit den Prothesen der Firma Vincent Systems beliefert. Forscher und Experten sehen in der neu entwickelten Technologie von Vincent System GmbH sogar das Potenzial, um sie in anderen medizinischen Bereichen einzusetzen, beispielsweise für Patienten nach einem Schlaganfall oder Menschen mit Lähmungen.

 

Die weiteren Nominierten aus dem Jahr 2017 sind ein Forscherteam der Universität Hannover und der Franka Emika GmbH, die einen Roboter konzipierten, der menschliche Kollegen durch Beobachten nachahmen kann, sowie Visualisierungsexperten von Siemens Healthineers, die mit Cinematic Rendering dreidimensionale Bilder aus dem Inneren des Körpers erstellen.

Ein Beitrag von:

  • ingenieur.de

    Technik, Karriere, News, das sind die drei Dinge, die Ingenieure brauchen.

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