Innovative Nanotechnologie im Kampf gegen Krankenhausinfektionen
Krankenhausinfektionen sollen in den nächsten Jahrzehnten eine der häufigsten Todesursachen in entwickelten Staaten sein. Der neue Statusreport der VDI-Gesellschaft Materials Engineering (GME) befasst sich mit der Thematik und führt auf, wie innovative Strategien das Problem beheben können. Nanotechnologie spielt dabei eine große Rolle.
VDI-Fachausschuss zeigt Einsatzmöglichkeiten auf
„Krankenhausinfektionen werden in den nächsten Jahrzehnten eine der häufigsten Todesursachen in entwickelten Staaten“, warnt Adi Parzl, Vorsitzender des VDI-Fachausschusses Keimreduzierung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie. Für Kliniken stellt es einen hohen Aufwand dar, unbelebte Oberflächen wie Instrumente, Tische oder Kittel regelmäßig von Keimen zu befreien. Die häufigsten Erreger von Krankenhausinfektionen sind die sogenannten fakultativpathogenen Bakterien, die zur normalen Körperflora des Menschen gehören. Gefährliche Harnweginfektionen oder Infektionen der Atemwege können die Folge sein.
Ziel des ersten Statusreports ist es, ein Bewusstsein für dieses Problem bei Entscheidungsträgern aus dem Gesundheitswesen zu schaffen. Der Einsatz von Nanotechnologien zur Keimreduzierung im klinischen Umfeld wird im Report aus allen wichtigen Blickwinkeln beleuchtet.
Wie entstehen resistente Krankenhauskeime?
Infektionen können für geschwächte oder ältere Menschen lebensbedrohlich werden. Antibiotika galt lange Zeit als Wundermittel gegen Bakterien. Doch das Mittel verliert zunehmend an Kraft: Immer mehr Keime sind resistent gegen das Medikament. Neue Antibiotika werden kaum entwickelt. Offiziell heißt es: 15.000 Menschen sterben jährlich an den Krankenhauskeimen. Hinzu kommt, dass im aktuellen Medizin- und Gesundheitssystem die Hygienevorschriften nicht konsequent eingehalten werden.
Innovative Hygienestrategien sind gefragt
Die aufgeführte Ist-Situation bedarf innovativer Lösungen, um bestehende Hygienestrategien wirksam zu unterstützen. Eine dieser Maßnahmen sind antimikrobielle Oberflächen. Der Gedanke: Oberflächen werden nicht nur bei den Reinigungs- und Desinfektionszyklen keimarm gehalten, sondern auch zwischen diesen Zyklen.
Die nach einer Desinfektionsmaßnahme verbleibenden Keime, die z.B. über Berührungen von Oberflächen weiterverbreitet werden, können durch den Einsatz antimikrobieller Oberflächen eingeschränkt werden. Nanomaterialien eignen sich aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften in besonderer Weise zur Umsetzung von antimikrobiellen Oberflächen.
Was sind Nanomaterialen?
Nanomaterialien sind besonders – nämlich besonders klein. Sie sind bis zu 10.000-mal schmaler als ein menschliches Haar. Nanomaterialien sind kein reines Erzeugnis aus dem Labor, sondern sie kommen auch in der Natur vor, z.B. in Asche. Nanotechnologie ermöglicht es, Materialien zu entwickeln, die Nanoformen enthalten. Die Vorteile sind enorm: Werden Nanotitandioxide zur Beschichtung von Stühlen oder Tischen aus Kunststoff verwendet, so sind diese Oberflächen selbstreinigend. Auf solch einer Oberfläche bildet Wasser keine Tropfen.
Nanotechnologien im Einsatz: So lassen sich Keime reduzieren
Antimikrobielle Oberflächen können herkömmliche Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen nicht ersetzen, aber wirksam ergänzen. Desinfektionsmaßnahmen sind im Klinikalltag zeitpunktbezogen und stellen Anforderungen an die Professionalität des Personals. Oberflächen mit antimikrobieller Wirksamkeit fallen hingegen unter die Zeitraumhygienestrategie, die zusätzlich zwischen den Reinigungsintervallen unabhängig von der Professionalität des Personals eingesetzt werden können. Oberflächen wie Ritzen, die nur schwer zugänglich sind, erhalten so einen weiteren Hygieneschutz.
Nanotechnologiebasierte Oberflächen sind grundsätzlich in allen hygienerelevanten, klinischen und medizinischen Bereichen denkbar. Als Einsatzgebiete hat der VDI-Fachausschuss drei Bereiche definiert:
- Einsatzgebiete im Körper des Patienten wie funktionalisierte Implantate
- Einsatzgebiete am Patienten wie antimikrobielle Wundauflagen
- Einsatzgebiete im Patientenumfeld wie antimikrobiell funktionalisierte Oberflächen im Patientenzimmer
Die Wirkweisen der Nanotechnologien können sehr unterschiedlich sein. Während metallische Nanomaterialien und Metalloxide durch die Bildung von Ionen vorwiegend auf den Stoffwechsel von Bakterien einwirken, verhindern nanostrukturierte Oberflächen die Anhaftung von Bakterien. Wände in Kliniken lassen sich beispielsweise mit Silber-Nanopartikeln beschichten, die ein Anhaften von Bakterien enorm reduzieren.
Gute Gründe für den Einsatz
Nanomaterialien lassen sich genau dosieren, ressourcenschonend einsetzen und sind so gut wie in jede Matrix einzuarbeiten. Diese Gründe sprechen für einen Einsatz. Die Zulassungsverfahren der gesetzgebenden Stellen gewährleisten, dass bei der angewandten mikrobiell wirksamen Dosierung ein Risiko für Menschen weitestgehend ausgeschlossen wird. Nanopartikel weisen zudem einen Vorteil gegenüber Antibiotika auf: Sie können aufgrund ihrer elektrostatischen Ladung an die Außenmembran von Bakterien binden und deren Integrität zerstören.
In den letzten Jahren haben sich zwei Nanomaterialgruppen herauskristallisiert, die für eine hygienische Oberflächenfunktionalisierung in besonderem Maße infrage kommen. Dies sind silberbasierte Nanomaterialien und fotoaktive Nanomaterialien (im Wesentlichen vertreten durch TiO2). Weitere Informationen zu den Materialgruppen werden im Statusreport detailliert aufgeführt.
Chancen und Risiken für das Gesundheitswesen
Nanomaterialien werden bereits erfolgreich in der Industrie eingesetzt, beispielsweise bei der Energieumwandlung oder der Energiespeicherung. Zu den jüngsten wichtigen Entwicklungen gehören die besagten antimikrobiellen Oberflächen für den Einsatz in der Medizintechnik.
Die Chancen:
- antimikrobiell ausgestattete Materialien können nachhaltig dazu beitragen, die Keimbelastung klinisch relevanter Oberflächen zu reduzieren
- damit verbunden ist eine Reduktion des Infektionsrisikos
- reduzierter Einsatz von Desinfektions- und Antibiotikamittel
- positive Einfluss auf die Umwelt und den Menschen
- finanzielle Einsparungen
Die Risiken:
- noch nicht vollständig erforschte Wechselwirkung von Nanoobjekten mit dem menschlichen Körper und der Umwelt
- mögliche Bildung von Kreuzresistenzen oder Parallelresistenzen mit Antibiotika
- mögliche negative Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber Einrichtungen (Krankenhaus, Pflegeheim etc.) mit entsprechenden Materialien
Es benötigt den Willen zur Innovation, Leitlinien und Medizinproduktverordnungen, um alle Potenziale aus der Nanotechnologie zu ziehen und Krankenhausinfektionen zu minimieren. Entscheidungsträger sind gefragt, um neue Technologien im Gesundheitswesen voranzutreiben.
Der VDI-Fachausschuss 202 “Keimreduzierung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie” hat die Informationen zum Statusreport von den Mitgliedern des Fachausschusses gesammelt und analysiert.
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