KI erkannte Coronaviren früher als die WHO
Das neue Coronavirus breitet sich weiter aus. Jetzt wurde bekannt: Noch bevor die Weltgesundheitsorganisation WHO andere Länder warnen konnte, fanden Forscher mit künstlichen Intelligenz Hinweise auf den Erreger.
Ein Blick zurück: Am 9. Januar 2020 berichtete die Weltgesundheitsorganisation WHO erstmals vom Ausbruch einer grippeähnlichen Erkrankung. Aus dem chinesischen Wuhan wurde eine Reihe seltsamer Fälle mit Lungenentzündungen gemeldet, möglicherweise ausgelöst durch den Kontakt mit Tieren auf einem großen Markt. Die US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta hatten einige Tage zuvor, nämlich am 6. Januar, Meldungen darüber verbreitet. Was alle Forscher jetzt überrascht: Bereits am 31. Dezember 2019 hatte die kanadische Gesundheitsplattform BlueDot vor Viren unbekannter Herkunft gewarnt, ohne deren biologischen Ursprung zu kennen.
BlueDot verwendete dazu einen Algorithmus auf der Basis von künstlicher Intelligenz (KI). Das Tool wertete fremdsprachige Nachrichten, wissenschaftliche Netzwerke für Tier- und Pflanzenkrankheiten und Meldungen offizieller Stellen aus. Anhand dieser Quellen wurde die Empfehlung abgeleitet, Wuhan weiträumig zu meiden – zu einem Zeitpunkt, als noch nicht von einer Quarantäne die Rede war.
Foren liefern bessere Hinweise als offizielle Stellen
Zum Hintergrund: Während eines Ausbruchs kommt es auf die Geschwindigkeit an, mit der offizielle Stellen aus dem betroffenen Land Informationen austauschen und weitergeben. So müssen sich die der WHO und die CDC auf chinesische Quellen verlassen. Und genau das funktionierte nur mit großer zeitlicher Verzögerung. Chinesische Behörden sind bekannt dafür, in solchen Fällen nicht sofort alle Informationen zu veröffentlichen, räumen jetzt aber selbst Fehler in ihrer Informationspolitik ein.
„Wir können Nachrichten über mögliche Ausbrüche jedoch anhand von Einträgen in Foren oder Blogs erkennen“, sagt Kamran Khan, Gründer und CEO von BlueDot. Der Algorithmus verwende derzeit noch keinen Content aus Twitter oder Facebook, da diese Daten zu unstrukturiert seien. Natürlich sei es ein Ziel, alle Ressourcen zu erschließen.
Über Flugtickets die Ausbreitung verfolgen
Eine andere Datenquelle erwies sich als äußerst hilfreich, nämlich der Zugriff auf weltweite Ticketdaten von Fluggesellschaften, mit deren Hilfe sich vorhersagen lässt, wohin und wann infizierte Einwohner in nächster Zeit reisen. Mit dem KI Tool sagte BlueDot voraus, dass das Virus in den Tagen nach seinem ersten Auftreten von Wuhan nach Bangkok, Seoul, Taipeh und Tokio gelangen würde. Und genau das trat bald darauf ein.
Doch der Aufwand bis dahin war immens. Nach dem Testen mehrerer Prognose-Tools in kleinem Rahmen gründete Khan 2014 BlueDot und sammelte Risikokapital in Höhe von 9,4 Millionen US-Dollar ein. Sein Unternehmen beschäftigt derzeit 40 Mitarbeiter. „Wir verwenden natürliche Sprachverarbeitung und maschinelles Lernen, um diese zu trainieren“, erklärt der Firmengründer. Die Ergebnisse werden letztlich noch von Wissenschaftlern, etwa Ärzten oder Epidemiologen beurteilt. Ihre Berichte gehen an Behörden und an Fluggesellschaften, um geeignete Maßnahmen umzusetzen.
Neue Technologie – alte Fragestellung
Ob BlueDot langfristig erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten. Ähnliche Ansätze gab es schon in der Vergangenheit, etwa Google Flu Trends. Das Tool lieferte zwischen 2008 und 2015 Schätzungen der Grippeaktivität für mehr als 25 Länder. Durch die Anhäufung von Google-Suchanfragen wurde versucht, genaue Vorhersagen über die Aktivität von Influenza-Viren zu treffen. Weitere Quellen wertete Google Flu Trends damals nicht aus.
Erste Veröffentlichungen zur saisonalen Grippe zeigten eine 97-prozentige Übereinstimmung mit Angaben der CDC. Später verschlechterten sich die Resultate drastisch. In der Grippesaison 2012 bis 2013 sagte der Algorithmus doppelt so viele Arztbesuche vorhergesagt wie sie später tatsächlich eintraten – sehr zum Ärger des US-amerikanischen Gesundheitssystems. Das lag wahrscheinlich an der allzu starren Auswertung von Suchbegriffen. Nicht jeder User beschrieb die Symptome einer Grippe akkurat, und prompt versagte Google Flu Trends.
Solche Probleme hat Khan dank seiner lernenden Algorithmen nicht. Allerdings benötigt er Daten aus Ländern, die – verglichen mit Europa und mit den USA – nicht immer transparent mit Informationen umgehen. Angaben von Gesundheitsbehörden könnten zensiert oder geschönt sein, und eine freie Online-Berichterstattung kann nicht unbedingt vorausgesetzt werden. Doch der Bedarf an einem KI-Algorithmus ist groß: Im Abstand mehrerer Jahre tauchen neue Viren auf, man erinnere sich an SARS oder die „Schweinegrippe“.
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