Können Kläranlagen als Corona-Frühwarnsystem dienen?
Wie stark wird die zweite Pandemie-Welle ausfallen? Das wird auch davon abhängen, wie schnell Neuinfektionen identifiziert werden können, um gegebenenfalls regionale Gegenmaßnahmen einzuleiten. Die TU Darmstadt geht dabei einen neuen Weg – und kontrolliert das Abwasser.
Die Nervosität ist aktuell vielerorts groß. Mit den Reiserückkehrern ist die Zahl an Covid-19-Infizierten wieder deutlich gestiegen. Labore warnen bereits vor einer zu hohen Belastung durch die vielen Tests, während auf der anderen Seite die Befürchtung im Raum steht, dass viele Menschen, die zuvor in Risikogebieten waren, weder einen Covid-19-Test machen lassen, noch in häuslicher Quarantäne bleiben. Eines wollen jedoch alle Beteiligten vermeiden: einen erneuten Lock-down. Forscher der TU Darmstadt haben daher einen anderen Ansatz verfolgt, um eine auffällige Zunahme von Infektionen rechtzeitig zu entdecken: Sie analysieren das Erbmaterial der Viren SARS-CoV-2 in Abwasserproben.
Sogar symptomfreie Infizierte werden erfasst
Viren hinterlassen Spuren. Das gilt selbst dann, wenn die betroffenen Personen keinerlei Symptome ausbilden, und genau diesen Umstand haben sich Susanne Lackner und ihr Team zunutze gemacht. Lackner ist Leiterin des Fachgebiets Abwasserwirtschaft an der TU Darmstadt. Sie weiß: Infizierte scheiden Coronaviren mit dem Stuhl aus. Nach derzeitigem Wissensstand lösen diese Viren zwar keine Infektionen aus, aber sie können zum Monitoring beitragen. Denn ihr Erbgut lässt sich identifizieren. Zum Nachweis verwenden die Wissenschaftler die gängige PCR-Technik.
Entscheidend ist dabei nach Angabe der Forscher die hohe Empfindlichkeit dieses Messverfahrens: Es soll schon eine Menge von unter zehn bestätigten Covid-19-Infektionen pro 100.000 Einwohner entdecken. Ein Anstieg wäre also schnell offensichtlich – lange bevor die kritische Grenze von 50 neuen Fällen pro 100.000 Einwohner erreicht ist. Diese Grenze bezieht sich auf einen Zeitraum von sieben Tagen. Die Wissenschaftler hoffen daher, ein Monitoringsystem über das Abwasser etablieren zu können. Damit könnten sie einen wichtigen zeitlichen Vorsprung erreichen: Noch bevor Testergebnisse vorliegen, würden Infizierte, auch ohne Symptome, über die Abwasser-Kontrollen erfasst. Schutzmaßnahmen könnten also bei Bedarf frühzeitig verstärkt werden. Umgekehrt wäre es schneller möglich, Lockerungen zu genehmigen, sobald die Fallzahlen sinken. Auch dieser Aspekt ist nicht zu unterschätzen, da viele Experten befürchten, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung für erneute Einschränkungen gering wäre.
Konzept hat sich im Praxistest bewährt
Lackners Arbeitsgruppe testet dieses Konzept bereits seit einigen Wochen in Frankfurt. Dafür erhalten die Wissenschaftler zweimal pro Woche Proben aus den Zuläufen zu den Frankfurter Klärwerken in den Stadtteilen Sindlingen und Niederrad, die Abwasser von mehr als 1,8 Millionen Menschen aufbereiten, sowie aus einem Teilzulauf in Griesheim. Lackner kann sich vorstellen, dieses System noch zu verfeinern: „Wenn wir das Infektionsgeschehen genauer und regionaler, etwa in einzelnen Stadtteilen, verfolgen wollen, müssten Proben häufiger und auch direkt im Kanalsystem entnommen werden.“
Die Ergebnisse des Praxistests sprechen nach ihrer Ansicht dafür, das Abwasser-Monitoring auszuweiten. Denn den jüngsten Anstieg an Infektionen hätten sie und ihr Team schon festgestellt, bevor er sich in den offiziellen Fallzahlen niederschlug. „Im Juli lagen die Virenkonzentrationen im Abwasser noch stabil auf relativ niedrigem Niveau, dann stiegen die Werte deutlich an.“
Analysen sollen Verbreitungswege der Viren bestimmen
Die Wissenschaftler sind überzeugt davon, dass die Virenkontrolle übers Abwasser noch weitaus größeres Potenzial hat. Deswegen entnehmen die Forscher zusätzlich Abwasser vom Frankfurter Flughafen. Bei diesen Proben geht es ihnen aber nicht allein darum, die Virenkonzentration zu bestimmen. Darüber hinaus analysieren sie das komplette Erbgut der Viren. Sie hoffen, auf diese Weise die Herkunft der jeweiligen Viren bestimmen zu können und gegebenenfalls mehr über die Verbreitungswege zu erfahren. Denn inzwischen gibt es verschiedene regionale Varianten von SARS-CoV-2. Erste Ergebnisse zu diesen Untersuchungen sollen bereits in einigen Wochen vorliegen.
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