Laserskalpell schneidet auf eine Zelle genau
Mit dem „Advanced Investigator Grant“ fördert der Europäische Forschungsrat (ERC) besonders innovative Vorhaben. Dazu gehört das Projekt PIRL des Kanadiers Dwayne Miller. Die Abkürzung steht für Picosekunden-Infrarot-Laser, der chirurgische Schnitte auf eine Zelle genau durchführt. PIRL zählt zu den Highlights der Medica, der größten Fachmesse für Medizin und Medizintechnik vom 14. bis 17. November in Düsseldorf.
Entwickelt hat Dwayne Miller den Picosekunden-Infrarot-Laser in Toronto. Inzwischen aber arbeitet der Laserfachmann im Fachbereich Physik der Universität Hamburg. Zusammen mit einem Team vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) unter Leitung von Wolfgang Wöllmer soll das Laserskalpell der Zukunft in den nächsten fünf Jahren zur Anwendungsreife gebracht werden, wofür der ERC Fördermittel von 2,5 Mio. € zur Verfügung gestellt hat. Das neue Instrument eröffnet die Chance auf eine minimalinvasive Chirurgie, die deutlich präzisere und gewebeschonendere Operationen mit weniger Narbenbildung erlaubt.
Grundsätzlich können Laser Gewebe präziser schneiden als Messer, theoretisch sogar auf eine Zelle genau. In der Praxis war dies allerdings bisher nicht möglich, denn der Laser entwickelt während des Schneideprozesses Druckwellen und Hitze, die die angrenzenden Zellen schädigen und verbrennen. Geschädigte Zellen bilden Narbengewebe, das die Funktion der angrenzenden Zellen, eventuell auch von Nervenzellen, einschränkt.
Miller hat nun entdeckt, dass Materie bei geeigneter Anregung direkt von einem festen oder flüssigen in einen gasförmigen Zustand übergeht. Das gilt auch für Wassermoleküle, die 70 % des Körpergewebes ausmachen. Voraussetzung ist ein definiertes Zeitintervall, das bei 100 Picosekunden (dem Zehntausendstel einer Millionstel Sekunde) liegt.
Innerhalb dieses kurzen Moments erfolgt keine Ausbreitung der thermischen Energie. Andererseits entsteht keine ionisierende Strahlung, wie das bei den noch kürzeren Pulsen des Femtosekundenlasers der Fall ist. Diese schädigen das Gewebe möglicherweise ähnlich wie Röntgenstrahlung.
„Es ist also ein schmaler Grat zwischen thermischer und ionisierender Strahlung, den wir mit PIRL exakt treffen“, erklärt Wöllmer. Besonders geeignet für diesen Prozess ist infrarotes Licht mit einer Wellenlänge von 3000 nm.
Mithilfe von Filmaufnahmen, die die strukturellen Veränderungen in anorganischem Material mit atomarer Auflösung zeigen, konnte dieses spezielle Zeitfenster bestimmt werden. PIRL wurde so programmiert, dass er mit lediglich einem Fünftel der Energie, die gängige Laser brauchen, und einer pulsierenden Strahlung das im Gewebe enthaltene Wasser anregt und wie ein Treibmittel die Wassermoleküle in den Gaszustand versetzt.
Damit ist der Schneidevorgang so schnell und präzise auf einzelne Zellen ausgerichtet, dass insbesondere keine thermischen Schäden an benachbarten Zellen entstehen. Weil die Proteine in direkter Nachbarschaft des Schnitts nicht ausflocken, also unverändert bleiben, lässt sich eine massenspektrometrische Diagnostik des abgetragenen Gewebes in Echtzeit durchführen. „Da die Moleküle des entnommenen Gewebes, wie z. B. Tumorzellen, erhalten bleiben, kann das Gewebe auf molekularer Ebene bestimmt werden, was bei vielen Operationen ein großer Vorteil ist“, so Wöllmer.
In der Tumorchirurgie könnten die Schnittkanten von betroffenem Gewebe deutlich exakter festgelegt werden, weil man spezielle Biomarker per Massenspektroskopie ermitteln kann. Ziel ist es, auf eine Zelle genau zu schneiden und den Laser so zu programmieren, dass er kritisches Gewebe wie Nervenzellen oder Blutgefäße umgeht bzw. seine Arbeit bei zu großer Nähe selbstständig unterbricht.
Unter dem Strich gibt das neue Laserverfahren in der Medizin Anlass für große Hoffnungen: Weil das verbleibende Gewebe nur minimal angegriffen wird, ist bei notwendigen Eingriffen ein schnellerer Heilungsverlauf mit geringster Narbenbildung zu erwarten.
Das Ergebnis entsprechender Operationen ist sowohl kosmetisch als auch funktionell deutlich besser. Der Energiebedarf des Lasers liegt nur bei 20 % bis 30 % eines konventionellen Systems. Zudem können die künftigen Laser deutlich kompakter gebaut werden.
Bei so vielen Pluspunkten ist das Interesse der Medizin sehr groß. So sind am PIRL-Projekt allein 10 Kliniken und 4 Institute des UKE beteiligt, was die Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten dokumentiert. Das UKE hat im Campus Klinische Forschung ein Labor eingerichtet, in dem der Prototyp des PIRL aufgebaut ist. Hier finden die biomedizinischen Untersuchungen zur Vorbereitung des klinischen Lasereinsatzes statt.
Zurzeit arbeitet das Forschungsteam mit Gewebeproben und Tieren. „In zwei Jahren“, so die Schätzung von Miller, „könnte das Gerät erstmals am Patienten angewandt werden.“ KLAUS JOPP
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