Medikamente einfach an- und ausschalten – mit Licht
Dank eines Moleküls lassen sich Wirkstoffe in Medikamenten erst an dem Ort freisetzen, an dem sie auch wirken sollen. Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI haben einen solchen Vorgang erstmals filmen können und das Prinzip damit belegt.
Stellen Sie sich vor, Sie benötigen sehr spezielle Medikamente, die leider auch erhebliche Nebenwirkungen zur Folge haben. Wie wäre es, wenn sich diese reduzieren ließen? Und das auf nahezu simple Art und Weise, nämlich dank des Einsatzes von Licht. Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI haben diese Möglichkeit entwickelt. Es handelt sich dabei um das Gebiet der sogenannten Photopharmakologie, von der man sich in Zukunft viel verspricht. Die Forschenden sind sogar noch einen Schritt weitergegangen: Sie haben einen Film gedreht, in dem sichtbar wird, wie sich die Wirkstoffe der Medikamente im Körper verhalten.
Neue Membran könnte die Wundheilung revolutionieren
Die Photopharmakologie beschäftigt sich mit Medikamenten, die dank eines molekularen Lichtschalters mit einem Lichtimpuls funktionieren. Das bedeutet: Der Wirkstoff wird erst an Ort und Stelle aktiviert, wo er auch seine Wirkung entfalten soll. Das geschieht einfach per Lichtimpuls. Mit einem weiteren Impuls dieser Art lässt er sich dann wieder ausschalten und die Wirkung endet. Die Forschenden versprechen sich davon vor allem weniger Nebenwirkungen für die Patientinnen und Patienten sowie einer Reduzierung möglicher Resistenzen, die sich aus einem langfristigen Einsatz von Wirkstoffen ergeben können. Das ist besonders in Verbindung mit Antibiotika ein Thema.
Lichtimpuls setzt Wirkstoff gegen Krebs gezielt frei
Die Wirkstoffe in den Medikamenten sind natürlich nicht daraus ausgelegt, auf einen Lichtimpuls zu reagieren. Dafür braucht es einen zusätzlichen Schalter – in diesem Fall in Form eines Moleküls. Getestet haben die Forschenden dies am Wirkstoff Combretastatin A-4. Er befindet sich aktuell im Zulassungsverfahren und wird in einer klinischen Studie und als Mittel gegen Krebs eingesetzt (Abkürzung CA4). Das Medikament bindet sich an das Protein Tubulin. Daraus setzen sich sogenannte Mikrotubuli zusammen. Sie sind praktisch das Grundgerüst einer Körperzelle. Darüber hinaus unterstützen sie die Zellteilung. Indem CA4 zum Einsatz kommt, werden die Mikrotubuli destabilisiert, was dazu führt, dass sich die Krebszellen nicht mehr teilen können, der Tumor also nicht weiter wächst.
Damit CA4 auf Licht reagiert, bekommt das Molekül eine Brücke aus zwei Stickstoffatomen hinzu. Ist diese Brücke inaktiv, muss man sich die Molekülbestandteile wie eine längliche Kette vorstellen. Der Lichtimpuls sorgt dann dafür, dass die Moleküle sich biegen und die Enden der länglichen Kette sich aufeinander zu bewegen. Die Bewegung ist vergleichbar mit einem Muskel, der sich zusammenzieht, sobald man ein Gelenk beugt.
Medikamente verhalten sich wie das Schlüssel-Schloss-Prinzip
Der Wirkstoff CA4 legt sich in sogenannte Bindetaschen des Tubulins. Diese Taschen sind Vertiefungen an der Proteinoberfläche. Dort dockt das Molekül an und entfaltet dann seine Wirkung. In der langgestreckten Form passt das Molekül nicht in die Vertiefung, sondern nur in der gebeugten Form. Dann ist es wie ein Schlüssel mit passendem Schloss. Moleküle, die in solche Bindetaschen passen, nennt man auch Ligand. Nun fanden die Forschenden noch etwas heraus: „Anders als es in den Lehrbüchern steht, verhalten sich sowohl der Schlüssel als auch das Schloss dynamisch und ändern ständig ihre Form“, sagt Maximilian Wranik vom Forscherteam.
Es kommt vor, dass die Bindetaschen nur halb geöffnet sind und der Ligand nur kurz hängen bleibt. So kann er seine Wirkung natürlich nicht entfalten. Doch der Ligand ist in der Lage, die Tasche so zu verformen, dass er sich darin länger aufhalten kann. Also agiert er praktisch nach dem Motto „Was nicht passt, wird passend gemacht.“ Genau diesen Vorgang konnten die Forschenden auf Bildern festhalten und somit erstmals belegen.
Licht an – Medikament wirkt: Forschende filmten dies erstmals
Beobachten konnten die Forschenden dies dank ultrapräziser Großforschungsanlagen des PSI: Eine Sychroton Lichtquelle Schweiz SLS und ein Schweizer Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL ermöglichen nicht nur Aufnahmen der atomaren Ebene, sondern können sogar Bilderserien erstellen, die sich zu einem Film zusammenstellen lassen. „Wir haben neun Schnappschüsse zwischen einer Nanosekunde und 100 Millisekunden nach dem Ausschalten des Wirkstoffs gemacht“, sagt Jörg Standfuss, Projektleiter. Das entspricht auch den Zeiträumen, in denen sich diese Vorgänge abspielen.
Nachdem die Forschenden den Prozess des Anschaltens gut dokumentieren konnten, wollen sie dies nun auch bei dem Ablauf nach dem Anschalten erreichen. Ebenso wollen sie weitere Wirkstoffe testen, die sich in dieselben Bindetaschen des Tubulins hineinlegen. Und möglicherweise auch andere Taschen dabei betrachten. Das sind unter anderem Colchicin, ein Wirkstoff, der gegen Gicht und andere entzündlich-rheumatischen Erkrankungen zum Einsatz kommt, sowie Sabizabulin, ein noch in der Entwicklung befindlicher Covid-19-Arzneistoff.
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