Mit Chip im Hirn wieder laufen gelernt
Es ist eine kleine Sensation: Schweizer Forschern ist es gelungen, gelähmte Affen mittels einer Neuro-Prothese wieder zum Laufen zu bringen. Dafür setzten sie den Tieren einen Chip im Hirn und weitere Implantate ein. Besteht auch für gelähmte Menschen Grund zur Hoffnung bei einer solchen Therapie?
Gehen ist ein komplexer Ablauf: Initiator der Beinbewegungen ist eine Gehirnregion namens Motorkortex. Die Zellen dort schicken Bewegungssignale als elektrische Impulse in die Lendenregion des Rückenmarks. Hier aktivieren dann Nervenzellen-Netzwerke die Beinmuskeln. Das Problem bei einer Lähmung: Das Rückenmark ist verletzt, sodass die Impulse aus dem Motorkortex nicht mehr in der Lendenregion ankommen.
Was tun? Das Rückenmark reparieren? Nicht möglich. Eine Überbrückung? Möglich, berichten Wissenschaftler vom Swiss Federal Institute of Technology im Fachmagazin Nature. Sie haben gemeinsam mit Kollegen der technisch-naturwissenschaftlichen Universität in Lausanne eine Hirn-Wirbelsäulen-Schnittstelle entwickelt.
Hirnimplantat ist Herzstück der Neuroprothese
Die Neuroprothese der Schweizer Wissenschaftler besteht aus mehreren Teilen. Herzstück ist ein Hirnimplantat, den die Forscher in den Motorkortex von Rhesus-Affen eingesetzt haben. Der Computerchip zeichnet die elektrische Aktivität auf und schickt die Daten kabellos an einen Computer. Dieser erstellt ein Simulationsprotokoll und schickt es an einen Taktgeber im Lendenbereich der Tiere.
Der Taktgeber wiederum steuert 16 Elektroden, die Muskelaktivität auslösen und das gelähmte Bein in Echtzeit beugen und strecken. „Das ist das erste Mal, dass eine Neurotechnologie die Bewegungsfähigkeit bei einem Primaten wiederherstellt“, sagt Wissenschaftler Grégoire Courtine. Die Forscher haben die zerstörten Nervenbahnen des Rückenmarks also kurzerhand überbrückt.
Weder Physiotherapie noch Training nötig
Ein Video beweist die Funktion der Schnittstelle. Ist der Hirnchip ausgeschaltet, ziehen die Affen das gelähmte Bein auf einem Laufband hinter sich her. Sobald die Wissenschaftler das Implantat aktiveren, setzen die Tiere das Bein auf dem Boden auf und bewegen es fast normal. „Die Primaten waren sofort in der Lage zu laufen, nachdem die Hirn-Wirbelsäule-Schnittstelle aktiviert wurde“, erklärt der an der Studie beteiligte Forscher Erwan Bezard von der französischen University of Bordeaux. „Sie benötigen keine Physiotherapie und kein Training.
Grund zur Hoffnung für gelähmte Menschen?
Doch was bedeutet das für gelähmte Menschen? Haben Sie nun Grund zur Hoffnung, eines Tages wieder gehen zu können? Leider noch nicht. Zwar sei die Arbeit eine tolle Weiterentwicklung und eine enorme technische Leistung, sagt Rüdiger Rupp, Leiter des Bereichs Experimentelle Neurorehabilitation am Universitätsklinikum Heidelberg, der Süddeutschen Zeitung. Doch: „Ob die vorgestellte Schnittstelle auch bei vollständig querschnittsgelähmten Menschen funktioniert, ist allerdings völlig unklar.“
Ein Einwand des Forschers: Da nur ein Bein der Affen gelähmt war, sei es möglich, dass der Chip nicht die Bewegungsabsicht aufzeichnet, sondern Informationen des sich bewegenden gesunden Beins. Bei Menschen seien in der Regel beide Beine gelähmt und die Verletzungen des Rückenmarks viel großflächiger. Rupp: „Der logische nächste Schritt ist jetzt, die Versuche mit vollständig gelähmten Affen zu wiederholen.“
Im April berichteten wir über Ian Burkhart aus Ohio. Er ist der erste querschnittsgelähmte Mensch auf der Welt, der per Gedanken seine eigene Hand wieder bewegen kann. Zum Beispiel um sich Wasser einzuschenken. Ein Chip in seinem Gehirn sammelt die Bewegungsmuster und sendet diese an eine Manschette am Unterarm. Aber auch mit Exoskeletten werden inzwischen große Erfolge erzielt. Dafür ist aber auch ein intensives Training der Gelähmten erforderlich.
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