Japanische Papiertechnik als Vorbild 17.06.2021, 07:00 Uhr

Mit Kirigami zu innovativen Arzneimitteltherapien

Ingenieure haben sich vom Kirigami, der japanischen Kunst des Papierschneidens, inspirieren lassen. Sie zeigen, wie sich mit einem neuen Medizinprodukt Nebenwirkungen der Arzneimitteltherapie verringern lassen.

Stent zur Arzneimitteltherapie

Ingenieuren am MIT ist es gelungen, mit Stents Arzneimittel direkt in Organsysteme zu bringen; hier eine 3D-Rekonstruktion aus Computertomografien.

Foto: MIT

Manche Leiden wie chronisch-entzündliche Darmerkrankungen betreffen nur ein bestimmtes Organsystem im menschlichen Körper. Erhalten Patienten Medikamente als Tablette, als Spritze oder als Infusion, wandern die Wirkstoffe in viele Gewebe – auch in nicht betroffene Bereiche. Das erklärt so manche Nebenwirkung.

Doch Ingenieure am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge präsentieren jetzt eine Lösung für das bekannte Problem. Sie ließen sich von Kirigami, der japanischen Kunst des Faltens und des Schneidens von Papier inspirieren. Mit der Technik entwickelten sie einen neuartigen Stent, der verwendet werden kann, um Medikamente gezielt in den Magen-Darm-Trakt, in die Atemwege oder in andere röhrenförmige Organe im Körper zu bringen. Stents sind medizinische Implantate, die ursprünglich entwickelt wurden, um Blutgefäße offenzuhalten.

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Mit Stents Medikamente gezielt freisetzen und Arzneimitteltherapie optimieren

Der von MIT-Ingenieuren entworfene Stent besteht aus zwei Schlüsselelementen: einem weichen, dehnbaren Schlauch aus Silikon-basiertem Gummi und einer Kunststoffbeschichtung, in die Nadeln geätzt sind, die herausspringen, wenn der Schlauch gedehnt wird. Grundlegende Technologien kamen aus einem anderen Projekt, bei dem es darum ging, rutschfesten Beschichtung für Schuhsohlen zu entwickeln. Auch Bandagen, die gut am Knie oder an sonstigen Gelenken halten, basieren auf dem Prinzip

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„Das Innovative an unserem Ansatz ist, dass wir Werkzeuge und Konzepte aus der Mechanik, kombiniert mit dem Vorbild geschuppter Tiere, verwendet haben, um eine neue Klasse medikametenfreisetzender Systeme zu entwickeln“, sagt Sahab Babaee vom MIT. „Die Kirigami-Stents wurden so konstruiert, dass sie eine reversible Formveränderung ermöglichen: von einer flachen Form zu einer 3D-Nadel mit Knick für den Eingriff in das Gewebe und dann wieder in die ursprüngliche flache Form für eine einfache und sichere Entfernung.“

Nadeln transportieren Arzneistoffe

Im Experiment beschichtete das MIT-Team die Kunststoffnadeln mit Mikropartikeln, die Medikamente tragen können. Ihre Idee: Nachdem Ärzte den Stent endoskopisch eingeführt haben, wird mit Hilfe des gleichen Endoskops ein Ballon im Inneren der Röhre aufgeblasen, wodurch sich die Röhre dehnt. Wenn sich der Schlauch dehnt, bewirkt die Zugbewegung, dass die Nadeln im Kunststoff aufspringen und ihre Ladung freigeben.

Die Forscher entwickelten Kirigami-Nadeln in verschiedenen Größen und Formen. Indem sie diese Merkmale sowie die Dicke der Kunststofffolie variieren, können sie steuern, wie tief die Nadeln in das Gewebe eindringen. „Der Vorteil unseres Systems ist, dass es angepasst werden kann, passend zur Größe der röhrenförmigen Zielkompartimente des Magen-Darm-Trakts oder anderer röhrenförmiger Organe übereinzustimmen“, sagt Babaee.

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Erste Untersuchung im Tierexperiment

Nach den Vorarbeiten testeten Forscher ihre Stents in der Speiseröhre von Schweinen. Sie brachten ihr Tool per Endoskop in den Magen-Darm-Trakt der Tiere. Sobald der Stent an seinem Platz war, bliesen die Ingenieure den Ballon im Inneren des Stents auf, sodass die Nadeln herausspringen konnten. Die Spitzen drangen rund einen halben Millimeter in das Gewebe ein. Sie waren mit Mikropartikeln beschichtet, die Budesonid enthielten. Das Medikament wird bei verschiedenen chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen verordnet.

Sobald die arzneimittelhaltigen Partikel im Gewebe deponiert waren, ließen die Forscher die Luft aus dem Ballon ab. Dann konnten sie den Stent wieder entfernen. Dieser Vorgang dauerte nur wenige Minuten. Danach blieben die Mikropartikel im Gewebe und gaben nach und nach Budesonid für etwa eine Woche ab. Je nach Zusammensetzung der Partikel könnten sie so eingestellt werden, dass sie über einen noch längeren Zeitraum Medikamente freisetzen.

Die Idee ist nicht neu, scheiterte aber bislang daran, dass sich im Magen-Darm-Trakt ständig Nahrung bewegt. Der innovative Stent verankert sich im Gewebe. Dann gibt er Pharmaka über eine gewisse Zeit ab und wird wieder entfernt.

Noch ein weiter Weg bis zur Anwendung 

Vom Labor bis zur Anwendung sind bei Stents als Hochrisiko-Medizinprodukten zahlreiche Hürden zu nehmen. Die Forscher müssen im ersten Schritt präklinische Daten zur Sicherheit und zur Funktionalität sammeln. Das geschieht in weiteren Tierversuchen. Läuft alles nach Plan, folgen klinische Studien mit Patienten. An der Stelle wird man aber Personen mit unterschiedlichen Erkrankungen und mit unterschiedlichen Arzneimitteltherapien untersuchen – schließlich muss der Stent in jeder Situation einen bestimmten Wirkstoff in genau definierter Menge pro Zeit abgeben.

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Ein Beitrag von:

  • Michael van den Heuvel

    Michael van den Heuvel hat Chemie studiert. Unter anderem arbeitet er für Medscape, DocCheck, für die Universität München und für pharmazeutische Fachmagazine. Seit 2017 ist er selbstständiger Journalist und Gesellschafter von Content Qualitäten. Seine Themen: Chemie/physikalische Chemie, Energie, Umwelt, KI, Medizin/Medizintechnik.

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