Mit neuer Kameratechnik wird auch die letzte Krebszelle sichtbar
Es ist der Albtraum jedes Krebspatienten: Bei der OP wird Tumorgewebe übersehen. Mit einem neuen bildgebenden Verfahren werden Chirurgen während der OP künftig noch genauer sehen können, welches Gewebe befallen ist. Der Trick: Die Krebszellen verraten sich per Fluoreszenz.
Ein Krebsgeschwulst per chirurgischem Eingriff zu entfernen ist ein Drahtseilakt. Es ist äußerst schwierig, die vom Tumor befallenen Geweberegionen vom umgebenden gesunden Gewebe zu unterscheiden. Selbst mit einem gut geschulten Auge und Spezialausbildung ist es in vielen Fällen kaum möglich zu erkennen, wo der Krebs anfängt und wo er endet. Häufig versuchen die Operateure deshalb mit Fluoreszenz-Farbstoffen, den Tumor zu markieren.
Die Fluoreszenz-Farbstoffe werden dem Patienten vor der Operation injiziert und docken auf ihrem Weg durch den Körper gezielt am Tumor an. Das funktioniert auch weitgehend. Wird das entsprechende Areal im Patienten dann mit Licht einer bestimmten Wellenlänge bestrahlt, wird die Fluoreszenz angeregt. Das bösartige Gewebe verrät sich, indem es grün, blau oder rot aufleuchtet – je nach verwendetem Fluoreszenz-Farbstoff.
Chirurg ist immer auf einem Auge blind
Allerdings zeigt die Kamera des Endoskops während der Operation entweder das normale Farbbild oder die fluoreszierenden Marker. Der Chirurg sieht das Umgebungsgewebe oder den fluoreszierenden Tumor – aber nie beides gleichzeitig. Der Chirurg ist immer auf einem Auge blind. Und das erschwert die chirurgische Arbeit.
Der Physiker Nikolaos Deliolanis von der Fraunhofer-Projektgruppe für Automatisierung in der Medizin und Biotechnologie (PAMB) in Mannheim hat jetzt in enger Kooperation mit dem Urologen Prof. Christian Bolenz vom Universitätsklinikum Ulm ein Verfahren entwickelt, um diese partielle Blindheit zu beenden.
Ergebnis jahrelanger Tüftelarbeit
Das Echtzeit-Multispektral-Bildgebung genannte Verfahren ist das Ergebnis jahrelanger Tüftelarbeit am PAMB, einer Außenstelle des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. „Der Trick bestand darin, verschiedene Techniken zu kombinieren“, berichtet Deliolanis. Die verwendete Lichtquelle emittiert ein spezielles Lichtspektrum, bei dem einige Wellenlängen unterdrückt sind.
So erhellt sie zwar die Umgebung, regt aber auch das Leuchten der fluoreszierenden Moleküle an. Eine Kamera macht in rascher Folge abwechselnd farbige Bilder der normalen Umgebung des gesunden Gewebes und der Fluoreszenz des Tumorgewebes.
„Man erkennt Nerven, Tumore und Blutgefäße“
„Der eigentliche Livestream entsteht durch eine eigens entwickelte Software, die dafür sorgt, dass die verschiedenen Aufnahmen so überlagert werden, dass sie zu einem Bild verschmelzen“, erklärt der Physiker. In der Überlagerung zeigt das Kamerasystem nun den Farbstoff und das Farbbild gleichzeitig an. „Da der Mediziner jetzt beide Aufnahmen gleichzeitig sieht, ist es für ihn einfacher, den Tumor zu entfernen“, betont Deliolanis. Bis zu sechs verschiedenen Fluoreszenzmarker lassen sich mit dem neuen bildgebenden Verfahren sichtbar machen.
Auf dem Monitor im Operationssaal werden sie, eingebettet in das umliegende Gewebe, in unterschiedlichen Farben sichtbar. „Man erkennt beispielsweise Nerven, Tumore und Blutgefäße“, so Deliolanis. „Für Chirurgen, die während eines endoskopischen Eingriffs beispielsweise die Grenzen zwischen Tumor und Gewebe exakt lokalisieren, gleichzeitig aber keine Nerven zerstören wollen, wird diese Bildgebung eines Tages sehr hilfreich sein.“
2. Platz beim Hans-Jürgen Warnecke Innovationspreis
Mit dieser Einschätzung ist der Physiker nicht alleine. Am vergangenen Freitag ist sein Forscherteam beim 24. Innovationstag des Fraunhofer IPA in Stuttgart mit dem 2. Platz beim renommierten Hans-Jürgen Warnecke Innovationspreis ausgezeichnet worden. Die 1993 erstmals ausgelobten Preise werden seit 2012 unter dem Namen und der Schirmherrschaft von Hans-Jürgen Warnecke verliehen, ehemaliger Fraunhofer-Präsident und IPA-Institutsleiter a.D.
Mit einer ähnlichen Technik ist es übrigens auch schon gelungen, beispielsweise im Brandenburger Dom verborgene Bilder wieder sichtbar zu machen. Wie? Das lesen Sie hier.
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