Navi im Kopf oder wie orientiert sich das menschliche Gehirn?
Das Gehirn nutzt eine Kombination aus körperlichen Informationen und mentalen Karten zur Navigation. Forschung zeigt, wie Unsicherheiten diese Prozesse beeinflussen.
Die Fähigkeit des Menschen, sich zu orientieren und zu navigieren, ist eine komplexe Leistung des Gehirns. Diese Fähigkeiten werden in einem kürzlich veröffentlichten Artikel in Zeitschrift „Nature Communications“ beleuchtet. Professor Constantin Rothkopf von der TU Darmstadt und sein Team haben untersucht, wie das menschliche Gehirn Navigationsverhalten und dabei entstehende Unsicherheiten vorhersagen kann.
Inhaltsverzeichnis
Gehirn folgt einem dualen Ansatz
Das Gehirn nutzt laut dem Forschungsteam für die Navigation eine Kombination aus körperlichen Informationen und einer internen mentalen Karte. Körperliche Informationen beinhalten unter anderem die motorische Erinnerung an den zurückgelegten Weg.
Die mentale Karte repräsentiert eine interne Vorstellung der Umgebung. Diese Informationen sind jedoch oft unvollständig oder ungenau. Das Gehirn kalkuliert daher kontinuierlich den Weg unter Berücksichtigung der bestehenden Unsicherheiten.
So funktioniert der Navigationsprozess im Gehirn
Das Team der TU Darmstadt beschreibt den Navigationsprozess im Gehirn wie folgt: Während wir uns durch unsere Umgebung bewegen, müssen wir wissen, wo unser Ziel ist und wo wir uns gerade befinden. Diese Informationen erhalten wir über unsere Sinne und Erinnerungen.
Das Gehirn konstruiert und aktualisiert eine mentale Karte, die es uns ermöglicht, unseren Weg zu planen und zu korrigieren. In vertrauter Umgebung geschieht dies meist mühelos. Bei Dunkelheit oder in unbekannter Umgebung wird es jedoch schwierig. Eine Verschlechterung der Navigationsleistung ist ein frühes Anzeichen vieler neurodegenerativer Erkrankungen.
Die „kognitive Revolution“ in der Navigationsforschung
Wie das Forschungsteam in seiner Arbeit darlegt, hat in der Erforschung des menschlichen Navigationsverhaltens ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Dieser wird als „kognitive Revolution“ bezeichnet.
Früher ging man davon aus, dass das Verhalten hauptsächlich durch Reiz-Reaktions-Schemata bestimmt wird. Heute weiß man, dass interne kognitive Repräsentationen der Außenwelt eine wichtige Rolle spielen. Diese inneren Bilder von Objekten und Umgebungen helfen uns, uns zu orientieren und Entscheidungen zu treffen.
Interdisziplinäre Forschung
Die Forschung in diesem Bereich ist interdisziplinär und verbindet Cognitive Science, Neurowissenschaft und künstliche Intelligenz. Die Bedeutung dieser Forschung wird durch die Verleihung des Nobelpreises für Physiologie und Medizin 2014 unterstrichen. Dieser Preis wurde für die Entdeckung von Neuronen im Tiergehirn vergeben, die sowohl die Position im Raum als auch die Richtung codieren. Ähnliche Zellen wurden inzwischen auch beim Menschen entdeckt.
Gleichwohl bleiben noch viele Fragen unbeantwortet, sagt das Forschungsteam. Selbst für technische Systeme wie Google Maps ist es schwierig, die Position und Orientierung immer genau zu bestimmen. Google Maps zeigt daher die vermutete Position mittels einer Ellipse an, die den Grad der Unsicherheit darstellt.
Das menschliche Gehirn muss ebenfalls die Unsicherheit seiner Positionsbestimmung in Echtzeit berücksichtigen, um optimale Entscheidungen zu treffen. Diese Unsicherheiten können verschiedene Ursachen haben, wie etwa eine ungenaue mentale Karte oder Fehler in der Wahrnehmung. Menschen versuchen, diese Unsicherheiten durch das Suchen nach zusätzlichen Informationen wie Landmarken zu reduzieren.
Wie dynamische Unsicherheiten in unsere Entscheidungen einfließen
Und was ist nun das Ergebnis der Forschung? Durch die Analyse von Navigationsdaten dreier internationaler Labore aus den letzten 15 Jahren konnte das Forschungsteam zeigen, dass das Navigationsverhalten nicht nur durch die Integration verschiedener Informationsquellen beeinflusst wird, sondern auch durch die dynamische Berechnung von sich ändernden Unsicherheiten in Navigationsentscheidungen.
Mit einem speziell entwickelten Computermodell konnten sie das menschliche Navigationsverhalten einschließlich der auftretenden Fehler und Variabilitäten vorhersagen. Dieses Modell ist einzigartig und bietet eine umfassende Erklärung für Navigationsfehler sowie die Möglichkeit, sowohl quantitative als auch qualitative Vorhersagen über das menschliche Navigationsverhalten zu treffen.
Fabian Kessler, Erstautor des Artikels erklärt: „Was wir zeigen können, ist: Menschen planen beim Navigieren ihre Handlungen aufgrund von subjektiven unsicheren mentalen Repräsentationen, welche nach und nach durch die Interaktion von unsicheren Wahrnehmungen und unsicheren Handlungen geformt werden, und dadurch entsteht letztlich die Variabilität im Navigationsverhalten“.
Hier geht es zur Originalpublikation auf Nature Communications
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