Nervenstimulation mit dem Herzschlag : „Elektrische Pille“ bringt Hoffnung bei chronischen Schmerzen
Stellen Sie sich vor, Sie könnten chronische Schmerzen oder neurologische Erkrankungen ohne Medikamente lindern – einfach durch die Stimulation eines Nervs. Eine Studie der TU Wien zeigt, wie die gezielte Aktivierung des Vagusnervs, angepasst an die natürlichen Rhythmen von Herzschlag und Atmung, erstaunliche Ergebnisse bringen könnte.
Nervenstimulation kann bei verschiedenen Krankheiten helfen – besonders, wenn sie an die natürlichen Rhythmen des Körpers angepasst wird, wie eine Studie der TU Wien zeigt.
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Was zunächst unscheinbar wirkt, könnte für Millionen eine Alternative zu Medikamenten sein – von der Linderung chronischer Schmerzen bis hin zur Behandlung neurologischer Erkrankungen.
Denn: Nicht immer sind Medikamente nötig: Chronische Schmerzen, Entzündungen und neurologische Krankheiten lassen sich oft auch durch Nervenstimulation behandeln. Dabei kommen beispielsweise Elektroden zum Einsatz, die am Ohr angebracht werden und den Vagusnerv aktivieren. Diese Methode wird manchmal als „elektrische Pille“ bezeichnet.
Die Rolles des Vagusnerves
Der Vagusnerv ist ein wichtiger Teil unseres Körpers. Der Vagusnerv, auch als „zehnter Hirnnerv“ bezeichnet, ist der wichtigste Nerv des Parasympathikus. Der Parasympathikus ist ein Teil des vegetativen (autonomen) Nervensystems, das die unbewussten Abläufe in unserem Körper steuert. Er ist für Entspannung, Erholung und den Aufbau von Energiereserven zuständig – quasi der „Ruhenerv“ des Körpers. Als längster Nerv des Parasympathikus steuert nun der Vagusnerv die inneren Organe, den Blutkreislauf und hilft bei Erholung und Regeneration. Ein Teil des Vagusnervs verläuft vom Gehirn bis ins Ohr. Deshalb kann man ihn mit kleinen Elektroden am Ohr aktivieren, das Gehirn stimulieren und so verschiedene Körperfunktionen beeinflussen.
Die elektrische Stimulation an die natürlichen Rhythmen des Körpers anpassen
Doch die die Vagusnerv-Stimulation wirkt nicht immer wie erhofft. Eine Studie der TU Wien und der Wiener Privatklinik zeigt, wie sich das verbessern lässt: Die Behandlung funktioniert besonders gut, wenn die elektrische Stimulation an die natürlichen Rhythmen des Körpers, wie Herzschlag und Atmung, angepasst wird.
„Es zeigt sich allerdings, dass diese Stimulation nicht immer die erhofften Ergebnisse bringt“, erklärt Prof. Eugenijus Kaniusas vom Institut für Biomedizinische Elektronik der TU Wien. „Nicht zu jedem Zeitpunkt hat eine elektrische Stimulation einen Effekt auf das Nervensystem. Man könnte sagen: Das Gehirn hört nicht immer zu. Es ist, als gäbe es ein Tor in die Schaltzentrale des Nervensystems, das manchmal offen und dann wieder geschlossen ist, und das kann sich innerhalb von weniger als einer Sekunde ändern.“
Der perfekte Rhythmus
In einer Pilotstudie wurden fünf Personen untersucht, bei denen der Vagusnerv elektrisch aktiviert wurde, um die Herzfrequenz zu senken. Bereits aus früheren Studien weiß man, dass die Herzfrequenz ein Hinweis darauf sein kann, ob die Stimulationstherapie wirkt oder nicht.
Die Ergebnisse zeigten, dass der richtige Zeitpunkt für die Stimulation entscheidend ist. Wenn der Vagusnerv in einem Rhythmus stimuliert wird, der nicht zum Herzschlag passt, hat es kaum eine Wirkung. Ist die Stimulation jedoch genau dann, wenn das Herz gerade schlägt (während der Systole), ist die Wirkung viel stärker – deutlich mehr als während der Entspannungsphase des Herzens, der Diastole.
Auch die Atmung spielt eine Rolle: Die Stimulation war viel wirkungsvoller während der Einatmung als während der Ausatmung.
Wie das Timing chronische Erkrankungen effektiver behandeln kann
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Synchronisierung der Vagusnerv-Stimulation mit dem Herz- und Atemrhythmus die Effektivität deutlich steigert. Das könnte helfen, die Behandlungserfolge bei chronischen Erkrankungen zu verbessern – ganz besonders bei jenen, die zuvor aus bis jetzt unerklärbaren Gründen auf die Therapie nicht angesprochen haben“, kommentiert Eugenijus Kaniusas.
Wenn die Nervenstimulation so angepasst wird, dass sie genau mit den natürlichen Rhythmen des Körpers übereinstimmt, könnten viel bessere Ergebnisse erzielt werden. Zukünftige Studien sollen größere Patientengruppen untersuchen und genauere Algorithmen entwickeln, um die Stimulation noch besser auf die individuellen Bedürfnisse abzustimmen.
„Diese Technologie könnte eine effektive und nicht-invasive Möglichkeit sein, um das autonome Nervensystem gezielt und schonend zu modulieren — ein potenzieller Meilenstein in der neuromodulatorischen Behandlung unterschiedlicher chronischer Erkrankungen“, resümiert Dr. Joszef Constantin Szeles von der Wiener Privatklinik.
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