Medizintechnik 09.02.2023, 07:00 Uhr

Neue Membran könnte die Wundheilung revolutionieren

Chronische Wunden, vor allem beim diabetischen Fuß, sind die Hauptursache für Amputationen. Fraunhofer-Forschende haben jetzt eine Membran vorgestellt, die eine wichtige Hilfe sein könnte, um dieses Problem zu lösen. Denn sie lässt weiterhin Nährstoffe durch, was eine Grundvoraussetzung für die Wundheilung ist.

Membran

Diese unscheinbare Membran kann Wunden verschließen.

Foto: Fraunhofer ISC

Chronische Wunden sind eines der größten Probleme im Pflegealltag. Einerseits binden sie große Kapazitäten – ambulante Pflegedienste fahren nur deswegen zu vielen Senioren und Seniorinnen, die sonst fit sind, weil sie deren Wunden versorgen müssen. Andererseits stellen chronische Wunden eine große Belastung für die Betroffenen dar. Diese ziehen sich oftmals zurück, weil ihnen die Wunden unangenehm sind oder sogar die Mobilität einschränken. Im schlimmsten Fall werden Amputationen notwendig, wenn das medizinische Personal die chronische Wunde nicht in den Griff bekommt.

Hier sind dringend Lösungen gefragt, und jetzt ist eine in Sicht: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vom Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC und vom Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM haben aus bioresorbierbarem Kieselgel Renacer® eine elektroversponnene Membran hergestellt, die weder zell- noch gentoxisch ist. Diese neuartige Matrix ahmt Faserstrukturen nach, die im Bindegewebe vorkommen und könnte die Versorgung chronischer Wunden einen wichtigen Schritt voranbringen. Sie ist vollständig biologisch abbaubar.

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Auf die Größe kommt es an: Wunden mit Nanopartikeln gezielt verschließen

Basisvlies für die Wundheilung ist bereit medizinisch zugelassen

Die Behandlung großflächiger Wunden ist eine große Herausforderung, sobald sie chronisch geworden sind. Das ist besonders häufig bei Menschen mit einer gestörten Wundheilung ein Problem, etwa bei Diabetikern und Diabetikerinnen. Auch bei inneren Wunden ist es nicht leicht, den Heilungsprozess effektiv zu unterstützen. In beiden Fällen soll die neue Membran zum Einsatz kommen.

Basis ist Faservlies, das ein Team am Fraunhofer ISC bereits zuvor entwickelt hatte. Es ist medizinisch zugelassen für die Behandlung chronischer Wunden. Dabei löst es sich im Verlauf des Heilungsprozesses vollständig auf, nach sechs bis acht Wochen. Dieses Vlies konnten die Experten und Expertinnen in seiner Struktur nun so verändern, dass es die Faserstrukturen des Bindegewebes nachahmt.

Feine Struktur ermöglicht Einsatz zur Wundheilung im Körperinneren

Dafür hat das Team den Faserdurchmesser von ursprünglich 50 Mikrometer um mehr als das 50-fache verringert, sodass er jetzt bei weniger als einem Mikrometer liegt. Gelungen ist den Forschenden das über die Methode des sogenannten Elektrospinnens. Dabei wird ein elektrisches Feld verwendet, um die dünnen Fäden herzustellen. Auf dem Kieselgel-Sol wurde so eine engmaschige Kieselgel-Membran.

„Diese Fasersysteme ahmen die extrazelluläre Matrix, also Faserstrukturen, die im Bindegewebe vorkommen, im Körper nach und werden von humanen Zellen sehr gut zur Regeneration angenommen“, sagt Bastian Christ, Wissenschaftler am Fraunhofer ISC in Würzburg. „Sie verursachen keine Fremdkörperreaktionen und keine inneren Vernarbungen. Die neuartige Kieselgel-Membran setzt nur ein Degradationsprodukt frei, die Monokieselsäure, die im Körper regenerierend wirkt und das Schließen von Wunden fördert.“

Dieses dünnere Faservlies ist nach Angabe der Forschenden auch für innere Wunden geeignet. Zum Beispiel sei es möglich, Füllmaterial, das für Knochendefekte im Kiefer genutzt wird, mit dieser Membran abzudecken, um die Wundheilung zu erleichtern. „Prinzipiell lässt sich die Membran im Körper mit bioabbaubaren Klebstoffen verkleben“, sagt Christina Ziemann, Wissenschaftlerin am Fraunhofer ITEM. Sie ist für die biologische Evaluierung des Materials zuständig.

Prototyp zeigt sehr gute Ergebnisse im Praxistest

Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen konnten bereits nachweisen, dass der Prototyp der Membran über eine Barrierefunktion verfügt, die den Durchtritt von Bindegewebszellen über die Dauer von mindestens sieben Tagen verhindert, ohne die Zellen vom Wachstum abzuhalten. Darüber hinaus ist die Membran resorbierbar und weist keine Zyto- oder Gentoxizität auf, sie verursacht also weder direkte Schäden am Gewebe noch an der DNA.

Für die Anwendung als Adhäsionsbarriere, um postoperative Verwachsungen und Narbenbildung zu vermeiden, wurde ein dünner Faserdurchmesser mit dünnen Maschen gewählt, sodass nur Nährstoffe das Faservlies passieren konnten – jedoch keine Bindegewebszellen. Ist der Faserdurchmesser hingegen größer, wachsen die Zellen in das Fasergeflecht ein, vermehren sich dort und wirken regenerierend auf das umliegende Gewebe. Das Verhalten der Zellen lässt sich also durch angepasste Materialeigenschaften verändern.

Membran ermöglicht Nährstofftransport für die Wundheilung

Wichtig: Die offenmaschige Membran ermöglicht einen Nährstofftransport, obwohl sie den Zelldurchtritt verhindert. Das Gewebe wird also ausreichend versorgt, und der Körper kann Stoffwechselprodukte abtransportieren. Gleichzeitig ist es möglich, Wirkstoffe in die Membran zu integrieren, die freigesetzt werden, wenn sich das Vlies nach und nach auflöst.

Nach einigen Wochen hat sich die Membran nahezu pH-neutral zu untoxischer Monokieselsäure zersetzt, der wasserlösliche Form von Kieselsäure. Sie ist auch natürlicherweise im Körper vorhanden und stimuliert den Bindegewebsaufbau in der Haut und den Knochenaufbau.

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Ein Beitrag von:

  • Nicole Lücke

    Nicole Lücke macht Wissenschaftsjournalismus für Forschungszentren und Hochschulen, berichtet von medizinischen Fachkongressen und betreut Kundenmagazine für Energieversorger. Sie ist Gesellschafterin von Content Qualitäten. Ihre Themen: Energie, Technik, Nachhaltigkeit, Medizin/Medizintechnik.

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