Innovativer Kunststoff 29.06.2020, 07:00 Uhr

Neuartiges Pflaster soll Nähte bei Operationen ersetzen

Chirurgische Nähte sind nicht die beste Alternative, um innere Wunden zu schließen. Jetzt stellen Ingenieure ein innovatives Pflaster vor. Es verklebt Gewebe, lässt sich bei Bedarf aber gezielt entfernen.

Lassen sich Schnitte oder Risse in Organen bald mit Pflastern reparieren? Das hoffen US-amerikanische Forscher. 
Foto: panthermedia.net/farbenfinsternis

Lassen sich Schnitte oder Risse in Organen bald mit Pflastern reparieren? Das hoffen US-amerikanische Forscher.

Foto: panthermedia.net/farbenfinsternis

Pro Jahr führen Chirurgen nach Schätzung des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge weltweit mehr als 230 Millionen größere Operationen durch. Um Wunden zu schließen, sind oft Nähte erforderlich. Sie belasten das Gewebe und führen mitunter zu Schmerzen, zu Narben, aber auch zu Infektionen.

Forscher am MIT schlagen einen grundlegend neuen Ansatz vor. Sie wollen Gewebe mit biokompatiblen Kunststoffen versiegeln. Aus ihren Labors kommt nicht nur das Polymer, sondern auch ein spezielles Klebeband, um innere und äußere Wunden zu schließen. Es lässt sich mit harmlosen Chemikalien leicht wieder ablösen.

Von Spinnen lernen

Im vergangenen Jahr haben MIT-Ingenieure einen Klebstoff entwickelt, der schnell und fest auf Oberflächen wie biologischen Geweben haftet. Inspiriert von einer klebrigen Substanz, mit der Spinnen ihre Beute fangen, stellten sie daraus ein doppelseitiges Klebeband her, um Gewebe schnell zu verschließen.

Erste Tests mit Ratten und Schweinen verliefen vielversprechend. Das neue Klebeband konnte Gewebestücke der Lunge oder des Darms innerhalb von nur fünf Sekunden verbinden – etwa nach einem Schnitt oder einem Riss. Doch eine Schwachstelle hatte das Pflaster: Es ließ sich nur schwer wieder entfernen, falls es beispielsweise während der Operation angepasst oder nach Abheilung der Verletzung entfernt werden muss.

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Schritt eins: Festere Bindungen zwischen Gewebe und Klebeband

Bei Experimenten mit dem ursprünglichen Klebstoff stellten die Ingenieure schnell fest, dass ihr Klebeband an nassen Oberflächen nur schlecht haftet. Denn eine dünne Wasserschicht führt zu schlechteren Wechselwirkungen zwischen dem Gewebe und dem Polymer.

Deshalb kamen im ersten Schritt Polymere zum Einsatz, die unter anderem Polyacrylsäure enthielten: ein äußerst saugfähiges Material, das beispielsweise in Windeln und Pharmazeutika verwendet wird. Es nimmt Wasser auf und bildet schwache Wasserstoffbrücken mit der Oberfläche des biologischen Gewebes aus.

Um diese Bindungen zu verstärken, betteten die Forscher das Material in sogenannte NHS-Ester ein. NHS ist N-Hydroxysuccinimid. Das Molekül hat funktionelle Gruppen, welche stärker mit Proteinen auf der Oberfläche eines Gewebes wechselwirken. So weit, so gut. Nur waren die Bindungen jetzt so fest, dass sich das Klebeband nicht mehr von Organen ablösen ließ, ohne Schäden zu verursachen. Mögliche Entzündungsreaktionen oder Risse im Gewebe wären die Folge gewesen.

Schritt zwei: Das Tape gezielt entfernen

Um den Klebstoff zu modifizieren, kam erneut die Polymerchemie zum Zuge. Zum ursprünglichen Material fügten die Wissenschaftler ein neues Disulfid-Linkermolekül hinzu. Es wirkt bei Bindungen zwischen dem Klebstoff und den Proteinen im Gewebe als Brücke. Solche Bindungen sollten sich leicht lösen lassen, doch bekannte Chemikalien waren ungeeignet.

Die Forscher durchsuchten deshalb wissenschaftliche Publikationen, um ein Reduktionsmittel zu finden, das sowohl biokompatibel ist als auch Bindungen innerhalb des Klebstoffs lösen kann. Sie fanden heraus, dass Glutathion, ein Antioxidans, das in den meisten Zellen natürlich vorkommt, Disulfid-Bindungen spalten kann. Und gegen Wasserstoffbrücken half das Natriumbicarbonat – es ist etwa in Backpulver zu finden.

Das Team mischte Glutathion und Natriumbicarbonat in einer Kochsalz-Lösung zusammen. Dann wurde die Flüssigkeit über Klebstoffproben gesprüht, die an verschiedene Organ- und Gewebeproben klebten. Zum Einsatz kamen Herzen, Lungen und Darmgewebe von Schweinen. Unabhängig davon, wie lange sich das Tape schon auf Geweben befand, konnte es in nur fünf Minuten abgelöst werden. Alle biologischen Strukturen blieben dabei intakt.

„Das ist ungefähr die Zeit, die die Lösung benötigt, um durch das Band an die Oberfläche zu diffundieren, wo das Band auf das Gewebe trifft“, sagt Xiaoyu Chen vom MIT. „Zu diesem Zeitpunkt wandelt die Lösung den Klebstoff oberflächlich in ein Gel um, das Sie leicht abziehen können.“

Perspektiven für Medizinprodukte

Die Forscher stellten auch eine Version ihres Klebstoffs her, die sie mit winzigen Kanälen versahen. Durch solche Kapillaren diffundieren Flüssigkeiten ins Innere. Das Design könnte sich als nützlich erweisen, wenn das Klebeband zum Anbringen von Implantaten und anderen medizinischen Geräten verwendet wird. In diesem Fall wäre eine Sprühlösung auf die Oberfläche des Bandes keine Option. Stattdessen könnte ein Chirurg die Lösung an den Kanten des Bandes auftragen, wo sie durch Kanäle des Klebstoffs nach innen diffundiert und das Tape schließlich ablöst.

„Unser Ziel ist es, bioadhäsive Technologien zu verwenden, um Nähte zu ersetzen. Dies ist eine Jahrtausende alte Wundverschlusstechnologie ohne allzu große Innovationen“, sagt Xuanhe Zhao vom MIT. Der Ingenieur hofft, Polymere könnten in nicht allzu ferner Zukunft Nähte ersetzen.

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Ein Beitrag von:

  • Michael van den Heuvel

    Michael van den Heuvel hat Chemie studiert. Unter anderem arbeitet er für Medscape, DocCheck, für die Universität München und für pharmazeutische Fachmagazine. Seit 2017 ist er selbstständiger Journalist und Gesellschafter von Content Qualitäten. Seine Themen: Chemie/physikalische Chemie, Energie, Umwelt, KI, Medizin/Medizintechnik.

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