Anschluss ans Nervensystem 22.02.2024, 07:00 Uhr

Prothesen spüren – dank passender Signale ans Gehirn

Wie so häufig liegt die Antwort in der Natur: ETH-Forschende haben eine Beinprothese entwickelt, die mit dem Gehirn kommunizieren kann. Möglich wird dies dank natürlicher Signale, die das Gehirn viel besser verarbeiten kann. Erste Tests ergaben, dass sich diese Prothesen deutlich angenehmer und intuitiver nutzen lassen.

Darstellung eines Läufers mit Beinprothese

Wer eine Beinprothese trägt, profitiert von funktionellen und kognitiven Vorteilen, wenn das Gehirn passende Signale erhält.

Foto: Pietro Comaschi

Arm- und Beinprothesen gehören wohl zu den bekanntesten „Ersatzteilen“. Sie helfen Menschen dabei, tägliche Aktivitäten und Routinen eigenständiger und zufriedenstellender zu bewältigen. Hochleistungssportler wie Markus Rehm, mehrfacher Weltmeister und Paralympicssieger im Weitsprung, und Johannes Floors, mehrfacher Welt- und Europameister sowie Paralympicssieger in den Sprint-Disziplinen der Leichtathletik, haben gezeigt, dass mit Prothesen nicht nur der Alltag angenehmer zu gestalten ist, sondern Spitzenleistungen möglich sind. Rehm hat eine Unterschenkelprothese, Floors an beiden Beinen.

Handprothese mit Ultraschallsensoren und KI

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Nun ist Prothese nicht gleich Prothese. Unter ihnen gibt es sogenannte Neuroprothesen. Das Besondere an ihnen: Diese elektromechanischen Geräte haben eine Verbindung zum Nervensystem. Dadurch sollen Trägerinnen und Träger sie besser ansteuern und nutzen können. Doch bislang ist es nicht gelungen, dass diese Prothesen ein natürliches Gefühl produzieren. Stattdessen empfinden die Menschen, die sie nutzen, eher ein unangenehmes Kribbeln auf der Haut. Forschende der ETH Zürich haben es nun geschafft, die Ursache zu finden und eine Lösung für das Problem zu entwickeln.

Wer seine Prothese spürt, nutzt sie viel intuitiver

Das Forscherteam um Stanisa Raspopovic vom Neuroengineering Lab der ETH Zürich beschäftigt sich bereits seit einigen Jahren mit Prothesen. Es ist ihnen bereits gelungen, dass Menschen, denen ein Bein amputiert wurde, ihre Beinprothese tatsächlich spüren konnten. Möglich machte das eine implantierte Elektrode, die den Ischiasnerv mit dem Oberschenkelstumpf verband. Auf diese Art und Weise erhielt das Gehirn Informationen von den verschiedenen Bewegungsabläufen des Beines, zum Beispiel über die sich stetig verändernde Druckbelastung an der Fußsohle der Prothese. Das führte vor allem dazu, dass die Menschen ihrem Ersatzkörperteil mehr Vertrauen schenkten und es intuitiver nutzten.

„Im Unterschied zu unserer experimentellen Beinprothese sind aktuelle Neuroprothesen allerdings noch nicht in der Lage, ein natürliches Gefühl zu erzeugen. Oft führen sie stattdessen zu unangenehmen Empfindungen wie etwa einem Kribbeln auf der Haut“, sagt Raspopovic. Die Ursache führen die Forschenden auf eine sogenannte Überstimulation zurück. Denn aktuelle Neuroprothesen nutzen elektrische Pulsationen, die sich regelmäßig wiederholen. Das entspricht allerdings nicht der natürlichen Stimulation und kann zum beschriebenen negativen Empfinden führen. Raspopovic und sein Team setzen dagegen auf sogenannte biomimetische Signale. Die sind der Natur nachempfunden und sollen deshalb ein besseres Empfinden ermöglichen.

Computermodell simuliert Aktivität von Sinneszellen

Um diese Annahme zu überprüfen, entwickelte die Forschungsgruppe das Computermodell „FootSim“. Die Datenbasis des Modells stammt aus Kanada, wo ein Forscherteam die Aktivität von speziellen Sinneszellen in der Fußsohle aufzeichneten. Dafür berührten sie die Füße von gesunden Menschen an verschiedenen Stellen mit einem vibrierenden Stab. Mithilfe des Computermodells konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das dynamische Verhalten dieser Mechanorezeptoren simulieren und zugleich berechnen, wie sich die Nervensignale vom Fuß in Richtung Gehirn bewegen. „Das Modell zeigt uns auf, wie sich die Sinneszellen in den Fußsohlen während des Gehens oder Rennens verhalten, was experimentell unmöglich zu messen ist“, sagt Natalija Katic, die zu Raspopovics Forschungsteam gehört und „FootSim“ entwickelt hat.

Das Team überprüfte im Anschluss, wie sehr die errechneten biomimetischen Signale mit echten Nervensignalen übereinstimmen. Die Versuche wurden 2019 am Pavlov Institute of Physiology in St. Petersburg durchgeführt – gemäß den Richtlinien der Europäischen Union. Die Forschenden implantierten Katzen Elektroden an Nerven in Beinen und am Rückenmark. Danach bekam die Katzenpfote von unten Druck, um die natürliche Nervenaktivität während eines Katzenschritts zu provozieren. Die Daten ergaben, dass die im Rückenmark aufgezeichneten Aktivitätsmuster tatsächlich den Mustern entsprachen, die sich im Rückenmark zeigten, nachdem der Nerv im Bein mit biomimetischen Signalen stimuliert worden ist.

Gehirn kann natürliche Signale einfacher verarbeiten

Dagegen konnten die Forschenden erkennen, dass eine starre Simulation ein deutlich anderes Muster im Rückenmark hervorrief. Daraus schlussfolgerten sie, dass es in den neuronalen Netzen in der Wirbelsäule zu einer übermäßigen Informationsflut komme, die dann vermutlich zu den unangenehmen Empfindungen führten. Im Anschluss folgte eine klinische Studie mit beinamputierten Probanden. Das Ergebnis: Dank biomimetischer Stimulation konnten sie schneller Treppen steigen und machten sogar weniger Fehler, wenn sie dabei versuchten, Wörter rückwärts zu buchstabieren.

„Dank der biomimetischen Neurostimulation können sich die Probanden beim Gehen auf andere Dinge konzentrieren. Das zeigt uns, dass diese Art der Stimulation natürlicher verarbeitet wird und das Gehirn weniger belastet“, erklärt Raspopovic. Er plädiert deshalb dafür, die Sprache des Nervensystems zu erlernen, damit es möglich sei, mit dem Gehirn so zu kommunizieren, dass es die Anforderungen gut versteht.

Ein Beitrag von:

  • Nina Draese

    Nina Draese hat unter anderem für die dpa gearbeitet, die Presseabteilung von BMW, für die Autozeitung und den MAV-Verlag. Sie ist selbstständige Journalistin und gehört zum Team von Content Qualitäten. Ihre Themen: Automobil, Energie, Klima, KI, Technik, Umwelt.

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