Rheuma-Behandlung mit Radon auf dem Prüfstand
So mancher von Rheuma und anderen Leiden geplagte Patient und seine Ärzte schwören auf die lindernde Wirkung von Radon. Strahlenschützer jedoch sehen in dem Edelgas eine ernstzunehmende Gefährdung für die Gesamtbevölkerung. Was genau es im Menschen bewirkt, soll nun erstmals erforscht werden.
Seit 60 Jahren fahren Menschen mit Rheuma, Arthrose, Morbus Bechterew, Neurodermitis, Asthma und anderen Erkrankungen in die Radonstollen von Bad Gastein ein und setzen sich hier eine Stunde lang einer niedrig dosierten Alphastrahlung aus. Das Radon, das über die Haut und die Atemwege in den Körper gelangt, wirkt nicht sofort, dafür aber offenbar um so nachhaltiger. Für den ärztlichen Direktor der Heilstollen, Bertram Hölzl, ist die Radontherapie die „effektivste balneologische Therapieform“.
Beispiele wie die rheumatische Erkrankung Morbus Bechterew machen es nach Auffassung der Mediziner vor Ort deutlich: Sie verweisen auf zwei kontrollierte Patientenstudien, die belegen, dass sich nach einer Radontherapie die Beschwerden im Schnitt für neun Monate deutlich verbessern und für rund ein Jahr der Schmerzmittelkonsum zurückgeht. Ähnlich positive Effekte seien bei Arthrose und Rheumatoider Arthritis belegbar. Radon wirkt nach ihren Beobachtungen entzündungshemmend und schmerzlindernd.
Das gerade gestartete Projekt „Genetische Risiken und entzündungshemmende Wirkung von ionisierender Strahlung“ (Grewis) soll nun unter Federführung der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI), Darmstadt, erforschen, welche Mechanismen sich zellulär und molekular hinter den positiven Rückmeldungen der Patienten verbergen, sie auf ein „solides wissenschaftliches Fundament“ stellen und mit der entzündungshemmenden Wirkung von Röntgen- und Schwerionenstrahlen vergleichen.
„Es gibt nur Schätzungen, wie weit und wohin das Radon im Körper kommt“
„Es gibt nur Schätzungen, wie weit und wohin das Radon im Körper kommt“, erklärt Projektleiterin Claudia Fournier. „Dosimetrisch ist dies noch nie sichtbar gemacht worden.“ Das vom Bundesforschungsministerium (BMBF) mit 3 Mio. € geförderte Vorhaben ist eines der zentralen Projekte des Strahlenbiologischen Zentrums Darmstadt, zu dem die GSI und die TU Darmstadt gehört. Grewis-Partner sind zudem das Bundesamt für Strahlenschutz sowie die Universitäten Erlangen und Frankfurt.
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass der größte Teil der Bestrahlungsdosis nicht auf das Radon selbst zurückgeht, das als Edelgas den Körper relativ schnell wieder verlässt, sondern auf seine radioaktiven Zerfallsprodukte.
Spuren der beim Zerfallsprozess ausgesendeten Alphateilchen sollen nun durch physikalische Messungen und biologische Marker sichtbar gemacht werden. So könne man anhand der Anzahl der DNA-Doppelstrangbrüche, die durch Radonbestrahlung verursacht würden, die Dosis abschätzen, die in einem Gewebe tatsächlich ankomme und wirksam sei, berichtet Gerhard Thiel, Biochemiker an der TU Darmstadt.
Geklärt werden soll auch, welche Zellen überhaupt betroffen sind und ob es bestimmte Stellen im Körper gibt, an denen sich die Alphateilchen bevorzugt einlagern: „Wir schauen vor allem auf das Immunsystem, die Knochen, die Haut und die Lunge“, erläutert GSI-Wissenschaftlerin Fournier.
Dreh- und Angelpunkt der entzündungshemmenden Wirkung von Radon könnten die Immunzellen sein. Eine Vermutung, der das interdisziplinäre Grewis-Team jetzt auch nachgehen will, ist, dass das Edelgas die Anheftung von Immunzellen an die Blutgefäßwände und das anschließende Einwandern in entzündetes Gewebe zurückdrängt.
Da Immunzellen bei Autoimmunerkrankungen in hoher Zahl produziert und aktiviert werden, würde damit dem chronischen Entzündungsprozess der Nachschub abgeschnitten. Möglich ist nach Aussage der Fachleute aber auch, dass das Radon Einfluss auf die Mechanismen des geregelten Zelltods nimmt und dadurch die Überaktivität der betreffenden Immunzellen überhaupt zurückfährt: „Würde sich diese Annahme bestätigen“, sagt Thiel, „könnten medizinische Befunde, wie sie in Bad Gastein erhoben wurden, erhärtet werden.“
Placebo-Effekt bei der Rheuma-Behandlung mit Radon wahrscheinlich auszuschließen
Eine Placebowirkung glaubt Thiel ausschließen zu können. Projektkollegin Fournier schätzt zudem, dass keine messbare genetische Wirkung gefunden werden wird, die die therapeutische Anwendung von Radon „auf den Kopf stellen würde“.
Mit 1,8 mSv (Millisievert) geben die Experten im Gasteiner Heilstollen die durchschnittliche Ganzkörperdosis bei einer dreiwöchigen Kur an. Dies entspreche der durchschnittlichen Jahresbelastung eines Mitteleuropäers. Ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko, dem zum Beispiel Bergleute früher beim Uranabbau im Erzgebirge massiv ausgesetzt waren, beruhe, so der ärztliche Direktor Hölzl, nur auf mathematischen Modellen. Einen wissenschaftlichen Nachweis gebe es dafür nicht.
Anders sieht es bei der Belastung durch Radon in Wohnräumen aus, ein Thema, das das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) schon lange umtreibt. So verweist BfS-Experte Gerhard Kirchner auf epidemiologische Studien in Deutschland und Europa, die eine direkte Verknüpfung der Radonkonzentration des Wohnumfeldes mit Lungenkrebs bewiesen haben.
„Diese Verknüpfung ist statistisch signifikant für Wohnsituationen in Gebieten mit höherer Radonkonzentration im Untergrund“, betont Kirchner. 1,4 bis 1,6 Mio. Wohnungen seien nach seinen Angaben hierzulande im Schnitt von zu hohen Radonkonzentrationen betroffen.
„Radon ist eines der größten Strahlenschutzprobleme in Deutschland“, sagt Kirchner. Bislang sei es noch nicht gelungen, die Politik ausreichend hierfür zu sensibilisieren und dadurch gesetzliche Regelungen zum Schutz gegen die Radonexposition aus dem Boden durchzusetzen.
Forschung soll zeigen wie genau Radon gegen Rheuma wirkt
Der Strahlenexperte hofft nun, dass das Projekt Grewis hilft, die Wirkungsmechanismen des Edelgases zu begreifen und damit mehr Akzeptanz auch für die Strahlenschutzproblematik zu schaffen. In das Projekt bringen die Fachleute vom BfS viel Erfahrung mit Radonmessungen vor allem in geschlossenen Räumen mit. Die Radonkammer, die gerade bei der GSI gebaut wird, entsteht nach dortigem Vorbild.
Hier sollen nun Zellkulturen und rheumatische Labormäuse mit niedrigen Radondosen bestrahlt und anschließend mit den Mitteln der biologischen und physikalischen Dosimetrie untersucht werden. „Sollten wir Erfolg haben“, meint Biochemiker Thiel, „könnte vielleicht sogar die Quelle von Autoimmunerkrankungen bekämpft werden und nicht nur ihre Symptome.“
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