Schluss mit falscher Beinlänge nach OP: Präzises Messsystem statt Maßband
Ob das Bein eines Patienten, der ein künstliches Hüftgelenk bekommen hat, nach der OP genauso lang ist wie vorher, ist bisher offenbar Glückssache. Schon bei der Ermittlung der Beinlänge vor der Hüftimplantat-Operation vertun sich Ärzte um bis zu zwei Zentimeter. Eine dem Zirkel vergleichbare Messmethode, die unter Federführung des Fraunhofer IWU entwickelt wurde, soll da wesentlich präzisere Ergebnisse liefern.
Mehr als 200.000 künstliche Hüftgelenke werden nach Angaben des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU allein in Deutschland jährlich implantiert. Dabei wird üblicherweise im Oberschenkelknochen des Patienten ein Metallschaft verankert, der über einen Prothesenhals und den kugelförmigen Prothesenkopf mit einer künstlichen Pfanne ein Gelenk bildet.
Eine der großen Herausforderungen bei diesen Eingriffen in den Körper des Patienten ist die Rekonstruktion der natürlichen Biomechanik, sprich: Das Bein sollte nach der Hüftimplantat-Operationen genauso lang sein wie vorher. Sind die beiden Beine nach der OP unterschiedlich lang, macht die daraus resultierende Schiefstellung der Hüfte vor allem der Wirbelsäule Probleme.
Messung mit Maßband produziert grobe Fehler
Doch die übliche Methode zur Messung des Beines vor einer Hüft-Operation ist offenbar sehr ungenau. Der Arzt messe das Bein mit einem Maßband, wobei Fehler von bis zu zwei Zentimetern gemacht würden, informiert das Fraunhofer IWU, das zusammen mit Projektpartnern aus Industrie und Wissenschaft eine neuartige Messmethode entwickelt hat, die wesentlich präzisere Ergebnisse liefert.
„Bei unserem Verfahren liegt der Fehler unter einem Zentimeter“, erläutert Dr. Ronny Grunert, Wissenschaftler am IWU und einer der Koordinatoren des „Netzwerkes Kunstgelenk“, das im März 2013 mit Partnern aus Industrie und Forschung gegründet wurde. „Langfristig wollen wir ihn sogar auf fünf Millimeter reduzieren.“
Lichtbahnen werden aufgezeichnet
Das Messsystem funktioniert wie ein Zirkel: Vor der OP wird dem liegenden Patienten ein Kunststoffkästchen an das Schienbein geschnallt, in dem sich zwei LEDs befinden. Der Arzt fasst das gestreckte Bein an der Ferse und bewegt es in einer kreisenden Bewegung nach oben. Eine etwa eineinhalb Meter seitlich vom Patienten stehende Kamera zeichnet die Kreisbahn auf, die die Lichtpunkte der LEDs beschreiben.
Die LEDs entsprächen bei dieser Methode dem Bleistift des Zirkels, das Hüftgelenk, an dem das Bein quasi aufgehängt ist, der Zirkelnadel. Ändert sich der Abstand, da das Bein länger oder kürzer wird, ändert sich auch die Kreisbahn, die die LEDs ziehen.
Feinjustierung während der OP
Gemessen wird während des OP-Termins: Der Arzt führt die Messung einmal direkt vor dem Eingriff durch und ein zweites Mal, nachdem er das Implantat eingesetzt hat. Das Kästchen verbleibt während der Operation am Bein. Eine Software vergleicht die beiden Kreisbahnen und stellt auf diese Weise fest, ob das Bein nach dem Eingriff ebenso lang ist, wie es vorher war. Falls erforderlich, kann der Arzt die künstliche Hüfte also noch während der OP anpassen.
Hüftgelenk im Baukastenprinzip
Optimal ergänzt wird die Methode durch eine modulare Hüftprothese, die die Forscher entwickelt haben, und die sich im Baukastenprinzip zusammensetzen lässt. Der Arzt kann individuell für jeden Patienten den passenden Hüftschaft sowie den richtigen Gelenkhals auswählen. Über spezielle Schraubverbindungen fixiert der Mediziner die einzelnen Teile in der OP aneinander und setzt das Implantat probeweise ein.
Wenn er das Bein dann gemessen hat, kann er – falls erforderlich – die Module des Implantats leicht wieder voneinander lösen, gegen passende austauschen oder sie entsprechend justieren. Bei herkömmlichen modularen Modellen lassen sich die einmal zusammengefügten Teile der künstlichen Hüfte kaum wieder voneinander trennen. Bei dem optimierten künstlichen Gelenk werden die Teile dagegen über Schraubverbindungen zusammengehalten, die sich schnell und einfach wieder lösen lassen.
Gemeinschaftsprojekt Kunstgelenk
Ein Prototyp des Messsystems wurde bereits in der Universitätsklinik Leipzig erfolgreich getestet. Eine klinische Studie soll noch in diesem Jahr folgen, in etwa zwei Jahren könnte die Entwicklung auf den Markt kommen. Vorgestellt wurde die Entwicklung auf der Messe Medtec vom 21.- 23. April in Stuttgart – zusammen mit dem Kooperationsnetzwerk Kunstgelenk.
Das Netzwerk wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördert und vom Fraunhofer IWU koordiniert. Die neuartige Messmethode und das modulare Hüftgelenk entwickelte das Fraunhofer IWU gemeinsam mit den Projektpartnern der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Plastische Chirurgie des Universitätsklinikums Leipzig, der Westsächsischen Hochschule Zwickau und ihrem Forschungs- und Transferzentrum sowie den Firmen AQ Implants und MSB-Orthopädie-Technik.
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