Spitzentechnik für die Ohren
VDI nachrichten, München, 10. 6. 05 – Bundesweit sind etwa 15 Mio. Menschen von einem messbaren Hörschaden betroffen. Davon tragen zirka 3,5 Mio. Hörgeräte. Moderne Innenohr-Implantate mit verpflanzten Elektroden und Hightech-Hörhilfen gleichen winzigen Computern mit hoch entwickelten Sprachprozessoren, Mikrochips und digitalen Technologien.
Aber welche Demütigung, wenn jemand neben mir stand und von weitem eine Flöte hörte, oder jemand den Hirten hörte und ich auch nicht hörte.“ Als Ludwig van Beethoven 1798 im Alter von 32 Jahren diese Zeilen schrieb, war er bereits an Taubheit erkrankt. Dennoch ließ er sich durch sein Leiden nicht entmutigen, sein geniales Lebenswerk zu vollenden. Er komponierte bis zu seinem Tode 1827.
Heute, im Zeitalter der digitalen Fotografie, des digitalen Films und Fernsehens und der digitalen Hörsysteme, hätte der weltberühmte Komponist nicht leiden müssen. Vorausgesetzt, seine Haarzellen wären zerstört, aber sein Hörnerv noch funktionstüchtig, hätten ihm Ärzte winzige Elektroden in die Windungen der Cochlea, also in die Hörschnecke verpflanzt. Verbunden mit einem am Körper getragenen Sprachprozessor von der Größe einer Zigarettenschachtel und gekoppelt mit einer am Kopf befestigten Mikrofon-Sendeeinheit sowie einem unter der Kopfhaut implantierten Stimulator, wäre Beethoven mit der als Cochlea-Implantat bezeichneten Neuroprothese in den sinnlichen Genuss seiner Kompositionen gekommen.
Bei dieser Innenohr-Prothese werden zunächst die Schallwellen vom Mikrofon aufgenommen und zum Sprachprozessor geleitet, der sie in elektrische Signale umwandelt und nach der Verarbeitung als elektrische Pulsmuster zur Sendespule weiterleitet. Die Sendespule wiederum funkt dieses Pulsmuster per Radiowellen durch die Kopfhaut zum Implantat.
Dieses entschlüsselt das Pulsmuster und leitet es über die implantierten Elektroden zur Hörschnecke (Cochlea). Durch die elektrischen Impulse wird sodann der Hörnerv stimuliert, der daraufhin so genannte Aktionspotenziale erzeugt und diese an das Gehirn weiterleitet. Das Gehirn empfängt die Aktionspotenziale des Hörnervs und erkennt sie als akustisches Ereignis in Form von Sprache, Klang oder Geräusch.
Die HNO-Ärztin Anke Lesinski-Schiedat von der Medizinischen Hochschule Hannover, an der um den Chefarzt Thomas Lenarz jedes Jahr etwa 220 Cochlea-Implantate eingesetzt werden: „Die Platzierung einer Elektrode in der Hörschnecke muss die anatomische und funktionelle Nähe zum peripheren Gleichgewichtsorgan, zum Gesichtsnerv, zu großen Blutgefäßen im Kopf und die Nähe zum Gehirn über dem Felsenbein respektieren. Bei einer Verletzung dieser Strukturen sind wesentliche Einschränkungen der Lebensqualität zu erwarten. Denn trotz aller Perfektion sind dem Hören mit der Innenohr-Prothese Grenzen gesetzt, die individuell sehr unterschiedlich sein können.“
Doch mittlerweile tragen weltweit etwa 80 000 Menschen ein Cochlea-Implantat, in Deutschland sind es mehr als 8000. Die Kosten in Höhe von 40 000 € werden in der Regel von den Krankenkassen übernommen.
Beim 1. Deutschen CI-Tag, der am vergangenen Samstag unter dem Slogan „Taub und trotzdem hören“ in 70 Städten bundesweit stattfand, standen die Themen „Hörbehinderung“ und „Hören mit einem Innenohr-Implantat“ im Rampenlicht.
Für Menschen mit leichten, mittleren und schweren Hörschwächen eignen sich hingegen die neuen Geräte der digitalen Hörsysteme. „Waren Hörsysteme früher reine Schallverstärker, so gleichen sie heute Mini-Computern, die die auf das Außenohr treffenden Schallwellen in verschiedene Frequenzbereiche zerlegen, analysieren und zu einem neuen digitalen Klangbild wieder zusammenfügen“, betont Ascan Gossler vom „Forum Besser Hören“ in Hamburg.
Vorbei sind die Zeiten, als Hörhilfen als störend beim Tragen und beim Betrieb empfunden wurden. Jetzt gibt es Modelle, die den komplexen Anforderungen einer mikroelektronischen und geräuschvollen Umwelt besser gewachsen sind. Miniaturisierung und Digitalisierung sind die Stichworte. Es gibt Apparate, die hinter dem Ohr (HdO) und solche, die im Ohr (IdO) getragen werden. Zudem ist die Hörgeräte-Industrie in der Lage, kleinste Geräte herzustellen, die im äußeren Gehörgang Platz finden und von außen kaum sichtbar sind. In den neuesten miniaturisierten Hörgeräten, kleiner als eine Bohne, befinden sich zwei Mikrofone, drei Chips mit fast 4 Mio. Transistoren, ein Lautsprecher und eine Batterie, die Energie für eine Woche Betrieb liefert.
Und nachdem Würzburger 2001 erstmals in Europa einem Schwerhörigen ein digitales Hörgerät in beide Ohren implantierten, hält jetzt auch Hören in Stereo Einzug in die Medizin. So ist das von Siemens Audiologische Technik auf den Markt gebrachte Hörsystem „Acuris Life“ das erste, bei dem ein linkes und rechtes Hörgerät über ein Funksystem miteinander kommunizieren und sich zeitgleich und automatisch auf neue Hörsituationen einstellen. Das neue Hörsystem simuliert damit das binaurale Hören, also das Hören mit beiden Ohren.
Möglich macht das die e2e- (ear to ear-) Wireless-Funktechnik, das kleinste Funksystem der Welt. Zudem analysiert ein Mikroprozessor die eingehenden Geräusche und verstärkt die für die Sprache typischen Frequenzen, während die Lautstärke der Störfrequenzen gedrosselt wird. Durch die Koppelung der beiden Geräte lassen sich zudem Geräusche besser lokalisieren.
Für Menschen mit mittlerem bis hochgradigem Hörverlust verfügt „Acuris Life“ auch über ein mehrkanaliges Richtmikrofon-System mit bis zu drei Mikrofonen. Dieses reduziert vor allem in schwierigen Situationen nicht erwünschten Umgebungslärm. Das besondere an diesem System: Es benötigt kein Ohrpassstück, wodurch ein kompletter Verschluss des Gehörgangs unterbleibt und das Ohr optimal belüftet wird. Gleichzeitig entfällt der so genannte Verschlusseffekt, bei dem die eigene Stimme beziehungsweise Schluck- oder Kaubeschwerden als unnatürlich wahrgenommen werden.
Die Schweizer Firma Phonak baute wiederum das kleinste Hörgerät der Welt. Bei dem System „Savia“-Digital Bionics wurden die neuesten Erkenntnisse der Halbleiter-Technologie und moderne Software-Architektur berücksichtigt. Hierbei machten sich die Wissenschaftler die Prinzipien biologischer Systeme für die Hightech-Digitaltechnologie zu Eigen.
Herzstück des bionischen Hörsystems ist der weltweit kleinste und leistungsfähigste Signalprozessor, der jemals in ein Hörsystem eingebaut wurde. Auf einem 2,7 mm mal 3,7 mm winzigen Chip befinden sich 6 Mio. Transistoren. Das Hörgerät empfängt Raumgeräusche mit zwei Mikrofonen. Ihre Signale setzt der Chip in Schall um, den er um die Rauminformation ergänzt. Das Gerät ermöglicht Schwerhörigen damit wieder das Empfinden räumlichen Klangs.
Ein spezielles Richtmikrofon mit 20 Betriebskanälen überprüft die Umgebung ständig auf Störgeräusche und unterdrückt diese sofort, sogar bei mehreren gleichzeitigen Störgeräuschen. Mit einem kleinen Zusatzmodul lässt sich das Hörgerät sogar mit einem Handy koppeln. Dazu wird ein Empfänger, kaum größer als ein Stecknadelkopf, in das Hörgerät gesteckt.
Der dazugehörende Sender dient als Brücke zum Handy und ist gleichzeitig eine universelle Fernbedienung für die Hörhilfe. Die Zentraleinheit des Systems funkt Handygespräche an das Hörgerät weiter und schaltet dabei alle Nebengeräusche aus. BODO DORRA
Hörgeräte und Neuroimplantate
Mit dem Einsatz von Hightech-Hörgeräten, Cochlea- und Hirnstamm-Implantaten dringen Computertechnik und Mikroelektronik in das menschliche Nervensystem ein. Seit einigen Jahren ist die Hörgeräte-Industrie nämlich in der Lage, kleinste Geräte herzustellen, die im äußeren Gehörgang Platz finden. Es gibt Apparate, die hinter dem Ohr (HdO) und im Ohr (IdO) getragen werden. Durch den Einsatz digitaler Technologien ist es möglich, Stimme und Lärm zu trennen und mehrere Geräuscharten zu verstärken bzw. zu verringern. Neueste Geräte simulieren zudem das Hören mit beiden Ohren, das binaurale Hören. Andere digitale Systeme funken Handygespräche in das Hörgerät weiter und schalten dabei alle Nebengeräusche aus.
Falls die Haarzellen im Innenohr komplett zerstört sind, helfen Hörgeräte nicht mehr. Die Hörfähigkeit kann dann nur noch mit Hilfe von Cochlea-Implantaten teilweise wiederhergestellt werden. Hierbei legen Ärzte winzige Elektroden in die Gehörschnecke, die den Gehörnerv stimulieren.
Wenn keine andere Möglichkeit mehr besteht und der Hörnerv nicht mehr funktionsfähig ist, bleibt als letzte Chance nur die Verwendung eines Hirnstamm-Implantates. Wie Cochlea-Implantate besitzen auch diese Geräte Elektroden, die vom Operateur direkt in die Schaltzentrale für akustische Signale im Hirnstamm verpflanzt werden. B.D.
Verschiedene Ursachen führen zu Hörverlust
Der Begriff Schwerhörigkeit umfasst eine große Bandbreite von leichten bis mittleren, hochgradigen oder bis an Taubheit grenzenden Hörverlusten. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen zwei Arten: der Schallleitungsschwerhörigkeit und der Schallempfindungsschwerhörigkeit. Bei der ersten Form sind der Gehörgang, das Trommelfell oder das Mittelohr geschädigt. Mögliche Ursachen sind Verschlüsse der Gehörgänge durch Fremdkörper, Entzündungen oder eine Otosklerose, eine Verkalkung des knöchernen Innenohrs. Bei der Schallempfindungsschwerhörigkeit handelt es sich um eine Störung im Bereich des Innenohrs (95 % der Betroffenen), des Hörnervs oder des zentralen Nervensystems. Diese Hörverluste können durch genetische Ursachen bedingt sein, durch äußere Einflüsse oder degenerative Prozesse, etwa Altersschwerhörigkeit. Die meisten davon verursachen Defekte in den Sinneszellen der Hörschnecke des Innenohrs. Diese „Haarzellen“ werden im gesunden Ohr durch Schallwellen aktiviert und leiten den Reiz an benachbarte Zellen des Hörnervs weiter. B.D.
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