Studie: 70 % der Befragten betreiben Doping fürs Gehirn
Mehr als zwei von drei Menschen nehmen Substanzen zur Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit. Dies ist Fazit der größten repräsentativen Studie zu Verbreitung von „Neuro-Enhancern“ in Deutschland.
Wer kennt das nicht? In der Uni oder im Job herrschen oft hohe Anforderungen, Leistungsstress und Termindruck sind an der Tagesordnung. Um mithalten zu können, greifen viele Menschen zu legalen oder illegalen Substanzen, um sich besser zu konzentrieren, wach zu bleiben oder das Gedächtnis zu unterstützen. Doch wie viele Personen konsumieren wirklich sogenannte „Neuro-Enhancer“ (sinngemäß: Hirndoping-Mittel), wer nimmt was und wie oft? Das haben Forschende der Universität Bielefeld, der Universität zu Köln, des Institut de recherches cliniques de Montréal in Kanada, der Universität Erfurt und der Universitätsklinik Köln untersucht. Sie werteten die Daten von mehr als 22.000 Befragten aus. Damit ist es die bislang größte repräsentative Studie zur Verbreitung von Neuro-Enhancern in Deutschland; sie wurde im Fachblatt „Deviant Behavior“ publiziert.
Koffein liegt an der Spitze, danach kommen Nahrungsergänzungs- und Hausmittel
Welche Substanzen wurden überhaupt eingenommen? An erster Stelle genannt wurden legale Mittel wie Koffein und Koffeintabletten bzw. Energydrinks: Mit 64,2 Prozent gaben fast zwei von drei Befragten an, diese in den vergangenen zwölf Monaten ausdrücklich mit dem Ziel einer Leistungssteigerung konsumiert zu haben. Direkt danach folgen Nahrungsergänzungsmittel und Hausmittel wie Ginkgo biloba (31,4 Prozent). Erschreckend aber ist, dass 3,7 Prozent der Befragten ohne medizinische Notwendigkeit verschreibungspflichtige Medikamente einnehmen, was den Forschenden zufolge etwa 2,5 Millionen Menschen entspricht.
Laut Studie haben insgesamt sieben von zehn Befragten in den vergangenen zwölf Monaten mindestens ein Mittel zur Leistungssteigerung genommen – viele davon aber auch mehr als eine Substanz. „Von diesen Personen gab knapp jede Dritte an, solche Mittel innerhalb eines Jahres sogar 40-mal und häufiger genutzt zu haben“, sagt Sebastian Sattler von der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld, Erstautor der Studie. Etwa 40 Prozent der Befragten haben auch keine Bedenken, Medikamente zur Leistungssteigerung zu konsumieren. „Diese Zahl hat uns überrascht. Es scheint eine große Bereitschaft zu geben, Medikamente zur Leistungssteigerung zu nehmen, für die aus medizinischer Sicht kein Bedarf besteht.“
Illegale Substanzen wie Kokain und Amphetamin eher selten
Zu Cannabis haben im vergangenen Jahr immerhin noch 4,1 Prozent der Befragten gegriffen, um Stress abzubauen oder die Kreativität zu beflügeln. Illegale Substanzen wie Kokain oder Amphetamin hingegen wurden im Zwölfmonatszeitraum nur von 1,4 Prozent der Befragten konsumiert.
Die Studie hat auch ergeben, dass Männer und Frauen zu unterschiedlichen Mitteln greifen, um ihre geistige Leistung zu steigern. So neigen Männer eher zu Koffeintabletten und illegalen Drogen wie Kokain als Frauen. Der Konsum von illegalen Drogen wiederum konzentriert sich eher auf städtische Gebiete als auf ländliche Regionen.
Das Alter spielt beim Gehirn-Doping eine Rolle
Mit Blick auf das Alter zeichneten sich drei Trends der Nutzung von Neuro-Enhancern. „Um ihre Leistung zu steigen, konsumieren Menschen im Alter von 35 bis 44 Jahren und jüngere Personen deutlich häufiger koffeinhaltige Getränke und Koffeintabletten als Ältere“, sagt Guido Mehlkop von der Staatswissenschaftlichen Fakultät und dem Institute for Planetary Health Behaviour der Universität Erfurt. Andererseits würde diese Altersgruppe am wenigsten verschreibungspflichtige Medikamente ohne medizinische Notwendigkeit zur Leistungssteigerung einnehmen, dafür täten aber Jüngere und Ältere dies jeweils umso mehr. „Wir fragen uns, woran das liegt“, sagt Mehlkop „Bei älteren Personen ließe sich vermuten, dass die geistige Leistung nachlässt und sie dies kompensieren wollen, um weiter die Anforderungen im Job zu erfüllen.“ Und der dritte Trend: Illegale Substanzen werden vor allem von jüngeren Personen bis zu einem Alter von 34 Jahren konsumiert. Danach reduziert sich die Wahrscheinlichkeit einer Nutzung stark.
Einnahme von Substanzen aus vielerlei Gründen
Interessant ist laut Sattler, dass viele Menschen Substanzen einnehmen ohne zu wissen, ob diese die kognitiven Fähigkeiten wie Konzentration und Merkfähigkeit tatsächlich verbessern. Beweggründe der Einnahme seien vielmehr subjektive Erwartungen, Empfehlungen von Bekannten oder Posts in den sozialen Medien. Uwe Fuhr vom Zentrum für Pharmakologie der Uniklinik Köln weist darauf hin, dass verschreibungspflichtige Medikament durchaus auch bei Gesunden Wirkungen zeigen. Demnach könnten Medikamente mit den Wirkstoffen Modafinil oder Methylphenidat, die bei Tagesschläfrigkeit und ADHS verschrieben werden, nicht nur bei Personen mit solchen Indikationen einzelne Aspekte der kognitiven Leistung unterstützen, sondern auch bei Gesunden. „Aber längst nicht alles, was derzeit geschluckt wird, hat die erwünschte Wirkung“, sagt er.
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