Trends der pharmazeutischen Industrie
Apps auf Rezept, klinische Studien mit digitaler Unterstützung oder neue Indikationen bei alten Wirkstoffen dank künstlicher Intelligenz – die pharmazeutische Industrie setzt mehr und mehr auf innovative Technologien.
In den letzten Monaten hat IQVIA, ein Anbieter von Informationen, Technologielösungen und Serviceleistungen im Bereich der klinischen Auftragsforschung, zahlreiche Analysen zur Zukunft der pharmazeutischen Industrie veröffentlicht. Der Paradigmenwechsel weg von der reinen Wirkstoffforschung und hin zu datengetriebenen Ansätzen zeichnet sich klar ab. Künstliche Intelligenz (KI), maschinelles Lernen und große Datenpools (Big Data) sind die wichtigsten Trends.
Digitale Medizin auf Rezept
Ein wichtiger Trend kommt aus den USA. Als zuständige Arzneimittelbehörde erhält die US Food and Drug Administration immer mehr Anträge, um Apps oder sonstige Software zuzulassen. Ende 2018 gab sie erstmals grünes Licht für die verschreibungspflichtige reSET-O-App. Das kleine Programm hilft – zusammen mit pharmakologischen und psychologischen Konzepten – Patienten beim Drogenentzug. Weitere Apps folgten.
Auch in Deutschland können Ärzte digitale Therapien verordnen. Denn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat mit seinem Digitale-Versorgung-Gesetz Ende 2019 die Weichen für Apps auf Rezept gestellt. Nachdem eine Anwendung vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Sicherheit, Funktionstauglichkeit, Qualität, Datensicherheit und Datenschutz geprüft wurde, dürfen die Ärzte die Software ein Jahr lang auf Kosten gesetzlicher Krankenkassen verordnen. Bis dahin muss der Hersteller nachweisen, dass seine App tatsächlich einen Mehrwert bietet.
Für Pharma- und Biotech-Hersteller bieten sich durch die politische Entwicklung immense Chancen, neben Wirkstoffen auch digitale Therapeutika anzubieten. In den nächsten fünf Jahren wird sich zeigen, inwieweit aus Apps kommerzialisierbare Produkte entstehen – denn auch hier ist der Nutzen anhand wissenschaftlicher Studien nachzuweisen.
Mit KI den Krankheitsverlauf besser vorhersagen
Aber auch bei der klassischen Diagnostik und Therapie spielen neue Technologien ihre Stärke aus. Lernende Algorithmen erkennen in medizinischen Daten Gesetzmäßigkeiten. Das reicht von automatisierten Diagnoseverfahren über Prognosen der Krankheitsverläufe bis hin zu Therapievorschlägen, wobei verschiedene Schweregrade oder spezielle Ausprägungen von Erkrankungen berücksichtigt werden können. Dies zeigte IQVIA am Beispiel der Arthrose, einer degenerativen Erkrankung von Gelenken.
KI-Analysen ergaben, dass sowohl das Alter von Patienten zum Zeitpunkt der Erstdiagnose als auch weitere Erkrankungen einen großen Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben. So benötigen etwa ältere Menschen mit mehr als sechs Begleiterkrankungen einen Gelenkersatz bereits drei Jahre nach der ersten Diagnose. Bei jüngeren Patienten ohne Infektionen als Begleiterkrankungen ist die Maßnahme erst nach zehn Jahren notwendig. Die Ergebnisse erlauben, Patienten mit dem größten medizinischen Bedarf zu finden und entsprechend optimierte Behandlungsentscheidungen zu treffen. Bei Gruppen mit geringerem Risiko kann man eher abwarten – nicht immer sind Operationen die beste Lösung.
Alte Wirkstoffe, neue Einsatzmöglichkeiten
Von der Behandlung zur Entwicklung neuer Arzneimittel. Bislang durchforsten Chemiker vor allem große Wirkstoffbibliotheken oder designen am Computer Moleküle, die an speziellen Bindungsstellen (Rezeptoren) andocken. Beide Strategien gelten als zeitaufwändig und teuer.
IQVIA hat in Kooperation mit der Universität Leipzig gezeigt, dass ein anderer Ansatz möglich ist – nämlich neue Anwendungsmöglichkeiten in Arzneistoffen zu identifizieren, die nicht mehr patentgeschützt sind. Die Forscher haben mit KI-Algorithmen bereits 30 veröffentlichte Studien durchsucht. Patienten erhielten je nach Grunderkrankung unterschiedliche Wirkstoffe. Dabei zeigte sich, dass manche blutdrucksenkenden Pharmaka mit einem um 15 bis 20% niedrigeren Demenzrisiko in Verbindung standen, wenn sie mehrere Jahre eingenommen wurden. Und bei dem bekannten pflanzlichen Antidepressivum Johanniskraut reduzierte sich das Demenzrisiko um fast das Zweifache. Die Studie zeigt, wie es gelingen kann, anhand vorhandener Daten Hinweise auf neue Anwendungsgebiete zu finden.
Mehr Erfolg bei klinischen Studien
An klinischen Studien führt trotzdem kein Weg vorbei. Doch die Branche hat mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Neue Arzneistoffe richten sich oft gegen seltene Erkrankungen, und Studienteilnehmer sind rar. Müssen sie zu Untersuchungen in weit entfernte klinische Zentren fahren, brechen sie oft die Teilnahme ab – und statistische Ziele werden verfehlt.
Das Gebot der Stunde lautet, klinische Studien zu virtualisieren. Studienärzte überwachen Patienten mit telemedizinischen Anwendungen; viele Vitalparamater lassen sich per App erfassen und auswerten. Das spart Zeit und hilft, Abbruchraten zu minimieren. Und über digitale Studienplattformen stehen Teilnehmer mit Ärzten in Kontakt. So gelingt der Austausch schneller und problemloser als bisher.
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