Viren und Bakterien identifizieren mit einem Wisch
Die Nase setzt sich zu. Der Hals kratzt. Bleibt es eine harmlose Erkältung oder treibt hier ein Grippevirus sein Unwesen? Damit Patienten diese Frage künftig unverzüglich klären können, arbeiten Forscher an neuen Wegen für den Schnellnachweis von Viren und Bakterien. Präparierte Taschentücher und Putzlappen sollen gefährliche Keime sichtbar machen.
Karin Glos schnäuzt sich ausgiebig. Nach kurzem Warten wirft die Projektleiterin einen bangen Blick ins benutzte Einwegtaschentuch: blau verfärbt. „Mist“, flucht sie. Die Verfärbung ist das eindeutige Signal, dass die Grippewelle bei ihr angekommen ist. Glos macht sich sofort auf zum Arzt.
Tücher zuverlässig eine Grippe diagnostizieren
Noch sind Taschentücher, die eine Grippe diagnostizieren, eine Vision. Doch Biologen, Chemiker, Physiker, Mediziner, Bioinformatiker und Ingenieure aus 14 deutschen Forschungsinstituten, Unis und Firmen wollen sie im staatlich geförderten Projekt „Taschentuchlabor“ real werden lassen. Das Team um Frank Bier, Direktor des Potsdamer Ablegers des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik (IBMT), ist treffsicheren Schnelltests für Viren und Bakterien auf der Spur.
Das smarte Taschentuch wird laut Bier allerdings eher eine der letzten Anwendungen sein. Quasi als Krönung, wenn die neue Nachweismethodik zuverlässig funktioniert und es gelingt, die Kosten auf Massenmarktniveau zu senken.
„Ursprünglich ging es darum, Biosensoren zu miniaturisieren“, erklärt Bier. Doch das Kleinmachen hat Grenzen, wo elektronische Sensoren Biomoleküle detektieren sollen – trockene Elektronik und feuchte Moleküle müssen räumlich getrennt bleiben. „Die Natur ist uns hier mit Molekülen voraus, die zugleich als Sensoren und Aktoren funktionieren. Solche Moleküle versuchen wir zu imitieren, um von bisherigen Lab-on-Chip-Ansätzen wegzukommen“, umreißt er das Vorhaben.
Mittlerweile geht es um mehr als Miniaturisierung. Die natürlichen Sensor-Aktor-Moleküle haben neben ihrer geringen Größe einen noch entscheidenderen Vorteil: Sie reagieren nahezu in Echtzeit auf Erreger. Molekularbiologen des IBMT und Chemiker des benachbarten Fraunhofer-Instituts für Angewandte Polymerforschung sind auf gutem Wege, die schnellen Signalgeber für alltags-taugliche Schnellnachweissysteme nachzubauen.
Komplizierte Reaktion sorgt für eine Verfärbung
Dafür isolieren die Biologen besonders bindungsfreudige Peptide von Antikörper-Oberflächen, welche die Kollegen aus der Chemie dann in polymere Hydrogele einbinden. Kommt das so präparierte Hydrogel mit jenem Virus oder Bakterium zusammen, auf das die Peptide anspringen, stürzen sich diese auf die Erreger – und reißen das Hydrogel mit sich. Die Polymerstruktur kollabiert und verklumpt. „Um diesen Effekt sichtbar zu machen, verteilen wir zusätzlich Einzelkomponenten von Signalmechanismen in der Polymerstruktur. Beim Kollaps kommen sie zusammen und lösen das Signal aus – sei es Fluoreszenz oder eine enzymatische Reaktion“, erläutert Projektkoordinator Armin Renner-Kottenkamp.
Gelingt es den Forschern, diese Reaktionskette zu stabilisieren, kommen Schnelltests per Taschen- oder Wischtuch in greifbare Nähe. Selbst gegenüber modernen Chiplabors wäre das eine Revolution. Letztere folgen dem Prinzip, mit dem Robert Koch schon im 19. Jahrhundert arbeitete: Probennahme, ausplattieren in Nährlösung und dann stunden- bis tagelang beobachten, ob und wie sich Bakterien, Viren & Co. vermehren.
Antibiotika wird oft nur auf Verdacht verschrieben
„Das alles dauert für effektive Infektionsbekämpfung zu lange“, erklärt Bier. Ärzte verschreiben darum auf Verdacht Antibiotika – was Resistenzen fördert. Schnelltests fehlen auch bei Salmonellen-Verdacht in Großküchen, bei potenziell mit Legionellen verkeimten Trinkwasserleitungen oder auf Klinikstationen. „In solchen Fällen zählt jede Minute. Und es braucht Möglichkeiten, um den Erfolg von Gegenmaßnahmen schnell und zuverlässig zu kontrollieren“, sagt er.
Das könnten die mit besagten Hydrogelen präparierte Wischtücher sein. Sie gäben nicht nur Sicherheit, dass alle Keime beseitigt sind, sondern könnten per Wischtest sofort signalisieren, wenn diese zurückkehren. Zeitpunkt und Quelle der Kontamination wären leichter einzugrenzen. „Hier erwarten wir die ersten Anwendungen“, so der IBMT-Forscher.
Doch noch liegt viel Arbeit vor den Forschern. „Wir haben drei große Baustellen: Identifikation der Erreger ohne DNA-Analyse. Nachweis von Bindungsreaktion der Zielmoleküle ohne Elektronik. Und das Sichtbarmachen dieser Reaktion“, erläutert Bier. Lieber als die bereits funktionierende Fluoreszenz, die besondere Lichtquellen voraussetzt, sähe er mit bloßem Auge erkennbare Farbumschläge.
Doch zunächst geht es nun darum, die Ergebnisse Dutzender Einzelprojekte zu einer stabilen Nachweismethode zu vereinen. Sie soll natürlich nicht nur bei ausgewählten Erreger-Antikörper-Paaren funktionieren, sondern bei möglichst vielen Varianten von möglichst vielen Erregern.
Wischtücher mit Virenanzeige für Kliniken interessant
Stefanie Arnold widmet sich seit inzwischen drei Jahren der Sisyphusarbeit, die entscheidenden Peptide auf den Oberflächen der Antikörper zu identifizieren. In ihrem Labor arbeitet die IBMT-Forscherin mit Seren infizierter Patienten, welche die Berliner Uniklinik Charité liefert. Darin befinden sich jeweils die Antikörper zu Grippeviren, typischen Durchfall-Bakterien wie Salmonellen und Campylobacter oder der in Kliniken grassierende multiresistente Staphylococcus aureus (MRSA).
Um an die gesuchten Antikörper-Peptide zu kommen, müssen Arnold und ihre Kollegen zunächst die sogenannten Epitope der Erreger isolieren. „Epitope sind die Bereiche an Erreger-Oberflächen, die durch Antikörper erkannt und gebunden werden“, sagt sie, „und die Gegenstücke der Antikörper heißen Paratope.“
Die Forscher suchen systematisch die am besten funktionierenden Epitop-Paratop-Kombinationen. Dafür produzieren sie zunächst mit gentechnischen Methoden alle im Erreger vorhandenen Proteine. Dann bringen sie diese Proteine mit den Seren Infizierter zusammen – und schauen, wie die Antikörper darin reagieren. So filtern sie nach und nach die wenigen Proteine heraus, die ein „Taschentuchlabor“ erkennen könnte.
Das ganze ist eine groß angelegte Rasterfahndung mit Tausenden Tests, aufwendigen, Jahrzehnte zurückschauenden bioinformatischen Analysen und jeder Menge Laborarbeit an Zentrifugen, Mikroskopen, abgeschotteten Glove-Boxen und auf Laborchips. Dabei sind Forschern eine ganze Reihe Proteine ins Netz gegangen, auf die sich die Antikörper stürzen.
Forscher müssen zwischen harmlosen und gefährlichen Erregern unterscheiden
„Das sind die interessanten Kandidaten für den Schnellnachweis“, so Arnold. Auf Basis dieser Proteine züchten die Forscher vereinfachte, monoklonale Antikörper, bei denen die Prozedur von vorn beginnt. Auch deren Paratope grenzt das Team ein, um daraus das für Taschen- und Wischtücher benötigte Baumaterial zu isolieren – jene Peptide, die für die Bindung an Viren- oder Bakterienoberflächen entscheidend sind. Das Problem: Erreger haben jede Menge harmlose Verwandte. So sind Staphylokokken in der Umwelt allgegenwärtig. Die Peptide, nach denen Arnold sucht, dürfen nur auf den gefährlichen Staphylococcus aureus anspringen.
Arnold ist dem Klinikkeim, den sie in einer roten Petrischale hinter der Glasscheibe einer Steril-Werkbank vorführt, dicht auf der Spur. Seit drei Jahren laufen quasi rund um die Uhr Microarray-Tests, in denen dessen Proteine mit Seren zusammengebracht werden. „Wir haben jetzt erste monoklonale Antikörper und können nun in die zielführende Analyse der Paratope einsteigen“, berichtet sie.
Ortswechsel. Zwei Straßen weiter sucht Dieter Neher, Leiter der Arbeitsgruppe „Physik weicher Materie“ am Institut für Physik und Astronomie der Uni Potsdam, mit seiner Mitarbeiterin Sahika Inal Wege, um die Reaktion der Peptide im Hydrogel deutlich sichtbar zu machen. Grundidee: Wenn das Hydrogel verklumpt, soll sich im Licht von Laserpointer oder Schwarzlichtlampe dessen Fluoreszenz verändern. „Das ist die Idee“, lachen beide. So einfach ist es aber nicht.
Im Ernstfall muss der Wischlappen auch auf geringste Kontaminationen reagieren
Die Schwierigkeiten beginnen damit, dass Inal bisher nicht mit echten Viren oder Bakterien arbeitet. Sie führt den Hydrogel-Kollaps in Versuchen thermisch herbei. „Es waren viele Versuche nötig, um den richtigen Farbstoff mit dem passenden responsiven Polymer zu kombinieren, damit Sensitivität und Sichtbarkeit stimmen“, erklärt sie. Denn im Ernstfall muss ein smarter Wischlappen auch bei geringster Kontamination anschlagen.
Müssten Viren und Bakterien zunächst wuchern, hätte das Ganze keinen Sinn. „Ideal ist es, wenn wir schon bei wenigen Erregern einen Kippeffekt hätten, der Phasenübergang im Hydrogel also möglichst umfassend wäre“, wirft Neher ein. Bei der Fluoreszenz sind die Chancen dafür gut. Ein echter Farbumschlag ist ungleich komplizierter.
Die Physiker müssen als letztes Glied in der Kette auf die Ergebnisse der Biologen und Chemiker in den anderen Projektgruppen warten. Deshalb können sie bisher nur mit Materialmodellen arbeiten. „Hier funktioniert inzwischen einiges sehr gut. Wir verstehen nach vielen Versuchen immer besser, wie welche Materialien in Lösung reagieren. Aber wir müssen abwarten, ob sich unsere Erkenntnisse auf die echten Erreger und Hydrogele übertragen lassen“, sagt Inal. Die jüngsten Nachrichten aus dem Projekt lassen die beiden hoffen, dass ihr „Trockenschwimmen“ bald ein Ende hat. Es sind erste Peptide isoliert, die gerade von den Chemikern in die Polymer-Strukturen eingebunden werden. „Wir alle sind gespannt, ob die Eigenschaften der Peptide nach der Einbindung dieselben bleiben wie vorher, ob beim Kontakt mit Erregern der erhoffte Kippeffekt eintritt – und ob wir diesen dann wirklich sichtbar machen können“, sagt Neher.
Da sind sie, die drei großen Baustellen, die Projektleiter Bier eingangs erwähnte. Noch sind die Schnelltests mit Sensor-Aktor-Molekülen eine Vision. „Bis wir marktfähige Produkte realisieren können, gibt es noch viel zu tun“, sind sich alle Beteiligten einig.
Farbumschlag bei Viren und Bakterien
Ein Beitrag von: