Was bringen Antikörpertests wirklich?
Seit einigen Tagen verkauft die Drogeriekette dm Tests auf Antikörper gegen das neuartige Coronavirus. Weiter Anbieter sind in den Startlöchern. Das sollten Konsumenten wissen, bevor sie die Boxen bestellen.
532.930 bestätigte SARS-CoV-2-Infektionen (14.177 mehr als am Vortag), 10.481 Verstorbene (plus 29) und zirka 355.900 Genesene (plus 4,800) – diese Zahlen hat das Robert Koch-Institut in Berlin am ersten November 2020 veröffentlicht. Der Aufwärtstrend der letzten Wochen setzt sich weiter fort. Und seit dem zweiten November greift ein weiterer Lockdown. Viele Bürger wünschen sich, jenseits der „AHA+L“-Regel selbst mehr zu tun (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske, lüften).
Der Zeitpunkt, gerade jetzt einen Test auf Antikörper gegen das neuartige Coronavirus auf den Markt zu bringen, scheint perfekt zu sein. Für rund 60 Euro erhalten Patienten ein Set, um sich selbst Blut aus dem Finger abzunehmen und an ein Labor schicken. Ein Blick hinter die Kulissen.
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Welche Krankheitsphasen erkennt der Antikörpertest?
Das Coronavirus SARS-CoV-2 wird durch Tröpfchen oder Aerosole übertragen. Sie gelangen in den Körper und erreichen dort spezielle Bindungsstellen, Rezeptoren genannt. Im Inneren menschlicher Zellen wird das virale Erbgut freigesetzt. Es liegt als Ribonukleinsäure, kurz RNA, vor. Die Zelle wird so verändert, dass sie plötzlich das Virus selbst vervielfältigt. Zu dem Zeitpunkt können Infizierte Viren auf andere Menschen übertragen. Antikörper liegen noch nicht vor. Es kann – muss aber nicht – zu Beschwerden kommen. Ärzte diagnostizieren die Erkrankung vielmehr mit der Polymerase-Kettenreaktion als Goldstandard. Geringe Mengen des Virus lassen sich vermehren und anhand spezifischer Sequenzen nachweisen.
Ab Beginn der zweiten Woche reagiert der Körper auf die Infektion. Dabei entstehen unterschiedliche Antikörper, die sich gegen SARS-CoV-2 richten. Der Spiegel im Blut steigt immer weiter an, erreicht in der dritten Woche ein Maximum und sinkt dann wieder ab. Mehrere Wochen nach der Infektion wird die Nachweisgrenze jedoch wieder unterschritten.
Wie funktioniert der Antikörpertest?
Marktübliche Tests auf Antikörper arbeiten mit dem ELISA-Prinzip (Enzyme-linked Immunosorbent Assay): Gegen jedes Protein, also auch gegen SARS-CoV-2-Antikörper, lassen sich künstliche Antikörper herstellen. Diese werden an einer Oberfläche eines Reagenzglases verankert.
Für die ELISA-Reaktion braucht man eine Blutprobe, die in ein beschichtetes Reaktionsgefäß gegeben wird. Antikörper binden das neuartige Coronavirus. Der Überstand wird entfernt und das Gefäß gewaschen, um falsch-positive Reaktionen zu vermeiden. Dann wird ein weiterer Antikörper zugegeben, an dem noch ein Enzym hängt. Das führt zu einer messbaren Fluoreszenz- oder Farbreaktion. Kunden bekommen von solchen Hintergründen wenig mit. Sie schicken nur die Blutprobe ein und erhalten per App beziehungsweise per Webportal das Ergebnis.
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Was spricht für die Tests?
Laut Hersteller liegt die Spezifität zwischen 98,9 und 99,2 %. Darunter versteht man die Wahrscheinlichkeit, dass gesunde Menschen auch als gesund erkannt werden. Die Sensitivität beträgt wiederum 97,4 bis 100 %. Dieser Anteil an Infizierten wird korrekt erkannt.
Neben diesen vergleichsweise guten Zahlen gibt es weitere Vorteile. Solche Tests sind nierigschwellig. Patienten müssen weder zum Arzt noch in die Apotheke. Sie können die Box online bestellen und erhalten auf digitalem Wege ihre Ergebnisse. Schon beim Thema HIV hat sich gezeigt, dass Patienten Tests zu Hause, ob als Kit zum Einsenden der Proben oder als Vor-Ort-Test, eher annehmen als Untersuchungen beim Arzt.
Was spricht gegen die Tests?
Dem stehen einige Nachteile gegenüber. Das beginnt mit der entscheidenden Frage, welchen Nutzen solche Antikörpertests haben. Man erkennt keine aktive Infektion. Liegen Antikörper vor, weist das nur auf einen früheren Kontakt mit Coronaviren hin; nicht mehr und auch nicht weniger. Auch verschwinden diese neutralisierenden Antikörper nach einigen Wochen.
Aber selbst der Nachweis von Antikörpern sagt wenig aus. Bis heute weiß man nämlich nicht, ob sie vor Folgeinfektionen schützen – und, falls ja, wie lange. In der wissenschaftlichen Literatur findet man einzelne Fälle von Reinfektionen. Manche Epidemiologen befürchten jedoch, dass sich Anwender nach einem positiven Antikörpertest in falscher Sicherheit wiegen und Sicherheitsregeln wie die „AHA+L“-Regel vernachlässigen.
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