Was Ingenieure von Spinnen lernen: Peptide und Proteine als neue Therapeutika
Das Gift einheimischer Spinnen enthält bis zu 3.000 unterschiedliche Komponenten – auch interessante Moleküle als Grundlage für Arzneistoffe. Doch wie gelingt es, ausreichende Mengen für Experimente zu gewinnen?
Naturstoffe gelten seit Jahrzehnten als Quelle für innovative Moleküle aller Art. Noch immer entdecken Biologinnen und Biologen in Organismen unbekannte Moleküle. Aktuell befassen sich Forschende am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME und an der Justus-Liebig-Universität Gießen mit einheimischen Gifttieren wie der Wespenspinne (Argiope bruennichi). Sie untersuchen bekannte Arten auf toxische, möglicherweise bedeutsame Peptide und Proteine – mit Erfolg.
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Was zeichnet Peptide und Proteine aus?
Zum Hintergrund: Peptide und Proteine sind fundamentale Bausteine von Mikroorganismen, Pflanzen, Tieren und Menschen. Was sie so einzigartig macht, ist ihre Eigenschaft, komplexe Raumstrukturen auszubilden. Alles beginnt bei der Abfolge einzelner Aminosäuren im Protein, vergleichbar mit einer Perlenkette. Biotechnologen sprechen von der sogenannten Primärstruktur. Die Sekundärstruktur entsteht durch Wechselwirkungen räumlich benachbarter Aminosäuren. Besonders häufig sind Spiralen, sogenannte Alpha-Helices, und gefaltete Anordnungen, die Beta-Faltblätter. Mehrere Sekundärstrukturen bilden übergeordnete räumliche Anordnungen, die Tertiär- und die Quartärstrukturen. Sie sind entscheidend für die biologische Wirkung und für die Stabilität in einem Organismus. Viele Eiweiße im menschlichen Körper werden rasch wieder in ihre Bausteine, die Aminosäuren, abgebaut. Biologisch stabile Proteine sind deshalb besonders interessant.
Welche besonderen Peptide und Proteine hat die Wespenspinne?
Genau hier beginnt die Forschung. Nur waren Experimente mit Wespenspinnen oder sonstigen Arten bislang recht schwierig. „Die meisten Spinnen in Mitteleuropa sind maximal zwei Zentimeter groß, ihre Giftmenge reichte für Experimente nicht aus“, berichtet Tim Lüddecke vom Fraunhofer IME in Gießen. Deshalb arbeiteten viele Labors mit tropischen Giftspinnen, die größere Mengen toxischer Sekrete absondern. „Doch inzwischen verfügen wir über präzise Analysemethoden, um auch die geringen Mengen der bisher vernachlässigten Mehrheit der Spinnen untersuchen zu können“, so Lüddecke.
Mit moderner instrumenteller Analytik gelang es den Biotechnologinnen und Biotechnologen, das Sekret der Wespenspinne zu analysieren. Völlig überraschend fanden sie nur 53 große Biomoleküle. Bei anderen Spinnen enthalten toxische Ausscheidungen bis zu 3.000 Komponenten. Bei der jetzt durchgeführten Analyse ließen sich sogenannte Knottine nachweisen. Das sind Proteine mit einer verknoteten Struktur, daher ihr Name. Dieser besondere Aufbau erklärt, warum Knottine widerstandsfähig gegen Enzyme, gegen Magensäure oder gegen erhöhte Temperaturen sind. Für die Medizin sind solche Strukturen interessant, weil man Eiweiß-haltige Medikamente perspektivisch schlucken könnte und nicht spritzen müsste. Insuline, die am häufigsten eingesetzten therapeutischen Peptide, werden per Spritze oder Pumpe verabreicht. Außerdem binden Knottine sehr spezifisch an Ionenkanäle. Sprich: Daraus könnten sich potenziell nebenwirkungsarme Pharmaka entwickeln lassen. Je unspezifischer ein Molekül ist, desto mehr unerwünschte Effekte treten auf.
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Vom Peptid oder Protein zur gentechnologischen Herstellung
Die nächste Herausforderung lautet, größere Mengen der toxischen Eiweiße für Studien zu gewinnen. Hier kommt die Biotechnologie in das Spiel. Zuerst sucht man das Gen, in dem Erbinformationen eines biologisch aktiven Makromoleküls stecken. Bei den Experimenten wurden mRNAs, sprich Arbeitskopien aktiver Gene, aus Giftdrüsen entnommen und dann sequenziert. Ist der genetische Code bekannt, lassen sich harmlose Bakterien wie Escherichia coli so manipulieren, dass sie ein bestimmtes Protein herstellen. Lüddecke und sein Team hat über diesen Weg eine der Hauptkomponenten des Gifts biotechnologisch synthetisiert, um weitere Studien durchzuführen. Dieser Schritt kann mit geeigneten Fermentern so hochskaliert werden, dass große Mengen einer interessanten Verbindung entstehen. Dann folgen noch Verfahren zur Isolierung und zur Aufreinigung.
Auf der Suche nach neuen Peptiden und Proteinen
Das jetzt beschriebene Verfahren lässt sich für die Suche nach neuen Wirkstoffen universell einsetzen. Beispielsweise fanden Forschende des Fraunhofer IME und der Justus-Liebig-Universität Gießen heraus, dass sich toxische Sekrete einer Art teils stark unterscheiden. „Die Dynamik des Spinnengifts wurde bislang völlig unterschätzt“, sagt Lüddecke. „Das biochemische Repertoire wird entscheidend vom Lebensabschnitt, Lebensraum und vor allem vom Geschlecht beeinflusst.“ In jeder Spinne verbergen sich große Potenziale für neue Therapien.
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