Was macht die Künstliche Intelligenz auf einer Intensivstation?
An der TU Wien wurde eine künstliche Intelligenz entwickelt, die bei Blutvergiftungen geeignete Behandlungsschritte vorschlägt. Sie gibt Vorschläge für die intensivmedizinische Behandlung von Menschen mit einer Sepsis.
Dank künstlicher Intelligenz können Erkrankungen schneller und präziser diagnostiziert, individuelle Therapien ausgewählt und sie sogar während chirurgischer Eingriffe eingesetzt werden. Ärzte und Ärztinnen können mithilfe von künstlicher Intelligenz große Datenmengen auswerten und Behandlungsoptionen individuell auf ihre Patienten abstimmen. Es besteht kein Zweifel daran, dass die künstliche Intelligenz eine vielversprechende Zukunft hat, auch für Intensivmedizinische Behandlungen. Dabei erwies sich die KI oft dem Menschen überlegen. Sie hat eine höhere Qualität von Entscheidungen als menschliche Entscheidungsträger erreicht.
KI berechnet Behandlungsoptionen
Erst vor einigen Monaten sorgte das für seinen Corona-Impfstoff bekannte Mainzer Unternehmen Biontech (Biopharmaceutical New Technologies) wieder für Schlagzeilen, indem es ankündigte, 410 Millionen Euro für die Übernahme eines auf künstliche Intelligenz spezialisierten britischen Start-ups auszugeben. All das zeigt – dass die KI auch in der Medizin jetzt schon von großer Bedeutung ist, auch in der Diagnostik.
Computer können Bilder mit hoher Genauigkeit daraufhin analysieren, ob sie krankhafte Veränderungen aufweisen oder nicht. Doch wie kann man die künstliche Intelligenz darauf trainieren, den sich über die Zeit verändernden Zustand von Patienten zu untersuchen und Behandlungsoptionen zu berechnen? Mit dieser Frage haben sich die Forschenden der TU Wien und der Medizinischen Universität Wien beschäftigt.
„Auf einer Intensivstation werden rund um die Uhr viele verschiedene Daten erhoben. Die Patientinnen und Patienten werden laufend medizinisch überwacht. Wir wollten untersuchen, ob sich diese Daten vielleicht noch besser nutzen lassen als bisher“, erklärte Prof. Clemens Heitzinger vom Institut für Analysis und Scientific Computing der TU Wien und Co-Direktor des fakultätsübergreifenden „Center for Artificial Intelligence and Machine Learning“ (CAIML) der TU Wien.
Die Ärzte treffen ihre Entscheidungen auf der Grundlage von klaren Regeln. Darin sind die relevanten Parameter für eine optimale Patientenversorgung enthalten. Ein Computer hingegen kann auch viele weitere Parameter berücksichtigen, die von einem Menschen möglicherweise übersehen werden könnten. Deshalb können sie in einigen Fällen zu noch besseren Entscheidungen kommen.
Wie lernt die KI, in einer Intensivstation zu arbeiten?
„Wir setzten in unserem Projekt eine Form von maschinellem Lernen ein, die man als Reinforcement Learning oder bestärkendes Lernen bezeichnet“, erklärte Clemens Heitzinger in der Pressemitteilung der Tu Wien. „Dabei geht es nicht nur um einfache Kategorisierung – etwa die Einteilung von Bildern in solche, die einen Tumor zeigen und solche, die keinen Tumor zeigen – sondern um einen zeitlich variablen Verlauf, um die Entwicklung, die eine ganz bestimmte Person im Krankenbett voraussichtlich durchmachen wird. Das ist mathematisch etwas ganz Anderes. Dazu gab es bisher im medizinischen Bereich wenig Forschung.“
In diesem Fall übernimmt der Computer die Rolle eines Agenten, der eigenständig Entscheidungen trifft: Wenn der Zustand des Patienten stabil bleibt, wird der Computer „belohnt“, während sich im Falle einer Verschlechterung oder des Todes des Patienten eine „Bestrafung“ ergibt. Das Ziel des Computerprogramms besteht darin, seine virtuelle „Belohnung“ unter allen Umständen zu maximieren. Basierend auf umfangreichen Krankenhausdaten kann auf diese Weise automatisch eine Strategie ermittelt werden, die eine besonders hohe Erfolgsrate gewährleistet.
KI gegen Sepsis
„Sepsis ist eine der häufigsten Todesursachen in der Intensivmedizin und stellt eine enorme Herausforderung für Ärzte und Krankenhäuser dar, da die frühzeitige Erkennung und Behandlung entscheidend für das Überleben der Patienten ist.“, sagt Oliver Kimberger von der Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie der Medizinischen Universität Wien. „Bislang gab es in diesem Bereich wenige medizinische Durchbrüche, was die Suche nach neuen Behandlungsmethoden und Ansätzen umso dringlicher macht. Aus diesem Grund ist es besonders interessant zu untersuchen, inwieweit künstliche Intelligenz hier einen Beitrag zur besseren medizinischen Betreuung leisten kann“. Nun bestehe durch den Einsatz von Machine-Learning-Modellen und anderen AI-Technologien die Möglichkeit, die Diagnose und Behandlung von Sepsis zu verbessern und die Überlebenschancen der Patienten dadurch zu erhöhen.
„Die Heilungsquote ist mit der Strategie der künstlichen Intelligenz mittlerweile höher als mit rein menschlichen Entscheidungen. In einer unserer Untersuchungen konnte die Heilungsquote in Bezug auf die 90-Tage-Mortalität um ca. 3% auf ca. 88% gesteigert werden“, sagt Clemens Heitzinger.
Allerdings heißt es noch lange nicht, dass man der KI die medizinischen Entscheidungen auf einer Intensivstation komplett überlassen sollte. Sie soll die Ärzte und Ärztinnen eher bei ihren Entscheidungen unterstützen und als Zusatzgerät am Krankenbett mitlaufen. So können sie den Zustand des Patienten besser einschätzen.
Juristische Fragen sind zu klären
Allerdings gibt es noch viele Fragen bei dem KI-Einsatz zu klären. „Man denkt da zuallererst wohl an die Diskussion, wer für eventuelle Fehler der künstlichen Intelligenz haftbar gemacht wird. Aber das Problem stellt sich auch umgekehrt: Was ist, wenn die künstliche Intelligenz die richtige Entscheidung getroffen hätte, der Mensch sich aber für eine andere Option entschieden hat, und der Patient deshalb Schaden erleidet?“, sagte sagt Clemens Heitzinger.
Von daher seien eine gesellschaftliche Diskussion über die Rahmenbedingungen dafür und klare juristische Regeln dringend nötig.
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