Wie Langzeit-Gelähmte mit Exoskeletten wieder laufen lernen
Menschen, die nach einem Unfall querschnittsgelähmt sind, können in bestimmten Fällen einen Teil ihrer Gehfähigkeit zurückgewinnen, wenn das Training frühzeitig beginnt. Jetzt ist das mithilfe von Exoskeletten auch bei Patienten gelungen, die ihre Beine jahrelang nicht mehr bewegen konnten.
Selbst Menschen, die seit vielen Jahren querschnittsgelähmt sind, haben noch Chancen, ein wenig Beweglichkeit zurückzugewinnen. Das hat jetzt ein internationales Team um Miguel Nicolelis von der Duke University in Durham in North Carolina gezeigt. Acht Patienten, die seit drei bis 13 Jahren gelähmt waren, trainierten monatelang in Exoskeletten. Das sind elektromechanische Anzüge, die Körperbewegungen unterstützen.
Nicolelis hat mit diesen Geräten 2014 Aufsehen erregt, als der von der Brust abwärts gelähmte Julian Pinto in seinem Exoskelett bei der Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien langsam zu einem Ball ging und gegen ihn trat. Nicolelis arbeitete lange mit Gordon Cheng zusammen, Professor am Institut für Cognitive Systeme an der Technischen Universität München.
Training mit VR-Brille und Avatar
Das Gehirn von Menschen, die längere Zeit gelähmt sind, schreibt die nicht mehr beweglichen Gliedmaßen buchstäblich ab. Der Gelähmte spürt sie nicht, und natürlich kann er sie auch nicht bewegen.
Die Teilnehmer des Walk-Again-Projekts machten im ersten Trainingsschritt Neuro-Feedback-Übungen mit einer VR-Brille. Sie lernten, einen Avatar allein mit ihren Gedanken zum Laufen zu bringen. Der Computer bewegte den Avatar immer dann, wenn die Hirnsignale denen für das normale Laufen entsprachen.
Gleichzeitig erhielten die Teilnehmer taktiles Feedback über Vibratoren in den Ärmeln. „Dieses Feedback verstärkt die Illusion, dass sie ihre Beine selbst bewegen und spüren“, erklärt Studienleiter Nicolelis.
Hirnströme steuern Exoskelett
Im zweiten Trainingsschritt mussten die Probanden auf das Laufband. Stabilisiert durch ein Tragegeschirr steckten ihre Beine in einem robotischen Exoskelett, dass sie durch ihre Hirnströme steuerten wie zuvor den Avatar. Danach lernten sie den Umgang mit einem freistehenden Exoskelett. Dieses stützt den Körper, ist motorisiert und kann per EEG-Steuerung gehen. Auch in dieser Trainingsphase gab es haptisches Feedback durch die Sensorärmel.
Verbesserungen bei allen acht Gelähmten
Das Ergebnis beeindruckt: Alle acht Querschnittsgelähmte erlangten die bewusste Kontrolle über ihre Beine zumindest teilweise wieder, spürten Empfindungen unterhalb der Rückenmarksverletzung und konnten Blase und Darm besser kontrollieren. „Eine solche Wiederherstellung dieser Funktionen bei so langjährig Gelähmten hat man bisher noch nie gesehen“, sagt Nicolelis. „Selbst wir hätten dieses Ergebnis zu Beginn des Projekts nicht vorhergesagt.“
Sogar eine 32-jährige Frau, die 13 Jahre lang querschnittsgelähmt war, konnte nach 13 Trainingsmonaten ihre Beine mit Hilfe des Exoskeletts wieder bewegen. Das Team vermutet, dass bei diesen Patienten noch einige Nervenverbindungen intakt sind. „Diese Nerven können viele Jahre lang verstummen, wenn ein Signal vom Kortex zu den Muskeln fehlt“, sagt Nicolelis. Das Training habe diese Nerven wiedererweckt. Die Studie wurde jetzt in Scientific Reports veröffentlicht.
Erfolge mit Gelähmten in Bochum
Norbert Weidner vom Universitätsklinikum Heidelberg warnt vor übertriebenen Hoffnungen. „Es ist ein großer Unterschied zwischen dem Erreichen sensibler Funktionen und dem Wiedererlangen der Gehfähigkeit“, sagte er gegenüber der Deutschen Apothekenzeitung. Er könne sich aber vorstellen, dass die Erfolge bei Menschen, die noch nicht lange querschnittsgelähmt sind, größer sind.
Forscher des Universitätsklinikums Bergmannsheil in Bochum haben das schon bewiesen. Ein 34-Jähriger kann nach einem Training im benachbarten Zentrum für Neurorobotales Bewegungstraining (ZMB) mit Unterarmstützen wieder gehen. Die Nervenbahnen waren noch nicht vollständig zerstört. Das ZMB setzt das japanische Exoskelettsystem HAL (Hybrid assistive limb) ein.
Auch bei den Exoskeletten tut sich was. Tragekomfort und Funktionalität werden verbessert. Ein Beispiel für die neue Generation der medizinischen Exoskelette ist das Modell 6.0 der Firma ReWalk.
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