Sehkraft 26.11.2024, 13:07 Uhr

Wie Nervenzellen der Mäuse zur Hoffnung für Blinde werden

An der TU Wien wurden Netzhaut-Nervenzellen mit Mikroelektroden untersucht. Dabei zeigte sich, dass sie erstaunlich stabil arbeiten – eine wichtige Erkenntnis für Retina-Implantate.

Netzhautzellen

Netzhautzellen unter der Lupe: Stabile Nervenzellen eröffnen neue Chancen für Retina-Implantate.

Foto: TU Wien

Die Retina wird oft als „Außenstation des Gehirns“ bezeichnet, da wichtige Schritte der visuellen Verarbeitung bereits in den Nervenzellen im Auge beginnen.

Wenn Licht auf die Netzhaut trifft, werden Sinneszellen aktiviert und senden elektrische Signale an die Nervenzellen in den Schichten dahinter. Diese Signale werden dann ans Gehirn weitergeleitet.

Vorher war unklar, wie die Nervenzellen, die direkt hinter der Netzhaut liegen, die Signale verarbeiten. Experimente an der TU Wien zeigen jetzt, dass die retinalen Ganglienzellen unterschiedliche Aufgaben übernehmen können, die für das Sehen wichtig sind. Diese Fähigkeit bleibt sogar erhalten, wenn Teile der Netzhaut beschädigt sind. Das ist eine gute Nachricht für die Entwicklung von Retina-Implantaten, die blinden Menschen helfen könnten, ihr Sehvermögen wiederzuerlangen.

Unterschiedliche Signale aus der Netzhaut

„Wenn Licht auf die Photorezeptoren der Netzhaut fällt, dann werden in den nachgeschalteten Nervenzellen elektrische Signale erzeugt“, erklärte Paul Werginz vom Institut für Biomedizinische Elektronik der TU Wien in einer Pressemitteilung. „Aber nicht alle Nervenzellen produzieren dieselbe Signalfolge.“ Wenn es von hell zu dunkel oder umgekehrt geht, werden bestimmte Nervenzellen zuerst aktiv. Manche Zellen verringern ihre Signalhäufigkeit schnell, während andere länger ein starkes elektrisches Signal senden und auf einem höheren Aktivitätsniveau bleiben.

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„Die Frage war für uns also: Wenn sich die retinalen Ganglienzellen unterschiedlich verhalten, liegt das daran, dass sie in unterschiedliche biologische Schaltkreise eingebunden sind und daher unterschiedliche Eingangs-Signale erhalten? Oder gibt es einen intrinsischen, auf biophysikalischen Prinzipien beruhenden Unterschied, der dazu führt, dass diese Zellen unterschiedliche Signale produzieren, auch wenn sie identische Inputs erhalten?“ sagte Paul Werginz. „Im zweiten Fall könnte gewissermaßen jedem Ganglienzelltyp eine eigene Bauteil ID zugeschrieben werden.“

Netzhäute von Mäusen entnommen

Um das zu testen, wurden Netzhäute von Mäusen entnommen, die für einige Stunden noch funktionstüchtig blieben. Die Aktivität der retinalen Ganglienzellen wurde auf zwei Arten angeregt: Zum einen durch Licht, um zu beobachten, wie die Zellen reagieren, und zum anderen durch direkte Strominjektionen, die die Ganglienzellen aktivierten. Mit Strom konnten die biophysikalischen Eigenschaften der Nervenzellen untersucht werden, ohne das davor liegende neuronale Netzwerk zu beeinflussen.

Paul Werginz erklärte, dass die Zellen auch bei direkter Anregung durch Strominjektionen ein sehr ähnliches Signal-Muster zeigten wie bei Lichtbestrahlung. Er fügte hinzu, dass Ganglienzellen, die bei Lichteinfall länger ein erhöhtes Aktivitätsmuster zeigen, dies auch bei elektrischer Stimulation tun.

Dass verschiedene Zellen unterschiedliche Signale erzeugen, liegt nicht nur daran, dass sie unterschiedliche Eingaben aus dem Netzhautschaltkreis erhalten. Die Neigung zu längeren oder kürzeren Signalfolgen ist auch eine grundlegende Eigenschaft der Zellen selbst.

„Das ist erstaunlich, dürfte aber für die Signalverarbeitung und das Sehen sehr wichtig sein“, kommentierte Paul Werginz. „Vermutlich ergeben sich diese Unterschiede zwischen den Zelltypen schon sehr früh, während der Entwicklungsphase der Netzhaut.“

Was ist Retina?
Die Retina, auch Netzhaut genannt, ist eine dünne Gewebeschicht im Inneren des Auges. Sie liegt an der Rückwand des Augapfels und ist dafür verantwortlich, Lichtreize in elektrische Signale umzuwandeln, die dann über den Sehnerv an das Gehirn weitergeleitet werden.

 

Paul Werginz im Labor: Erforschung der Netzhaut gibt neue Hoffnung für die Sehrestoration. Foto: TU Wien

Paul Werginz im Labor: Erforschung der Netzhaut gibt neue Hoffnung für die Sehrestoration.

Foto: TU Wien

Die Zellen behalten die Fähigkeit zur Signalverarbeitung

Doch bleibt diese Eigenschaften der Zellen auch dann stabil, wenn die Zellen ihre ursprüngliche Funktion verlieren, zum Beispiel wenn die Photosensoren der Netzhaut nicht mehr funktionieren? Man könnte annehmen, dass sich das Verhalten der Zellen verändert, da es oft zu einer Umstrukturierung von Nervenzellen kommt, die nicht mehr wie gewohnt gebraucht werden. So wie bei einem verlorenen Finger die Nervenzellen, die früher für die sensorischen Signale dieses Fingers zuständig waren, nicht einfach inaktiv bleiben, sondern für andere Aufgaben genutzt werden.

Paul Werginz sagte aber, dass es bei den retinalen Ganglienzellen anders sei. Die Forschenden haben die Zellen von Mäusen untersucht, die 200 Tage lang blind waren, und festgestellt, dass die Zellen immer noch die gleichen Eigenschaften zeigten. Einige Zellen wurden mit elektrischem Strom kurz aktiv, andere länger. Die Zellen behielten also ihre Fähigkeit zur Signalverarbeitung.

Von daher wäre es, wie bereits erwähnt, eine gute Nachricht für die Entwicklung von Retina-Implantaten. Diese Implantate sollen mit Elektrostimulation über tausende Elektroden die verlorenen Photorezeptoren bei blinden Patienten ersetzen. Werginz erklärte, dass stabile Unterschiede zwischen verschiedenen Zelltypen es ermöglichen, auch nach der Erblindung die vorhandenen Ganglienzellen zu nutzen und in Zukunft bessere Stimulationstechniken für sie zu entwickeln.

Originalpublikation

Ein Beitrag von:

  • Alexandra Ilina

    Redakteurin beim VDI-Verlag. Nach einem Journalistik-Studium an der TU-Dortmund und Volontariat ist sie seit mehreren Jahren als Social Media Managerin, Redakteurin und Buchautorin unterwegs.  Sie schreibt über Karriere und Technik.

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