Eine Sache von Millisekunden 25.10.2024, 13:10 Uhr

Wie unser Gehirn Kurznachrichten schneller verarbeitet, als wir denken

Während wir bei gesprochenen Worten länger brauchen, bis wir sie verstehen, geht das bei Kurznachrichten in Millisekunden. Das ist das Ergebnis einer Studie.

Kurznachrichten

Wir werden täglich von unzähligen Kurznachrichten bombardiert. Eine Studie hat herausgefunden, wie blitzschnell unser Gehirn die Nachrichten verarbeitet.

Foto: PantherMedia / ra2studio

In der digitalen Ära überfluten uns ständig Nachrichten: E-Mails, Benachrichtigungen auf Smartphones und soziale Medien bombardieren uns mit Kurztexten, die unsere Aufmerksamkeit einfangen und blitzschnell verarbeitet werden müssen. Doch wie ist unser Gehirn in der Lage, die Bedeutung dieser kurzen Botschaften so rasch zu erfassen? Neuere Forschungsergebnisse der New York University zeigen, dass unser Gehirn Kurznachrichten viel schneller verarbeitet, als es ausgesprochene Worte oder komplexe Gedanken tun könnten.

Die verblüffende Geschwindigkeit der Sprachverarbeitung

Anders als beim Hören von Sprache, bei der jedes Wort einzeln ankommt, verarbeiten wir geschriebene Kurztexte nahezu auf einen Blick. In ihren Studien stellten die Forschende der New York University fest, dass unser Gehirn die grundlegende Struktur eines Satzes in nur etwa 150 Millisekunden erkennen kann – das entspricht der Zeit, die ein Wimpernschlag dauert. Diese Fähigkeit ermöglicht es uns, komplexe Informationen in Kurzform sofort zu verstehen und darauf zu reagieren.

Liina Pylkkänen, Professorin für Linguistik und Psychologie an der New York University und leitende Forscherin der Studie, erklärt: „Unsere Experimente zeigen, dass das Sprachverständnis des Gehirns Sprache möglicherweise ähnlich wahrnehmen kann wie visuelle Szenen, deren Kern mit einem einzigen Blick schnell erfasst werden kann.“ Der Vergleich zur visuellen Wahrnehmung ist dabei entscheidend: Genau wie wir in Sekundenschnelle ein Bild oder eine Szene verstehen, können wir kurze Sätze, die uns auf Bildschirmen begegnen, augenblicklich erfassen und verarbeiten.

Ein neuer Blick auf das Sprachverstehen

Die Forschenden untersuchten die Geschwindigkeit der Satzverarbeitung mithilfe der Magnetenzephalographie (MEG). Dabei wurden die Gehirnaktivitäten der Probandinnen und Probanden gemessen, während sie einfache, grammatikalisch vollständige Sätze und unstrukturierte Wortlisten lasen. Die Ergebnisse waren bemerkenswert: Schon nach 130 Millisekunden konnte das Gehirn einen strukturierten Satz von einer zufälligen Wortliste unterscheiden. Dies geschieht im linken temporalen Kortex, einem Bereich des Gehirns, der für das Sprachverständnis verantwortlich ist.

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Pylkkänen betont: „In der Zeit, die man braucht, um eine Silbe zu hören, kann das Gehirn tatsächlich die Struktur eines Drei-Wort-Satzes erkennen.“ Diese extrem schnelle Erfassung der Satzstruktur zeigt, dass das Gehirn beim Lesen nicht unbedingt jedes Wort einzeln betrachtet, sondern den gesamten Satz als visuelle und sprachliche Einheit wahrnimmt.

Automatische Korrektur

Ein faszinierender Aspekt der Studie zeigt, dass unser Gehirn sogar in der Lage ist, kleine Fehler in der Satzstruktur automatisch zu korrigieren. Auch wenn ein Satz unlogisch oder grammatikalisch fehlerhaft ist, kann das Gehirn trotzdem die zugrundeliegende Struktur erkennen und den Satz oft so verarbeiten, als wäre er grammatikalisch korrekt.

Nigel Flower, Doktorand und Mitautor der Studie, erklärt: „Dies deutet darauf hin, dass das Gehirn nicht nur die Satzstruktur schnell erkennt, sondern auch kleine Fehler automatisch korrigiert.“ Dieser Prozess, der etwa 400 Millisekunden dauert, ermöglicht es uns, unlogische Sätze intuitiv zu verstehen und uns über kleinere Fehler hinwegzusetzen. Diese Fähigkeit, die Wissenschaftler als „Fehlerkorrektur“ des Gehirns bezeichnen, erklärt auch, warum wir oft über kleine grammatikalische Fehler hinweglesen – unser Gehirn hat sie bereits intern ausgeglichen.

Digitale Medien und die Effizienz unseres Gehirns

Die Fähigkeit, Kurztexte blitzschnell zu verarbeiten, ist ein Vorteil in unserer digitalen Welt, die uns täglich mit Informationen überflutet. Wir sind ständig gefordert, Entscheidungen über Nachrichten zu treffen: Lese ich die Nachricht? Antworte ich darauf? Lösche ich die E-Mail? Diese schnellen Entscheidungen treffen wir oft instinktiv, ohne sie bewusst wahrzunehmen. Die Forschungen der New York University zeigen, dass die Effizienz des Gehirns bei der Textverarbeitung nicht nur unsere Lesegewohnheiten verändert hat, sondern auch Einfluss auf unser Verhalten im digitalen Alltag hat.

„Diese Verschiebung hat deutlich gemacht, dass unser Gehirn nicht nur die Fähigkeit besitzt, schnelle Nachrichten instinktiv zu verarbeiten, sondern auch darauf basierend schnelle Entscheidungen treffen kann“, so Pylkkänen. Durch diese Effizienz wird das Gehirn befähigt, ständig zu filtern und zu bewerten, was wichtig ist und was nicht. So nehmen wir die Informationsflut nicht nur als angenehm oder belastend wahr, sondern filtern blitzschnell das Wichtige vom Unwichtigen.

Möglichkeiten und Grenzen des Gehirns

Die Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass unsere Sprachverarbeitungsfähigkeiten noch mehr Potenzial besitzen, als bisher angenommen. Kurztexte könnten in der Zukunft eine noch zentralere Rolle spielen – besonders, wenn Augmented Reality oder andere Technologien uns konstant neue Informationen liefern. Doch die Frage bleibt: Kann unser Gehirn diesen Anforderungen langfristig gerecht werden?

Der linke temporale Kortex, der Bereich des Gehirns, der maßgeblich an der Textverarbeitung beteiligt ist, arbeitet dabei ähnlich wie die visuellen Areale. „Die Tatsache, dass unser Gehirn die Bedeutung dieser schnellen Nachrichten zumindest in gewisser Weise auf einen Blick erfassen kann, könnte etwas Grundlegendes über das Verarbeitungspotenzial des Sprachsystems verraten“, so Pylkkänen. Tatsächlich könnte die visuelle und sprachliche Effizienz des Gehirns in Zukunft auch Einfluss auf das Design von Kommunikationsplattformen und digitalen Technologien haben.

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Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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