Statt Papieranleitungen: Augmented Reality selbst herstellen
Forscher der Ruhr-Universität Bochum haben Anwendungen der Augmented-Reality (AR) in Form eines Baukastens entwickelt. Das Ergebnis: Künftig könnten Ingenieure mit AR dicke Papieranleitungen zur Wartung oder Reparatur komplexer Anlagen ersetzen.
Computergestützte Erweiterung der Wahrnehmung unserer Realität – so lassen sich Augmented-Reality-Anwendungen, kurz AR, beschreiben. Ein gutes Alltagsbeispiel zum Verständnis von AR ist das Handyspiel Pokémon Go. 2018 gab es in Deutschland einen großen Hype um dieses Spiel. Dabei sollten die Spieler auf dem Display Fantasiewesen fangen, die auf einer Karte der realen Umgebung zu sehen waren. AR erweitert also die Realität, indem es sie um digitale Informationen ergänzt. Eine Spielerei in Verbindung mit Pokémon Go, doch übertragen auf andere Lebens- und Arbeitsbereiche ergeben sich neue Möglichkeiten, den Alltag zu erleichtern.
Augmented Reality ohne Vorwissen nutzen
Mario Wolf vom Lehrstuhl für Digital Engineering der Ruhr-Universität Bochum (RUB) und sein Kollege Jan Luca Siewert haben sich genau mit diesem Thema beschäftigt: „Unser Ziel ist es, Augmented Reality einfach nutzbar zu machen.“ Denn auch wenn AR den Alltag erleichtern würde, besteht immer noch die Hürde, komplexe Applikationen dafür zu erstellen. Deshalb haben die beiden Wissenschaftler ein Tool entwickelt, das es Anwendern ohne Vorkenntnisse ermöglichen soll, eine eigene AR-App zu erstellen. Eine denkbare Anwendung wäre zum Beispiel der Maschinenbau. Ingenieure könnten Papieranleitungen komplexer Maschinen in AR-Anleitungen übersetzen. Diese erklären dann Schritt für Schritt, was genau zu tun ist.
Vorwissen in puncto AR, Bildverarbeitung oder ähnlichen Programmen benötigt der Anwender nicht. Die Anleitung kann mithilfe eines Computers oder Tablets erstellt werden und funktioniert nach einem Baukastenprinzip. Dafür kommen auch Symbole zum Einsatz: Ein Pfeil weist beispielsweise auf eine besondere Stelle hin, oder ein Warnsymbol zeigt, hier ist besondere Aufmerksamkeit gefordert. Im Hintergrund leistet eine Web-Anwendung die notwendige Vorarbeit. Der Anwender übersetzt die Anleitung auf Papier in einzelnen Schritten in digitale Instruktionen. Die Software kann ganz verschiedene Formate verarbeiten. Das ermöglicht es, Fotos oder PDF-Dokumente hochzuladen, Textfelder zu befüllen oder Icons auszuwählen. Zum Schluss folgt ein Gang zur Anlage. Die Kamera im Tablet wird aktiviert, und durch simples Antippen des Kamerabildes legt man fest, wo die vorher eingegebenen Instruktionen positioniert werden sollen.
Komplexe Anlagen mit AR verstehen
Jeder, der mit der Anlage arbeiten muss, kann nun mit dem Tablet arbeiten, statt in eine dicke Anleitung aus Papier zu schauen. Sieht der Nutzer sich die Anlage wieder im Kameramodus an, zeigt die App automatisch, was in welcher Reihenfolge an welcher Stelle zu tun ist. Diese Anwendung lässt sich in der Lehre zum Beispiel für Maschinenbaustudenten einsetzen und überall dort, wo komplexe Anlagen bisher nur mit umständlichen Papieranleitungen zu verstehen sind.
Damit sich das Tablet im Raum selbstständig orientieren kann, muss lediglich zu Beginn einmal ein Nullpunkt definiert werden. Das funktioniert beispielsweise mit einem Bildmarker auf einem Din-A4-Blatt, das man in der Nähe der Anlage anbringt. Diese Markierung erkennt die Software automatisch als Nullpunkt, sobald der Anwender die Kamera darauf richtet. Danach kann man sich frei im Raum bewegen und die AR-Anleitung erstellen. Bewegungssensoren im Tablet übermitteln dem Programm jederzeit den Standort, auch wenn der Bildmarker für die Kamera nicht mehr sichtbar ist. Probleme tauchen aktuell auf, sobald der Raum zu dunkel ist oder starke Reflexionen, zum Beispiel durch spiegelnde Oberflächen, entstehen. Einfarbige große Flächen behindern die Orientierung, da den Algorithmen die markanten Punkte zur Orientierung fehlen. „Unter realen Bedingungen klappt die Positionierung von Informationen mit unserer Software derzeit auf wenige Zentimeter genau“, sagt Mario Wolf. „Das ist für unsere Zwecke ausreichend.“
AR für die breite Masse nutzbar
Bislang läuft die von den Bochumer Forschern entwickelte Software auf Apple iPads. Die Bilderkennungsalgorithmen und Orientierungsfunktionen seien bei diesem Tablet am besten. Allerdings kann man sich die App nicht einfach herunterladen. „Interessierte Anwender müssen im Moment bei uns vorbeikommen, damit wir das Programm per Kabel auf ihr Gerät aufspielen können“, so Wolf. An einer Lizensierung für den App-Store arbeiten sie, sie befindet sich allerdings noch im Entwicklungsstadium. Ein weiterer nächster Schritt ist eine Studie zur Nutzerfreundlichkeit. Die Wissenschaftler möchten herausfinden, was den Anwendern fehlt. Sie wollen ihre Software noch weiterentwickeln. Im Einsatz ist die App an verschiedenen Lehrstühlen an der RUB. „Der Trend im Augmented-Reality-Bereich geht gerade weg von komplizierten dreidimensionalen Animationen, die eigentlich nur Showeffekte sind und oft wenig Mehrwert liefern“, erklärt Wolf. Stattdessen wollen die beiden Forscher AR für die breite Masse nutzbar machen.
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