Beim bleifreien Lötenist noch nicht alles im Lot
Auch der Leitfaden ist umstritten.
Mit der Begründung, es gäbe keinen gleichwertigen Ersatz für die bleihaltigen Weichlote, die heute in praktisch allen marktüblichen elektrotechnischen und elektronischen Produkten zum Einsatz kommen, fordert der ZVEI vom Gesetzgeber den Verzicht auf das beabsichtigte Bleiverbot in der Elektronikschrott-Richtlinie, die nach den Vorstellungen der EU-Kommission zum 1. Januar 2004 in Kraft treten soll. In einem jetzt veröffentlichten Leitfaden fasst der Verband zur Orientierung seiner Mitgliedsfirmen den Stand der Technik auf dem Gebiet des bleifreien Lötens aus seiner Sicht zusammen.
Blei ist eine der gefährlichsten Umweltchemikalien, die sich über die Nahrungskette im menschlichen Organismus anreichern können. Bereits in relativ niedrigen Konzentrationen kann es die Bildung von Hämoglobin im Blut beeinträchtigen sowie zu Schwangerschaftsmissbildungen und Störungen des Nervensystems führen. Aus Wasserleitungsrohren, Konservendosen, Farben und Benzin ist das Schwermetall schon längst verbannt bei Autobatterien – auf die etwa die Hälfte des Gesamtverbrauchs von 322 000 t in Deutschland entfallen – wird es in weitgehend geschlossenen Stoffkreisläufen geführt. Etwa 6500 t Blei finden jährlich als Bestandteil von Loten Verwendung in Elektrogeräten, sodass 1 t Platinenschrott zwischen 10 kg und 50 kg des toxischen Elements enthält. Obwohl ein steigender Anteil von Altgeräten bereits getrennt entsorgt wird, bleiben elektronische Geräte, vor allem die hausmüllgängigen Kleingeräte der Konsumelektronik, noch eine Quelle diffuser Einträge in die Umwelt: In Deponien gefährdet die Auslaugung bleihaltiger Lote durch Sickerwässer das Grundwasser.
Die ZVEI-Studie behandelt von der Normung über die Materialien und Prozesse bis hin zur Inspektion und Zuverlässigkeit umfassend sämtliche Aspekte des Übergangs zu bleifreien Verbindungstechnologien und bewertet die einzelnen Schritte im Hinblick auf technische Probleme, den Umstellungsaufwand und die laufenden Kosten. Für ein Verbot von Blei in Elektrogeräten, so das Fazit von Bernhard Diegner, dem Leiter der Abteilung Forschung, Berufsbildung und Fertigungstechnik des Industrieverbandes, fehlen heute alle Voraussetzungen. Vielmehr solle der Gesetzgeber den Kräften des Marktes vertrauen und den Ausstieg nicht im regionalen Alleingang betreiben. So sei keine bleifreie Alternativlegierung bekannt, die sämtliche Anforderungen an Schmelzpunkt, Kosten, Verarbeitbarkeit und Zuverlässigkeit zugleich erfülle.
Nicht jeder hält dieses Argument unbedingt für stichhaltig. „Auch das Asbest ist durch eine Vielzahl von Materialien ersetzt worden“, meint Klaus Bosse vom Umweltbundesamt. „Ebenso wird man das Bleilot nicht durch ein, sondern durch mehrere Lotsysteme ersetzen, die dann eine sehr viel präzisere Anwendung ermöglichen.“ Als Ersatzstoffe stehen vor allem Zinn/Zink- (SnZn-), Zinn/Silber- (SnAg-) und Zinn/Kupfer-(SnCu-)Legierungen zur Verfügung. Doch der Einsatz bleifreier Alternativlote zieht in den meisten Fällen eine Erhöhung der Löttemperatur um 20 °C bis 30 °C nach sich und erfordert damit eine höhere Wärmebeständigkeit der zu verarbeitenden Bauelemente. Dem Leitkleben, das nahezu ohne thermische Belastung auskommt, räumt die Studie nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand allenfalls eine Rolle als „Nischenlösung“ ein (s. Kasten).
Zudem sei der ökologische Vorteil des Umstiegs auf bleifreie Weichlote „nicht nachgewiesen“, heißt es in dem Leitfaden „eine Analyse der Umweltauswirkungen steht noch aus“. Doch auch diese Aussage halten viele Fachleute nicht für haltbar. „Im Deponieverhalten“, meint beispielsweise Hansjörg Griese vom Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM), „schneidet Blei mit Abstand am schlechtesten ab.“ Zwar gibt es noch keine ökologische Gesamtbewertung, die etwa auch die aufgrund der höheren Schmelztemperaturen ungünstigere Energiebilanz der Alternativstoffe mit einbeziehen würde, doch die entscheidenden toxikologischen Fragen sind längst geklärt.
Die skeptischen Feststellungen des ZVEI hinsichtlich des Betriebsverhaltens der Alternativstoffe – „Erkenntnisse über die Zuverlässigkeit bleifrei gelöteter Baugruppen existieren nicht oder sind unzureichend“, heißt es in der Studie – kann der Abteilungsleiter für Umweltschutz im IZM nicht nachvollziehen. Zwar sind die Untersuchungen zum extremen Langzeitverhalten noch lückenhaft – die Spezifikationen von Baugruppen für Kommunikationsnetze oder die Luftfahrtindustrie verlangen beispielsweise Lebensdauern von 20 Jahren – aber für Konsumprodukte und Computer mit durchschnittlichen Betriebsdauern von drei bis fünf Jahren reiche die bereits nachgewiesene Zuverlässigkeit der alternativen Verbindungsmaterialien allemal aus.
Außerhalb Europas zeigt die geplante EU-Richtlinie, die bislang noch nicht einmal im Entwurf vorliegt, offenbar mehr Wirkung. Die exportorientierten japanischen Firmen haben rasch darauf reagiert und bringen derzeit die ersten bleifreien Produkte auf den Markt. So verkauft Panasonic bereits mit Zinn/Silber gelötete tragbare MiniDisc-Player, und NEC bietet seit neuestem ein Notebook an, dessen Baugruppen auf einer Zinn/Zink-Verbindungstechnik beruhen. „Die Japaner marschieren voran, die Amerikaner formieren sich, aber hierzulande wird gemauert“, kritisiert Hansjörg Griese.
Er hält es für ratsamer, wenn der ZVEI das beabsichtigte EU-Bleiverbot weniger defensiv anginge, statt den Konkurrenten auf dem Weltmarkt mit Innovationen die Gelegenheit zur Marktdifferenzierung zu geben. „Wer frühzeitig umstellt, kann noch Wettbewerbsvorteile erlangen“, meint er. „Jede Verzögerungstaktik wäre zum jetzigen Zeitpunkt das falsche Signal, das nur dazu führt, dass sich kleine und mittlere Firmen in trügerischer Sicherheit wiegen, während es darauf ankommt, sich rechtzeitig auf die anstehenden Veränderungen vorzubereiten.“
Der ZVEI hingegen verweist auf die weltweiten Verflechtungen der Elektroindustrie und fordert „ein global abgestimmtes Vorgehen“. Die tatsächliche Entwicklung ist inzwischen offenbar schon etwas weiter, denn genau zu diesem Zweck trafen sich in der vergangenen Woche die Vertreter von rund 300 führenden Firmen auf dem „International Summit on Lead-Free Electronic Assemblies“ in Minneapolis. „Die Abstimmung findet bereits statt“, beschreibt Griese den Stand der Dinge, „und zwar mit den Füßen.“ RICHARD SIETMANN
Löten ohne Blei ist noch keine Massentechnologie. Doch ab 2004 sollen Elektrogeräte „bleifrei“ sein. Der ZVEI hält dies für verfrüht. Foto: Messe München
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