„Das ist Verfahrenstechnik auf Rädern“
Hightech kann ein Schlüssel für eine effiziente, ressourcenschonende Landwirtschaft sein. Davon ist Hermann Garbers, Geschäftsführer Technologie und Qualität der Claas Gruppe, überzeugt. Entscheidend ist für ihn die Prozesskette: „Stellen Sie sich vor, eine Maschine könnte bei Regen erkennen, ob es sich lohnt, auf einem 3 km entfernten Feld mit besserem Wetter die Ernte fortzusetzen.“
Wäre da nicht ein großer Landmaschinenbetrieb, es wäre ruhig in Harsewinkel. Ruhig ist auch Hermann Garbers, der hier bei Claas im tiefen Ostwestfalen, rund 15 km nordwestlich von Gütersloh, die Bereiche Technologie und Forschung verantwortet. Garbers ist eben ein echter Norddeutscher, aufgewachsen auf einem kleinen Hof südlich von Hamburg. Nur selten wird er lauter. Sachlich, beinahe nüchtern analysiert er selbst komplexe Zusammenhänge.
„Wir positionieren uns über Innovationen“, erklärt Garbers. „Dadurch haben wir z. B. bei den Häckslern einen Marktanteil von über 50 % weltweit, bei Mähdreschern bringen wir es in Deutschland auf rund 50 %, in Europa auf über 40 % Marktanteile.“ Und ganz leicht schimmert auch bei dem stillen Maschinenbauingenieur etwas Stolz durch: „Eine Patentanmeldung pro Woche, teilweise mehr, das kann sich auch in anderen Branchen sehen lassen.“
Die Philosophie von Claas heißt kurz: Technologieführer sein und damit möglichst viel Innovation als Erster und zugleich zum rechten Zeitpunkt auf den Markt bringen. Laser- und GPS-gesteuerte Mähdrescher, die exakt an der Getreidebestandskante entlangfahren, Sensoren, die Bestandsdichten von Pflanzungen erfassen, oder ein Auswurfkrümmer, der über ein Kamerasystem gesteuert wird und erkennt, ob der parallel fahrende Anhänger gefüllt ist. All das ist „invented by Claas“.
Die Landtechnik hat sich in den letzten Jahrzehnten radikal verändert. Die Öffnung des Eisernen Vorhangs bescherte Claas neue, attraktive Märkte in Osteuropa. Das westfälische Familienunternehmen überstand die großen Konsolidierungswellen in der Branche ab Mitte der 90er-Jahre. Der Trend zur Biomasse sorgte beim Häckslerspezialisten für einen Auftragsboom.
Doch ähnlich wie das Unternehmen selbst hat auch der 59-jährige Technologiechef Bodenhaftung bewahrt. Noch bis vor Kurzem habe man immer gedacht, dass die installierte Leistung der Maschine erhöht werden muss, um sie zu verbessern, berichtet er. Doch mittlerweile sei klar, dass es um den Prozess gehe. Das Schneiden von Korn, das Trennen der Körner vom Rest, schon das ist nach Ansicht von Garbers ein Prozess, der im Mähdrescher abläuft. „Das ist Verfahrenstechnik auf Rädern.“
Leidenschaftlich wird der ruhige Manager aber erst, wenn es um die „Prozesskette“ geht. Effizienz könne vor allem durch genaue Kenntnisse der Ernteabläufe, der Laufzeiten der Maschinen, aber auch von Umweltbedingungen gesteigert werden. Es gehe um die intelligente Vernetzung aller Parameter.
Die mittlerweile zur Verfügung stehende Technik kann da helfen: „Mit Telematik kann man heute das gesamte technische Erntesystem in Echtzeit über das Internet überwachen. Sie können von jedem Ort der Welt auf Maschinen zugreifen, sehen, wo sie sind und was sie tun.“ Informations- und Webtechniken assistieren. Künftig werden sich Maschinen miteinander unterhalten – Car2Car-Kommunikation in der Landwirtschaft.
Claas ist an diversen Forschungsprojekten beteiligt. „Unser nächstes Projekt wird eines mit dem Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz in Bremen sein“, verrät Garbers. „Stellen Sie sich vor, eine Maschine könnte bei Regen erkennen, ob es sich lohnt, auf einem 3 km entfernten Feld mit besserem Wetter die Ernte fortzusetzen.“
Und dann wird er wieder ganz der sachliche Landwirt: „Jede Minute, in der die Maschine nicht arbeitet, ist unproduktiv. Bauern oder Lohnunternehmer verdienen dann kein Geld, es kostet sie sogar Geld.“ Schließlich entscheiden in der Ernte schlicht die Kosten pro Tonne geernteten Materials. „Mit dieser Rechnung sind wir schnell an der Schwelle zur industriellen Landwirtschaft.“
Das gilt natürlich vor allem für Westeuropa und Nordamerika. In Indien ist der Mechanisierungsgrad ein ganz anderer. So sehen z.B. die Erntemaschinen, die Claas auf dem Subkontinent baut, vergleichsweise einfach aus. „Keine Kabine und nur so viel Elektronik wie nötig, um Licht anzuschalten und den Motor zu starten.“
Garbers weiß genau, dass Innovation kein Selbstläufer ist. „Wir bilden seit Jahren Technologieteams aus verschiedenen Disziplinen für Schwerpunkte wie Man-Machine-Interface oder Elektronic Hardware.“ Ihm ist klar, dass vor allem begeisterte Menschen das Unternehmen mit ihren Ideen bereichern.
„Ich bin persönlich nicht der große Erfinder oder Bastler“, gesteht er. „Meine Aufgabe und vielleicht auch meine Qualitäten sind es, die Wissenden zusammenzubringen“, und ergänzt leise: „Ich bin eine Art Technologie- oder Wissensmanager.“
Die Entwicklung sei so rapide fortgeschritten, dass heute niemand mehr eine komplette Maschine im Kopf habe. „Wir müssen uns die Dinge gemeinsam erarbeiten.“ Leute zum Reden zu bringen, sie zu motivieren, ihr Wissen zu teilen, das kann Garbers. Nach Möglichkeit nimmt er an allen Technikgesprächen an allen Standorten teil.
Viele Menschen verwechselten Wissen mit Information, bemängelt Garbers und betont: „Wissen ist Information plus Erfahrung.“ Diese Erfahrung, eine geringe Fluktuationsrate, aber auch ständig neue Anregungen und Ideen, das sei das Kapital von Claas. Wer in Harsewinkel sieht, wie der 83-jährige Senior Helmut Claas Studenten durch den Betrieb führt, ahnt, was Garbers damit meint.
Bei Claas spürt man an vielen Orten die gesellschaftspolitische Verantwortung, die das Familienunternehmen übernimmt. „Natürlich wollen wir unseren Teil dazu beitragen, die Weltbevölkerung zu ernähren – und das in guter Qualität und ressourcenschonend“, erklärt Garbers. Raupenlaufwerke für Mähdrescher, die dafür sorgen, dass der Boden weniger verdichtet wird, sind da nur eine von vielen möglichen Antworten auf die Anforderungen an Nachhaltigkeit.
Garbers bleibt bescheiden: „Ich habe das Glück von einem landwirtschaftlichen Betrieb zu kommen, da ist das Verständnis von vornherein ein anderes.“ Der Dorfschullehrer hat damals den Vater überzeugt, dass es für den Sohn sinnvoller wäre Abitur zu machen und zu studieren, als den kleinen Betrieb zu übernehmen.
Sitzen also künftig Landwirtschaftsmanager an wenigen Schaltzentralen und managen von dort aus den Einsatz von Maschinen in Indien, Äthiopien oder Brasilien? Immer wieder wird Garbers gefragt, ob irgendwann die Maschinen mannlos über den Acker fahren. Doch das ist nicht seine Vision. „Automatisieren und auch autonomes Fahren heißt nicht, dass Maschinen nur noch ohne Führung über den Acker fahren.“ Die Flexibilität sei dann nicht mehr da. Jedes Auto, jede Maschine und jedes Feld sei anders.
Zu weite Blicke in die Zukunft lehnt der Technologiemanager ab. „Als ich bei Claas anfing, machte ein Mähdrescher rund 20 t Getreidekörner pro Stunde. Da fragte sich jeder, was soll noch kommen? Heute schaffen wir es auf 60 t bis 70 t – unter sehr optimalen Bedingungen können es auch 100 t pro Stunde werden.“
Garbers ist überzeugt, dass da Dinge kommen werden, von denen wir heute noch keine Vorstellungen haben. „Ich kann mir jedoch eine selbstorganisierende, selbststeuernde Prozesskette im landtechnischen Betrieb vorstellen.“ Und dann wagt er eine Prognose – ruhig und unprätentiös: „Jede Maschine wird eine Identität haben, wissen, wo sie ist und wie das Umfeld ist. Beim Anspannen wird der Traktor sofort das andere Gerät erkennen und bedienen können. Der Mähdrescher wird automatisch zum Feld geführt und weiß, wo er am besten anfangen soll. Wichtig sind dabei Kommunikationstechniken und offene Schnittstellen.“ REGINE BÖNSCH
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