„Deutsche brachten ihr Ingenieurwissen mit“
Was für die deutsche Fertigungsindustrie das „Ländle“ ist, ist in den USA die Region rund um Cincinnati. Einst von Deutschen besiedelt, trifft man auch dort auf die typischen schwäbischen Eigenschaften: Fleiß, Strebsamkeit und Sparsamkeit. Entsprechend ähnlich ist die Industrie-, aber auch die natürliche Landschaft entlang des Ohio-River.
Wer in den USA nach erfolgreichen Fertigungsindustrien sucht, der wird fündig in der Region rund um Cincinnati, im Dreiländereck von Ohio, Kentucky und Indiana. Jahr für Jahr erhält Ohio Auszeichnungen als bester Industriestandort. So gewann dieser Bundesstaat in diesem Jahr erneut den „Governor‘s Cup“ der Fachzeitschrift „Site-Selection“ als bester Industriestandort in den USA.
Neil Hensley, Chef der Wirtschaftsförderung von Cincinnati, vergleicht diesen Standort am liebsten mit dem deutschen „Ländle“. „Wir haben den Fleiß und die Emsigkeit der Schwaben ererbt“, lautet seine Erklärung dafür. In der Tat gehen die ersten namhaften Besiedelungen sowie die weitere Stadtentwicklung im hohen Maße auf deutsche Einwanderer zurück, die zum Teil aus dem heutigen Schwabenland stammten. „Die Deutschen, die sich hier niederließen, brachten ihr Fertigungs- und Ingenieurwissen mit – und davon profitiert diese Region noch immer“, so Hensley über den deutschen Ursprung.
Folglich ist Hensleys Schwerpunkt bei der Industrieakquisition Deutschland. Viele deutsche Firmen hat er schon bei der Ansiedlung in und um Cincinnati herum unterstützt. Zu den bekanntesten gehören Krauss-Maffei, ThyssenKrupp, Siemens, Krups Fördersysteme und ZF. Das findet auch bei der Politik Beachtung.
Ende September besuchte der deutsche US-Botschafter, Klaus Scharioth, das Siemens-Motorenwerk in Norwood. „Deutsches Personalmanagement ist besser in der Lage auf Krisensituationen zu reagieren“, sagte er und ging dabei vor allem auf die Kurzarbeit ein. Darin befindet er sich in Übereinstimmung mit vielen US-Wirtschaftsexperten, die der Obama-Regierung eine Adaption der deutschen Regelung raten.
Norwood liegt etwa 20 Autominuten nördlich von Cincinnati. Seit 1977 ist Siemens dort direkt vertreten. Zunächst über ein Joint Venture, bevor das Werk 1985 komplett übernommen wurde. Heute werden dort alle Wechselstrom-Motoren für den US-Markt mit einer Leistung von mehr als 373 kW gefertigt.
Die Fabrik genießt in den USA höchste Anerkennung. Die Fachzeitschrift „Plant Engineering“ kürte sie im vorigen Jahr zum besten Fertigungsbetrieb. Vor allem der rationelle Workflow und die hohe Qualität der Produkte werden in der Auszeichnung hervorgehoben.
Motivierte und engagierte Mitarbeiter in der Region Cincinnati sind dabei ein wichtiges Kriterium – für Siemens und für andere Unternehmen. „Einer der Hauptgründe für unsere Standortwahl war die Qualität des Fachpersonals. Auch wenn dieses nicht ganz so gut ausgebildet ist, wie es die deutschen Facharbeiter sind, so stehen diese den Deutschen in puncto Fleiß und Zuverlässigkeit um nichts nach“, schwärmt Mike Hirsch, Betriebsleiter von ZF Lenksysteme. In Sachen Flexibilität seien sie den Deutschen sogar überlegen.
Hirsch kommt aus Schweinfurt und ist schon seit 20 Jahren in den USA. Zum benötigten Fachwissen sagt er: „Wir vermitteln das bei ZF innerhalb des Unternehmens, und mit guten Löhnen und Sozialleistungen sorgen wir dafür, dass die ausgebildeten Mitarbeiter nicht zur Konkurrenz abwandern.“
Darüber hinaus gibt es im Umkreis von 300 km über 300 Colleges und Universitäten. Hier können alle Konstruktions- und Fertigungsdisziplinen mit Praxisbezug studiert werden. „Wir arbeiten mit vielen Colleges eng zusammen, damit deren Curricula stets auf dem Stand dessen sind, was in der Industrie gefordert ist“, beschreibt Hirsch die Kooperation.
Sein dortiges Werk für Lenksysteme liegt direkt am Flughafen von Cincinnati und beschäftigt derzeit 500 Mitarbeiter. Größter Kunde ist General Motors (GM). Insgesamt verfügt ZF über drei Werke in der Region und diese gehören zu den über 100 Tier-1-Autozulieferern im Großraum Cincinnati.
Bei allen stehen die Zeichen wieder auf Wachstum, denn die US-Autobranche hat sich wesentlich schneller erholt, als noch vor einem Jahr befürchtet wurde. Dazu Mike Hirsch: „Wir erhöhen die Fertigungstiefe und verlagern weitere die Zulieferungen aus dem Ausland nach Amerika. Wir suchen also viele neue Lieferanten, die wir gerne hier in unserem unmittelbaren Umkreis hätten.“
Die räumliche Nähe zu anderen großen deutschen Betrieben war auch für Kutterer-Mauer ein wichtiges Kriterium. „Unsere Maschinen kommen von Krauss-Maffei und deshalb suchten wir einen Ort in deren Nähe“, sagt Susanne Kutterer über die Entscheidung, sich vor drei Jahren im Großraum von Cincinnati anzusiedeln. Kutterer-Mauer stellt Spritzguss-Kunststoffteile für die Verpackungsindustrie her. Mit Procter & Gamble hat man auch seinen größten Kunden hier in unmittelbarer Nachbarschaft.
Dabei erhalten auch kleine Unternehmen Unterstützung. Cincinnatis „Brandery“ ist z. B. ein neuer Incubator, der als Nonprofit-Einrichtung mit öffentlicher Hilfe ganz junge Start-ups fördert. Hier befindet sich unter anderem auch das Büro von „Brainrack“. Das ist ein Internetportal, über das Forschungs- und Entwicklungsprojekte öffentlich an Studenten ausgeschrieben werden können. HARALD WEISS
Ein Beitrag von: