Von der ersten Idee zur erfolgreichen Innovation
Die deutsche Branche gilt in der klassischen Drucktechnik als Weltmarktführer. Die Innovationskultur der Unternehmen hat sich durch zwei veritable Wirtschaftskrisen – 2001/2002 und 2008/2009 – geändert. Bei Heidelberger Druckmaschinen verantwortet Stephan Plenz im Vorstand den Umbau der Forschung & Entwicklung hin zu einem Innovationsdienstleister. Der Blick geht dabei technologisch längst über den Tellerrand der Drucktechnik hinaus.
VDI nachrichten: Herr Plenz, Sie haben Forschung und Entwicklung unter Ihren Fittichen. Wenn Heidelberg etwas neu erfindet, wie macht das Unternehmen das?
Stephan Plenz: Man sollte bei dem Begriff Innovation das Wort „erfolgreich“ voranstellen. Die Idee allein ist noch keine Innovation. Eine Innovation wird erst daraus, wenn Sie ein erfolgreiches, vermarktbares Produkt entwickeln. Das ist der Prozess in der Entwicklung, mit dem wir uns auseinandersetzen. Da geht es zum einen darum, den Kunden zuzuhören: Wo gibt es einen Bedarf? In welche Richtung muss ich denken, um Ideen zu kreieren? Zum anderen beobachten wir Technologien, die neu im Markt sind.
Schön ist immer die Frage: Wie können wir aus diesen Technologien etwas entwickeln, das dem Endkunden einen Mehrwert bringt. Ein Beispiel ist die Entwicklung der LEDs. Wir stellen ja keine Autoscheinwerfer her. Aber wir können LEDs in anderen Frequenzen auch als Trockner benutzen. Dort, wo wir heute Heißluftstrahler für die UV-Trockner einsetzen, können wir in Zukunft mit weniger Energie Farben trocknen.
Wann und wie kommt das Ganze zusammen?
Es gibt in allen Bereichen der Entwicklung eine Ideen-Roadmap. Ideen werden gesammelt, vorbehaltlos gelistet, dann diskutiert und von einem Gremium bewertet: Mit welcher Idee machen wir eine Vorstudie, einen „proof of concept“. Dann erarbeitet ein Team aus Entwicklung, Produktmanagement und Marketing einen Business-Case. Wollen wir dann ein Produkt daraus entwickeln, wird es ein definiertes Projekt samt Budget. Diese Prozesse laufen genauso auf der Technologieseite ab.
Wann erreicht es die Vorstandsebene?
Mich erreicht es zum Teil ganz am Anfang, oft bereits beim Entstehen einer Idee. Wir sind ein sehr offenes Unternehmen, sehr gut vernetzt. Die Entwickler kommen auch sporadisch vorbei, man trifft sich auf dem Gang, man hat Informationsforen. Viele Ideen gehen dann den normalen Bewertungsprozess, und spätestens wenn ein Projekt daraus wird, dann bin ich im Boot.
Das kann man gut an unserem Projekt Lasertechnologie sehen. Aus dem Know-how des Unternehmens über Halbleitertechnologien heraus hat sich unsere Vorentwicklung damit beschäftigt, wie man dieses Wissen auch in eine Anwendung bringen kann. Daraus ist ein Produkt, nämlich ein Laserkopf für unsere Druckplattenbelichter, entstanden, das heute bereits weltweit über 8000-mal installiert wurde.
Sie sind auch für China zuständig. Welchen Nutzen zieht Heidelberg aus diesem Markt, welche Anforderungen gibt es dort?
China ist der Wachstumsmarkt der Branche, den wir einerseits mit modernstem Equipment aus Deutschland beliefern. Was wir vor Ort produzieren und in der Masse verkaufen, sind Standardprodukte.
Das ist in Bezug auf Qualität und Zuverlässigkeit die gleiche Maschine, die man auch hier kaufen kann, nur nicht in der Varianz und in diesem Automatisierungsgrad. Damit treffen wir genau die Anforderungen vieler chinesischer Druckereien, die sonst nicht bei Heidelberg kaufen könnten. Heidelberg ist hier Vorreiter unter den westlichen Druckmaschinenbauern und profitiert jetzt mit seinem Angebot von dem Boom in dem Land.
Die Qualitätsanforderungen der Chinesen sind genauso hoch. Sie können dort keine schlechteren Produkte liefern. Global gesehen gibt es heute keine Zweiklassengesellschaft, was die Anforderungen an die Druckqualität angeht.
Anfangs war es nicht leicht, chinesische Lieferanten zu finden, die unseren Qualitätsansprüchen entsprachen. Durch eine intensive Zusammenarbeit mit möglichen Lieferanten hat sich das mittlerweile geändert und wir erhalten nun auch vor Ort gute Qualität von lokalen Zulieferbetrieben. Heute schon haben wir sehr gute Lokalisierungsraten unserer vor Ort hergestellten Produkte. Beim ersten Produkt, das Heidelberg dort produziert hat, der Falzmaschine, sind wir bei fast 80 % Lokalisierungsrate, bei Druckmaschinen liegt sie immerhin bei bis zu 30 %.
Gibt es Dinge in China, wo Sie sagen: Da können wir uns was von abgucken!
Was man dort braucht, sind einfache, robuste Prozesse, zuverlässige Maschinen, einen starken Service, eine gute Ersatzteilversorgung. Wir reden nicht über ein Luxusprodukt, sondern über Produktionsmaschinen, mit denen unsere Kunden Geld verdienen müssen. Da sind Chinesen stark auf den Geschäftserfolg fixiert und weniger innovationsgetrieben, als dies in Europa der Fall ist.
Heidelberger schreibt sich stark die Ökologie auf die Fahnen. Wie hat sich das entwickelt?
Das Thema ist heute viel systemimmanenter, als das in der Vergangenheitder Fall war. Ökologie hat auch immer einen großen wirtschaftlichen Aspekt. Das Leben einer Druckmaschine spielt sich, ökologisch gesehen, im Betrieb ab: Wie viel bedruckte Seiten werden nicht dem Endnutzerzweck zugeführt, sondern vorher weggeworfen. In der Druckbranche heißt das, was man an Papierabfall produziert, Makulatur. Papier ist sehr teuer und sehr CO2 intensiv. Wenn der Drucker also durch verschiedene Maßnahmen die Makulatur reduzieren kann, spart er Geld und schont zugleich die Umwelt. Viele unserer Lösungen unterstützen diese Einsparungen.
Das haben Sie ausgerechnet?
Ja, dazu haben wir intensivste Studien gemacht. Die Makulaturreduzierung ist ein Thema, was die Ingenieure bei uns seit Jahren antreibt. Wir haben das Thema Umwelt als eigene Abteilung in der Entwicklung aufgebaut. Wir haben mit der Uni Darmstadt einen Katalog erarbeitet, der den Entwicklern zur Verfügung steht, nach welchen Kriterien sie umweltgerecht konstruieren können, welche Materialien sie verwenden dürfen.
Ist der Integrationsprozess dieser Kriterien in die Produktentwicklung abgeschlossen?
Dieser Prozess befindet sich mitten in der Umsetzung. Ich würde sagen, Heidelberg ist an dem Thema schon länger dran, unsere Kunden und wir können deren Anforderungen jetzt sehr gut adaptieren, abgeschlossen ist das nie.
Brauchen Sie dafür spezielle Ökoingenieure?
Wir haben einen Bereich, der sich spezifisch darum kümmert, damit dieser Katalog korrekt in den Lastenheften abgebildet ist. Wir sind mit dem VDMA und mit Universitäten unterwegs, um auszuarbeiten, wie wir in Zukunft die CO2-Bilanz einer ganzen Druckmaschine wissenschaftlich bestimmen können.
Es gibt Unternehmen, die Open Innovation betreiben: Sie öffnen ihre Forschungslabore auch für andere? Wie sieht das bei Heidelberg aus?
Wir sind ein Technologieunternehmen mit einem breiten Know-how in dem Maschinenbau, der Softwareentwicklung und der Lasertechnologie und wie all diese Bereiche zusammenwirken. Die eigentliche Druckmaschinenbaubranche ist sehr klein. Da wollen wir Innovationen nicht breit diskutieren, weil die Anzahl der Wettbewerber sehr gering ist.
Wo wir sehr offen sind, ist, wenn wir diese Themen mit unseren Lieferanten und mit Universitäten diskutieren und wenn wir uns technologisch außerhalb der Branche bewegen.
Gibt es Spin-off bei Ihnen? Fördern Sie so etwas?
Aus der Vorentwicklung heraus gibt es so etwas. Themen, die wir so weit treiben, dass wir wissen: Das könnte etwas sein, aber dann merken, dass die Anwendung wohl doch nicht bei uns im Druckmaschinenbereich liegt. Heidelberg muss nicht nur die grafische Industrie bedienen. Es gibt auch andere Branchen, die wir bedienen können, und wir tun das auch.
Die neue Ausrichtung von Ihnen setzt einen sehr starken Fokus auf die Dienstleistung. Was bedeutet das für Forschung und Entwicklung?
Der Serviceeinsatz des Unternehmens hat natürlich auch Auswirkung auf die Entwicklung Ein großes Thema ist die Remotesteuerung und -wartung unserer Maschinen über das Internet. Das erspart dem Kunden teure Vororteinsätze eines Servicetechnikers und hier halten wir in der Entwicklung entsprechend Ressourcen vor. Eine grundsätzlich andere Arbeitsweise erwarte ich dadurch in der Entwicklung allerdings nicht.
Zum Thema Offsetdruck: Was kann man da noch innovieren?
Verbesserungspotenziale gibt es mannigfaltig und in vielen Bereichen. Wir haben eher das Problem, uns zu fokussieren, zu sagen, wo setzen wir den nächsten Innovationsschub an. Auf der diesjährigen Fachmesse Ipex in Birmingham haben wir zahlreiche Innovationen vorgestellt, die die Wettbewerbsfähigkeit unserer Kunden weiter erhöhen werden. Hier stehen vor allem die Themen der wirtschaftlichen und umweltgerechten Produktion im Vordergrund.
In welche Richtung geht denn die innovative Entwicklung des Offset?
Wir konzentrieren uns aktuell sehr stark auf das Thema Farbmanagement. Beim Auftragswechsel entstehen heute immer noch 200 bis 300 Bogen Makulatur, bis der Bogen in Farbe ist, also genau das druckt, was er drucken soll. Das kostet Geld, das verbraucht Energie und vergrößert den CO2-Footprint. Also, wie können wir an der Anlaufmakulatur etwas machen: Das Farbmanagement muss deutlich schneller und stabiler über die Auflage werden. Auch was die Qualitätsstabilität angeht, haben wir noch große Hebel, uns zu verbessern. Hier setzt Heidelberg mit seinen Farbmesssystemen, insbesondere der Inlinemessung der Farbstabilität, an. Wer einmal unser Inlinefarbmesssystem Prinect Inpress Control im Einsatz hatte, will es nie wieder hergeben, so groß sind die Qualitäts- und Produktivitätsfortschritte.
Ihr Wettbewerb setzt sehr auf eine weitere Automatisierung des Betriebsablaufs, zum Beispiel beim Druckplattenwechsel oder dem Direktantrieb der Druckzylinder …
Ja, Automatisierung ist wichtig. Die Kunst ist jedoch, dies sinnvoll zu tun und die Bilanz des Gesamtprozesses zu verbessern. Zum Beispiel beim Plattenwechsel: Die Hersteller bewegen sich heute, was die Plattenwechselzeiten angeht, alle auf dem gleichen Niveau. Ob Sie 1,50 min brauchen oder 2 min, das ist egal. Aber der Kunde braucht 20 min, bis er „in Farbe kommt“, wenn er kein gutes System hat. Da verdrucken Sie unnötig Papier, werfen Material weg. Das kostet Geld. Genau hier setzen wir beim Thema Innovationen an und schauen, wo und wie wir den Gesamtprozess unserer Kunden verbessern können.
STEPHAN W. EDER
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