„Druckluft hat noch ein enormes Anwendungspotenzial“
Druckluft gehört neben Elektrizität zu den wichtigsten Energieträgern für die Industrie. Mithilfe effizienter Druckluftanlagen Energie zu sparen bei sinkenden Produktionskosten und steigender Wettbewerbsfähigkeit ist keine Vision, sondern Engineering-Vorgabe und lohnendes Ziel für Dieter Richter, Leiter der Entwicklungsabteilung bei Boge Kompressoren, Bielefeld.
Druckluft ist für Dieter Richter „ein tolles Medium, dessen Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft ist und das nicht richtig wahrgenommen wird“. Eigentlich erstaunlich, da sich „die Luft zum Arbeiten“, wie sie bei Boge heißt, quer durch alle Branchen zieht: um Maschinen zu steuern und Getränke abzufüllen, Fahrzeuge zu lackieren und Pakete zu bewegen, Gewürzpulver in Tüten und PET-Flaschen in Form zu bringen.
Dafür, dass die Druckluft absolut trocken, staubfrei und zuverlässig verfügbar ist, sorgt Boge: mit ölgeschmierten Kolbenkompressoren, ölfrei verdichtenden Schrauben-, Kolben- und Turbokompressoren, Schraubenkompressoren mit Öl-Einspritzkühlung, Zusatzgeräten wie Trocknern und Filtern sowie zahlreichen Komponenten. Das bereits 1907 gegründete, inzwischen von der vierten Generation geführte Familienunternehmen ist einer der ältesten Hersteller von Kompressoren in Deutschland. Weltweit zählt es nach eigenen Angaben zu den führender Anbietern. Mit dem Zusatz „Druckluftsysteme“ unter dem Firmennamen im Logo betont Boge den Anspruch, nicht nur Produkte, sondern komplette Lösungen für eine effiziente Druckluftversorgung zu liefern.
„Mit effizienten Druckluftanlagen lassen sich enorme Einsparpotenziale realisieren, die Produktionskosten senken und die Industrieunternehmen wettbewerbsfähiger machen“ erklärt Richter. „Man muss diese Potenziale nur konsequent ausschöpfen – etwa bei der Wärmerückgewinnung.“ In vielen Unternehmen mache man sich das gar nicht klar, sagt er. Dabei ließen sich mindestens 70 % der Energie, die erforderlich ist, um einen Kompressor zu betreiben, zurückgewinnen und bei Prozessen, die Wärme benötigen, einsetzen. Im eigenen Bielefelder Werk wird die Wärme im Winter und in der Übergangszeit in die Heizung zurückgeführt und im Sommer zum Anwärmen des Brauchwassers genutzt. Jährlich über 100 000 kWh Heizleistung können so gespart werden.
Einsparpotenziale gibt es in beinahe jedem Betrieb. Erfahrungswerten zufolge lassen sich selbst in gut gewarteten Druckluftstationen bis zu 30 % Energie sparen – etwa durch „intelligente Steuerungen“, die dafür sorgen, dass nur so viel Druckluft erzeugt wird, wie tatsächlich gebraucht wird. Das von Boge entwickelte AIReport-System ermöglicht, mittels einer Langzeituntersuchung über mehrere Produktionstage hinweg die gesamte Anlage auf Schwachstellen hin zu durchleuchten und die hinsichtlich Leistung, Zuverlässigkeit und Energieeffizienz optimale Kompressorenkombination zu ermitteln.
„Wir verstehen uns als Premiumanbieter“, erklärt Richter. „Unsere Kunden bekommen genau die Anlagen, die sie benötigen. Wir liefern kaum etwas ‚von der Stange’, sondern maßgeschneiderte Lösungen.“ Die „Auftragskonstruktion kundenspezifischer Produkte“ ist einer der fünf Entwicklungsbereiche, für die er zuständig ist. Bevor er Entwicklungschef wurde, war er fünf Jahre lang im Vertrieb Spezialmaschinen und Anlagenbau nah an den Kunden.
Aktuell wünschten die Kunden kleinere, leistungsfähigere und auch leisere Anlagen, immer häufiger ölfreie Druckluft und bevorzugt Schraubenkompressoren, berichtet er. 1983, als er zu Boge kam, seien noch 70 % des Umsatzes bei Kompressoren mit Kolbenkompressoren gemacht worden, so Richter inzwischen habe sich das Verhältnis umgekehrt. Mit der Baureihe K stellte Boge vor zwei Jahren ein neues Konzept zur wirtschaftlichen Erzeugung ölfreier Druckluft vor: Die Kolbenkompressoren arbeiten nach dem Schubstangenprinzip. Jüngstes Mitglied in der Modellfamilie ist der für Liefermengen bis 1,2 m³/min entwickelte, wegen der einander gegenüber liegenden Schubstangeneinheiten „Vierzylinder“ genannte K 15, mit dem sich laut Boge bis zu 94 % der eingesetzten Energie zurückgewinnen lassen sollen. Eine neue Generation von Schraubenkompressoren stellt die Anfang Juli vorgestellte Baureihe C dar. Die auf Dauerbetrieb ausgerichtete Anlage biete vielfältige Optionen zur Wärmerückgewinnung oder zur Luft- bzw. Wasserkühlung, hebt man in Bielefeld hervor. „Es ist die derzeit leistungsfähigste und dabei effizienteste Baureihe auf dem Markt – damit sind wir quasi Klassenbester“, erzählt er stolz.
Die Vielfalt der Optionen werde künftig zunehmen, prophezeit Richter, und der Kompressorenbau sich eines „intelligenten Baukastensystems“ bedienen. Durch das Zusammenrücken von Mechanik, Elektrik, Elektronik, Mikroelektronik und Maschinenbau veränderten sich die Strukturen in den Bereichen Konstruktion/Entwicklung, hin zu einer interdisziplinären und modellübergreifenden Zusammenarbeit von Anfang an, zu permanenter Synchronisation von Komponenten und Eigenschaften und dem zunehmendem Einsatz von Virtual Prototyping und Simulation.
Als „Leiter Development Center“ ist Richter auch für das Innovationsmanagement des Unternehmens zuständig. Regelmäßig setzt er sich mit seinen Entwicklungsingenieuren und externen Experten zusammen, um den „Kompressor der Zukunft“ zu entwerfen. „Konstruieren macht Spaß“, findet der Druckluftexperte. Mehrere seiner „Konstruktionen“ hat er patentieren lassen eine der Patenturkunden hängt im Foyer der Unternehmenszentrale. Bald dürfte es wieder Post aus München geben. „Ich habe einfach Spaß an der Technik“, sagt er. Seine Kinder haben das nicht. Sie seien zwar auch „Zahlenmenschen“ wie er, aber leider gar nicht technikaffin.
Ein normaler Arbeitstag beginnt für Richter morgens um sieben Uhr, nachdem er beim Joggen „Frischluft tanken“ war, und endet zwischen 17 und 18 Uhr – sofern nicht ehrenamtliche Verpflichtungen anstehen. Im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Frankfurt, ist Richter Obmann des Arbeitskreises Druckluftkompressoren, an der Fachhochschule Bielefeld hält er regelmäßig Vorträge, und im Netzwerk OWL Maschinenbau pflegt er den Austausch mit anderen Unternehmen der mittelständisch strukturierten Branche in der Region. Um Schülerinnen und Schülern die „Faszination Technik“ zu vermitteln und sie für Ingenieurberufe zu interessieren, engagiert er sich regelmäßig bei den „BINGO“-Tagen – BINGO steht für Berufsoffensive für INGenieur/innen in OstWestfalenLippe. Er sei ein „Workaholic“, sagt seine Frau. Aber einer von der angenehmen Sorte, findet ein hochrangiger Kollege. A. SCHNELLER
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