Wie Digitalisierung im Mittelstand gelingen kann
Der Unternehmer Henrik Schunk will mit der Initiative „Next Level Mittelstand“ zum Austausch über erfolgreiche Digitalisierung im Mittelstand anregen. Das steckt dahinter.
Bei den großen digitalen X-Projekten Gaia-X, Catena-X sowie den vielen, nun unter Manufacturing-X bewilligten Ablegern für spezifische Anforderungen schreiten einige wenige Unternehmen in Sachen Digitalisierung voran. Fast scheint es so, als hätten sie den großen Rest der kleinen und mittleren Unternehmen längst abgehängt. Richtig ist, sie haben zwar einen Vorsprung, aber die anderen können noch aufholen.
Davon ist Henrik Schunk überzeugt. Er ist Vorsitzender des Lenkungskreises der gemeinsamen Plattform Industrie 4.0 des Bundesministeriums für Wirtschaft & Klimaschutz (BMWK) und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Als Vorsitzender des Verwaltungsrats des Familienunternehmens Schunk SE & Co. KG ist er zudem für die strategische Ausrichtung des Spann-, Greif- und Automatisierungstechnikanbieters zuständig.
Schunk beschreibt die Digitalisierungsbestrebungen der Industrie so: „In den Anfängen von Industrie 4.0, vor zehn Jahren, hatte man keine Ahnung, wie man das machen kann. Jetzt, nach etlichen Aktivitäten, wird jedem klar: Wenn er sein Geschäft weiter wettbewerbsfähig betreiben möchte, kommt er an dem Thema Datenwirtschaft nicht vorbei.“ Die Vorstellungskraft habe deutlich zugenommen. Manufacturing-X ist dabei ein Meilenstein, der für die Vernetzung etlicher Datenräume stehe.
Mittelstand: Schnell umsetzbare Ziele kommen vor großen Datenräumen
Doch können die Unternehmen den Frust bzw. die Unsicherheit über die anfänglichen Unzulänglichkeiten bei der Umsetzung ihrer Digitalisierungsstrategien wirklich ablegen? Ja, glaubt Schunk. „Es kommt stark darauf an, dass man mit einem Plan vorgeht, wenn man digitalisiert, sich dem Thema aber nicht hochwissenschaftlich nähert, sondern pragmatisch.“ Wichtig sei zunächst der Fokus auf eine schnelle Umsetzung. Sein Tipp für andere: „Man sollte versuchen, ein Produktivitätsziel vorzugeben ‒ für bestimmte Prozesse oder Themenfelder – und die Produktivitätssteigerung über eine Digitalisierung abzubilden.“ Mit „digitalen Tools oder digitalen Vorgehensweisen“ gelte es zunächst, Schritt für Schritt die Prozesse im Unternehmen zu durchleuchten und zu versuchen, dass immer weniger manuelle Arbeit getan werden müsse. Dadurch entstehe ein deutlicher Mehrwert für die Kunden, aber auch das Unternehmen selbst.
Dass die Produktivitätssteigerungen in der deutschen Industrie trotz Automatisierungstechnik zuletzt eher gering ausfielen, erklärt er so: „Die meisten haben sich die letzten Jahre stark auf den Shopfloor konzentriert, und dort ist auch viel bewegt worden.“ Jetzt gelte es jedoch, über die Grenzen der Fertigungsebene hinauszudenken. „Der nächste Produktivitätshebel wird dadurch erreicht, dass man sämtliche Kern- und Nebenprozesse auf Digitalisierung und Automatisierung trimmt.“
Ein Kernteam aus drei Leuten für ein Digitalisierungsprojekt
Die besten Chancen sieht er dabei bei Unternehmen, die bereits in der Vergangenheit nach dem Ansatz des Lean Management gehandelt haben und damit Erfolge erzielen konnten. „Diese Truppen sind nicht obsolet, sondern können bei der Digitalisierung wertvolle Dienste leisten, wenn man sie neu ausrichtet und vernünftig einsetzt“, zeigt sich Schunk überzeugt.
Auch dabei gelte es, Prozesse zu durchleuchten und mit Spezialisten einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess durchzuführen. Es gelte, digitale Strecken zu erzeugen und dabei den Kundennutzen in den Mittelpunkt zu stellen. „Das funktioniert sehr gut und kann ein Rollenmodell für den Mittelstand sein“, ist Schunk aus eigener Erfahrung überzeugt. Er meint damit nicht nur große Mittelständler, sondern auch die kleineren.
Schunk empfiehlt den Unternehmen, ein Projektteam aus drei Personen aufzustellen. Das bestehe idealerweise aus einem Fachexperten, der den Prozess kenne; einem Lean-Experten, der sein Wissen auf digitale Prozesse übertragen kann, und einer Person aus der IT-Abteilung für die technische Umsetzung.
Die Initiative „Next Level Mittelstand“ soll zum Erkenntnisaustausch führen
Einen Digitalisierungsschub für kleine und mittlere Unternehmen will Schunk nun mit seiner in der Plattform Industrie 4.0 angestoßenen Initiative „Next Level Mittelstand“ erzeugen. Sie ist den X-Projekten vorgelagert. „Sie zielt darauf ab, erst mal zu erreichen, dass sich möglichst viele Mittelständler mit der Materie beschäftigen und digitale Erfolge in Form von Quick Wins erreichen“, so der Familienunternehmer. Das Konzept stellte er Ende November auf dem Mittelstandstag der Plattform Industrie 4.0 in Stuttgart vor.
Er will damit erreichen, dass sich die Unternehmen über ihre Erfahrungen austauschen, voneinander lernen und die Möglichkeiten von Datenräumen gemeinsam entdecken. So soll eine breite Basis aus Mittelständlern entstehen, die dann „Datenraum-ready“ ist und von den Lösungen aus den X-Projekten profitieren kann. Schunk vergleicht seine Initiative und Manufacturing-X mit Zahnrädchen, die ineinandergreifen sollen, um als Getriebe Vorschub zu leisten.
Initiative „Next Level Mittelstand“ soll über Synergien zu mehr Tempo bei der Digitalisierung führen
Was Unternehmen von einer Teilnahme erwarten können, macht Schunk im Gespräch mit VDI nachrichten an Erfahrungen seines Unternehmens deutlich. „Das Lernen von anderen und der Austausch mit anderen Mittelständlern erzeugt ungemeine Geschwindigkeit“, betont er. Durch die Schwarmintelligenz sei sein Team nun viel schneller als beim klassischen Silodenken.
Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten erscheint das Henrik Schunk essenziell: „Wir können im globalen Wettbewerb mit den Stärken und Kompetenzen im deutschen Mittelstand nur dann reüssieren, wenn wir uns stark öffnen, mit anderen in Austausch gehen!“ Das sollten Inhaber und Geschäftsführer beherzigen und „das Visier aufmachen und auch mal Dinge verraten, die wir vielleicht vor Jahren nicht verraten hätten“. Er selbst hatte in den vergangenen zwölf Monaten bei solchen Treffen den Eindruck, immer etwas mitzunehmen: „Ich profitiere von der Erfahrung anderer. Dabei spare ich mir viel Zeit und viele Ressourcen.“
Die Firma Schunk teilt eigene Erfahrungen im Netzwerk
Auch die Schunk SE & Co. KG öffnet sich dafür. „Wir laden alle Unternehmen, die wissen wollen, wie wir bei Schunk agieren, liebend gerne zu uns ein und zeigen das, aber lernen auch gerne von unseren Gästen“, erklärt der Unternehmer. Das gemeinsame Lernen ist für ihn dabei der zentrale Aspekt der Mittelstandsinitiative für die digitale Transformation.
Der Greiftechnikanbieter hat selbst bereits zwei „Kochrezepte“ für die Initiative „Next Level Mittelstand“ erarbeitet – quasi als Blaupausen, die nun auch andere Mittelständler nutzen können. Im Kundenmanagement habe sein Unternehmen festgestellt, dass es dort viele nicht wertschöpfende Tätigkeiten gibt. Kunden- und Lieferantendaten müssten beispielsweise aufwendig in das eigene EDI-System für den elektronischen Austausch von Geschäftsdokumenten eingepflegt werden. „Wir haben es durch einen Austausch mit einem anderen Unternehmen in der Initiative ,Next Level Mittelstand‘ geschafft, ein Tool zu erarbeiten, das mithilfe von KI unser Kundenmanagement unterstützt. Damit sparen wir pro Kundenauftrag, der angelegt werden muss, 50 % Zeit ein“, hebt Henrik Schunk hervor.
Als zweites Kochrezept teilt Schunk mit anderen Unternehmen ein Konzept, mit dem der produktspezifische CO2-Fußabdruck (PCF) datenbasiert ermittelt werden kann. Das habe sein Unternehmen mit zwei Partnern entwickelt. Hier sei es um Fragen gegangen wie: Wie erzeuge ich einen Fußabdruck für bestimmte Produkte, wie gehe ich vor, welches Schema kann ich dort anwenden und wie komme ich als produzierendes Unternehmen relativ schnell zu einem Ergebnis?
Teilen lernen: Zusammenarbeit bei „Next Level Mittelstand“
Die Initiative „Next Level Mittelstand“ bezeichnet Schunk als „Klub der Willigen“. Zur Arbeitsweise sagt er: „Wir haben mit wenigen Mittelständlern angefangen. Wir haben regelmäßige Treffen, alle sechs Wochen und das seit ungefähr einem Jahr.“ Jedes Unternehmen stelle dazu eine Person frei und dann werde in sogenannten Workstreams eine konkrete Problemstellung bearbeitet. Am Ende stehe ein standardisiertes Rezept oder ein Tool. „Wir sagen dazu Kochrezepte, weil sie so aufgebaut sind, dass ein Mittelständler diese leichter bei sich adaptieren kann.“
Dass viele Mittelständler noch immer vorsichtig damit sind, Daten zu teilen, muss sich laut Schunk ändern. Genau dafür werde mit den X-Projekten ein geschützter Datenraum aufgebaut. „Wenn ich mich in einen Datenraum einlogge, dann habe ich die Sicherheit, dass meine Daten im Unternehmen bleiben“, beschreibt er deren Ansatz.
Das ist ein wesentlicher Unterschied zu bisherigen Ansätzen: „Daten werden nicht mehr von A nach B geschickt, sondern ich öffne eine Weiche und gestatte jemandem einen Zugriff.“ Anschließend werde die Weiche wieder zurückgestellt. Zum Schutz sensibler Unternehmensdaten habe man im Projekt Gaia-X viele Erfahrungen gesammelt, die nun beim Aufbau interoperabler Datenräume unter dem Dach von Manufacturing-X genutzt würden.
Der Kunde entscheidet: Keine Angst vor neuen Geschäftsmodellen
Bei aller Komplexität des Themas empfiehlt Schunk seinen Kolleginnen und Kollegen, im Mittelstand ruhig und systematisch vorzugehen. „Wir sind manchmal zu ungeduldig. Das ist aber ein langfristiges Projekt“, merkt er mit Hinweis auf BDI-Präsident Siegfried Russwurm an, der auf einer Podiumsdiskussion von 30 Jahren sprach. „Wichtig ist, dass wir uns vorwärtsbewegen.“
Die viel gepriesenen Geschäftsmodellansätze seien dabei mit Blick auf die Kundenbedürfnisse zu betrachten. „Es bringt mir also nichts, über Subskriptionsmodelle und Pay-per-Use zu sprechen, wenn der Kunde was anderes will“, hebt der Mittelständler hervor. Es könne nach seiner Einschätzung noch ein paar Jahre dauern, bis dies von einer relevanten Anzahl von Anwendern gefordert werde. Gleichzeitig ist er überzeugt, dass das passieren wird: „Wenn die Datenräume existent sind und es erste Angebote gibt und erste Erfolge von Unternehmen, dann kommt ein Momentum auf.“
Trotz wirtschaftlicher Unsicherheiten will Schunk in seinem Unternehmen gezielt darin investieren. „Digitalisierung, digitale Transformation, das sind grüne Kosten für mich. Das bedeutet, es sind Kosten, die ich vorfinanzieren muss. Aber wenn ich das mache, habe ich in X Jahren einen solchen Mehrwert daraus, dass ich alles richtig entschieden habe“, zeigt er sich überzeugt. Das mache ein nachhaltiges Wirtschaften im Mittelstand aus. „Wer in Generationen denkt, der muss heute eine bewusste Entscheidung treffen“, hebt der Unternehmer hervor. Und gegen die Ressourcenschwäche beim Thema Digitalisierung gebe es nun das Angebot der Plattform Industrie 4.0: Next Level Mittelstand.
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