Elektro-Landtechnik für den Acker
Auf dem Acker sollen in Zukunft vermehrt elektrische Antriebe zum Einsatz kommen. Die Landtechnikbranche arbeitet dafür herstellerübergreifend an internationalen Standards. Experten gehen zwar davon aus, dass Dieselmotoren und hydraulische Systeme den Markt weiterhin dominieren werden, doch dank ihrer schnellen, exakten Steuerbarkeit könnten Elektromotoren zur wichtigen Ergänzung werden, um Saatgut, Düngemittel oder Pestizide gezielter auszubringen.
Gehören Elektroantriebe auf den Acker? – Als agrartechnische Lehrstühle diese Frage vor etwa 15 Jahren aufwarfen, stießen sie bei vielen Landtechnikern auf Unverständnis. Heute suchen rund 40 internationale Hersteller, darunter alle Topmarken, gemeinsam nach Wegen für eine reibungslose Stromversorgung ihrer Maschinen und Geräte.
Seit April 2011 treibt die Projektgruppe „High Voltage“ in der Agricultural Industry Electronics Foundation (AEF) die Standardisierung der elektrischen Schnittstellen zwischen Traktoren und Maschinen voran. In der AEF hatten 120 internationale Unternehmen bereits den Datenverkehr in Landmaschinen auf die gemeinsame Basis Isobus gestellt. Nun geht das Gremium die offenen Fragen rund um die „Steckdose“ am Traktor an. Was soll sie leisten, welche Daten sollen mit dem Strom fließen, wie wird gekühlt oder wie lassen sich Sicherheitsrisiken konstruktiv ausschließen?
Elektroantriebe haben in der Landtechnik Fuß gefasst
„Die einst akademische Debatte um elektrische Antriebe hat in der Industrie Fuß gefasst. Es wird nicht mehr diskutiert, sondern fast alle Hersteller treiben konkrete Projekte voran”, fasste Prof. Stefan Böttinger, Vorsitzender der Max-Eyth-Gesellschaft für Agrartechnik im VDI, die Situation am Rande der Messe Agritechnica in Hannover zusammen.
Den Grund für den Aufbruch der Landtechnikindustrie ins Stromzeitalter sieht Böttinger, der neben seinen Aufgaben im VDI das Institut für Agrartechnik der Uni Hohenheim leitet, in der Steuer- und Regelbarkeit elektrischer Antriebe. Sie könnten Selbstfahrer und Anbaugeräte auf eine neue Stufe der Energieeffizienz und Prozessexzellenz heben.
Böttinger beobachtet, dass beim Nachdenken über die elektrischen Antriebe eingefahrene Denkmuster aufbrechen. „Es wird denkbar, Geräte anderes zu gestalten”, sagte der promovierte Ingenieur. Ein Beispiel für den Sinneswandel zeigte der Anhängerspezialist Fliegl in Hannover. Er startet eine Renaissance der Triebachsen für Anhänger, die heute angesichts immer leistungsfähigerer Traktoren kaum noch eingesetzt werden. Fliegl präsentierte die elektrisch angetriebene Triebachse „Power DriveElect“ samt einer Vision der Zukunft auf dem Acker.
Angesichts steigender Energiekosten spreche alles für Transportkonzepte mit elektrischen Generatoren, die von weniger kW-starken und schweren Traktoren angetrieben werden, meinen Experten. Der Strom werde dann über genormte Stecker an die Anbaugeräte oder elektrischen Triebachsen übertragen – die Wirkungsgrade bis 75 % erreichen.
Die Elektrifizierung soll nicht nur den Dieselverbrauch senken, sondern eine Reihe weitere Vorteile bringen. So verbessern etwa angetriebene Hängerachsen die Traktion auf schwierigen Böden, sie erlauben mehr Zuladung und machen obendrein die heute üblichen Gegengewichte an Traktoren überflüssig. Und nicht zuletzt vermindern die bessere Gewichtsverteilung und das sinkende Gesamtgewicht die Bodenverdichtung.
Das Potenzial von Elektro-Landtechnik steckt vor allem in Geräten und Maschinen
Das Potenzial der Elektroantriebe stecke vor allem in den Geräten und Maschinen, davon ist Prof. Thomas Herlitzius, Professor für Agrarsystemtechnik an der TU Dresden, überzeugt. Die Bandbreite reiche von Antrieben mit 100 W Leistung in Einzelkorn-Sämaschinen bis 350 kW eines Rübenroders.
Neben der Variabilität wiege die Steuer- und Regelbarkeit binnen Millisekunden die Gewichts- und Kostennachteile der E-Technik gegenüber den etablierten mechanischen und hydraulischen Antrieben auf, so Herlitzius. Denn höhere Präzision beim Ausbringen von Saat, Düngemitteln oder Pflanzenschutzmitteln könne sich schnell auszahlen, meint der promovierte Ingenieur.
Hintergrund: In landwirtschaftlichen Betrieben entfallen rund ein Drittel der Kosten auf Dünger und Pflanzenschutz. Ein Düngerstreuer für 4000 € bringt so in seiner Lebenszeit durchaus Dünger für 500 000 € aus. Studien zeigen, dass exakt angesteuerte, elektrisch angetriebene Streuer bis zu 10 % effizienter sind als mechanische. Der Kostenvorteil würde sich also auf bis zu 50 000 € pro Gerät summieren. Zudem steigen die Erträge, wo Düngefehler vermieden werden.
Herlitzius sieht deshalb gute Chancen für die elektrischen Antriebe. Bislang hätten hydraulische Antriebe mechanische ersetzt, wenn die Anforderungen an Variabilität und Präzision stiegen. Dank gestiegener Leistungen und sinkender Kosten der Leistungselektronik könne die Branche nun den nächsten Schritt in die elektrische Antriebstechnik tun.
„Es geht nicht nur darum, Hydraulik und Mechanik zu ersetzen, sondern Prozesse und Funktionen neu zu denken”, betonte er. Damit sich die Technik im Markt durchsetze, müsse die Branche gezielt Einsatzfelder angehen, wo erhöhter Gebrauchswert und Effizienz ihre höheren Kosten aufwiegen.
Elektro-Landtechnik konkurriert mit konventioneller Antriebstechnik
Allerdings verwies Peter-Michael Synek, stellvertretende Geschäftsführer des VDMA-Fachverbands Fluidtechnik, darauf, dass auch das Potenzial der konventionellen Antriebstechnik noch lange nicht erschöpft sei. Zudem gebe es den weltweiten Bestand mechanischer und hydraulischer Anbaugeräte. Synek rechnet zwar damit, dass sich elektrische Systeme als wichtige Ergänzung im Markt durchsetzen werden. Doch laufe die Entwicklung darauf hinaus, dass Traktoren neben elektrischen Schnittstellen mechanische Zapfwellen und hydraulische Kupplungen haben werden.
Doch wird dieses Nebeneinander für die Landwirte finanzierbar sein? Harald Dietel, Ingenieur der Sensortechnik Wiedemann GmbH und Leiter der AEF-Projektgruppe „High Voltage”, verwies auf Erfahrungen anderer Branchen. In der Verpackungsindustrie habe er den Technologiewechsel von mechanisch gekoppelten zu dezentralen Elektroantrieben selbst erlebt.
„Seinerzeit haben sich die Maschinenkonzepte komplett verändert. Die höheren Kosten der Antriebe wurden durch bessere Funktion überkompensiert”, berichtete Dietel. Unterm Strich seien die Anlagenkosten gesunken. In der Landtechnik werde es künftig weniger darum gehen, welchen Antrieb eine Maschine hat, sondern welcher Antrieb für welche Funktion einer Maschine der beste ist.
Entsprechend sieht Dietel die Entwicklung der Standardschnittstelle in der AEF als historische Chance: „Wenn die Traktor-Gerätekombination herstellerübergreifend einwandfrei funktioniert, haben elektrische Antriebe in Anbaugeräten eine Zukunft.”
Für VDI-Mann Böttinger macht die Branche bei der frühzeitigen Standardisierung ihre vermeintliche Schwäche zur Stärke. Kein Hersteller habe die Größe, die Entwicklung alleine zu stemmen. „Sie wissen, dass es gemeinsam schneller geht und dass davon letztlich alle profitieren werden”, sagte er.
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