Forscher arbeiten an neuen Fasern aus natürlichen Rohstoffen
Faserprodukte nach Bauplänen der Natur waren eines der Schwerpunktthemen der diesjährigen Messe Techtextil in Frankfurt/Main. Solche Naturfasern sind äußerst belastbar, extrem leicht und zu 100 % biologisch abbaubar. In der ansonsten schwächelnden deutschen Textilwirtschaft hat sich der Sektor technischer Textilien zum wachstumsstärksten Segment entwickelt.
Jahrelang versuchten Thomas Scheibel und sein Team am Lehrstuhl für Biomaterialien der Uni Bayreuth vergeblich, aus künstlich erzeugten Seidenproteinen Spinnfäden herzustellen. Dann spielte ihnen der Zufall in die Hände. Ein Mitarbeiter vergaß übers Wochenende ein Reagenzglas mit Proteinlösung im Kühlschrank. Als er am Montag drauf sein „Malheur“ entdeckte, hatte sich eine ölähnliche Phase gebildet.
„Die Proteine haben eine dreidimensionale Struktur, die thermodynamisch und kinetisch beeinflusst wird. Bei niedrigen Temperaturen verlangsamen sich beide Prozesse, dadurch wird die Struktur stabiler“, erklärt Scheibel. Diese Bildung einer Ölphase war zuvor noch nie beobachtet worden, weil sie sich im Inneren der Spinne abspielt.
Der Spinne nachgemacht: Forscher können selbst Spinnfäden herstellen
Mittlerweile haben die Wissenschaftler um Scheibel nicht nur geklärt, welche chemischen und mechanischen Prozesse bei der Spinne innerhalb von Sekunden ablaufen, wenn sie spinnt. Im Labor können die Forscher nun selbst solche Fäden herstellen. Diese sind 20 Mal dünner als ein menschliches Haar und drei Mal so belastbar wie Aramidfasern, die für kugelsichere Westen und hitzebeständige Kleidung verwendet werden.
Einsatz finden die zugrunde liegenden Seidenspinnproteine bereits in Cremes, in denen sie dafür sorgen, dass die Haut geschützt und rehydriert wird. Zudem laufen medizinische Studien zur Beschichtung von Brustimplantaten, die dadurch besser verträglich werden.
Als Faden wird Spinnenseide derzeit in einer Pilotanlage der Amsilk GmbH in Martinsried hergestellt. „Aktuell wickeln wir einige Hundert Meter pro Tag auf die Spule“, freut sich Geschäftsführer Axel Leimer. „Im kommenden Jahr werden wir die Produktion vom Labormaßstab auf eine Anlage für größere Spulen und längere Fäden skaliert haben.“
Weitere Anwendungsfelder für technische Textilien können hautfreundliche, belastbare Sport- und Militärbekleidung sein. „Für Alltagskleidung aber sehe ich die Seidenfaser nur im Luxussegment“, schränkt Leimer ein, „denn das Produkt ist teuer.“
Spinnfadenfeine Fasern aus Kasein
Einen anderen Ansatz wählte Anke Domaske. Innerhalb von zwei Jahren hat sie am Technikum des Faserinstituts Bremen (Fibre) ein Verfahren entwickelt, das spinnfadenfeine Fasern ohne Gentechnik und chemische Zusätze aus dem Milchprotein Kasein gewinnt.
Im Februar 2014 geht in Hannover eine Maschine in Betrieb, die pro Stunde 100 kg sogenannte Qmilch-Fasern herstellen soll. Mit einem Kilopreis von 25 € kann die Faser durchaus mit Seide konkurrieren. Das Material ist leicht, weich und gut verträglich. Deutliche Vorteile gegenüber der Seide ist die Waschbarkeit bei 60 °C sowie eine hohe Farbbeständigkeit. Heute schon verkauft Domaske ihre Milchfaser an Hersteller von Mode und Heimtextilien. Nun gibt es zudem Anfragen aus der Automobilindustrie und dem medizinischen Sektor.
Auch für Nanozellulose sind die Zutaten denkbar unprätentiös. Sie wird im biotechnologischen Prozess aus Glukose gewonnen. So produziert die JeNaCell GmbH, eine Ausgründung der Uni Jena, ein Biomaterial in Nanofaserstruktur, das äußerst formstabil und qualitativ hochwertig ist. Nanozellulose lässt sich in Bioverbundstoffen einsetzen – etwa um die Bruchfestigkeit bei Biokunststoffen im Automobilbau zu erhöhen.
In der Medizin eignet sich mit Wirkstoffen versehene Nanozellulose zur Versorgung chronischer Wunden und Verbrennungen. „Das weiche, flexible Material kann viel Flüssigkeit sowohl aufnehmen als auch abgeben“, sagt Antje Mark von JeNaCell. „Deswegen bietet es sich als Trägermaterial an.“
Forschung an Alginat als Rohstoff für die Faserproduktion
Der grundlegenden Frage, wer künftig noch Rohmaterial für Fasern liefern kann, gehen die Hohenstein Institute nach. Unter der Ägide von Dirk Höfer forscht ein Team an der nachhaltigen Faserproduktion aus Bakterien und Pilzen. Zunächst hatte es Algen untersucht, die in der Natur in rauen Mengen vorhanden sind. Allerdings ließen sich deren Materialeigenschaften für die Faserproduktion bisher nicht genügend verändern. Ihre Zusammensetzung und Qualität variiert zu stark.
Mithilfe von genmanipulierten Bakterien aber arbeiten die Forscher derzeit an hochfunktionalen Fasern aus Alginat. Diese sind für den Menschen besonders verträglich, feuchtigkeitsabsorbierend, steril, ungiftig und nicht karzinogen. Sie eignen sich als Trägermaterial etwa für Silber und Kupfer, was in der Wundheilung bereits erfolgreich erprobt wurde.
Bei Verbrennungen könnten sie bei der Erzeugung von künstlichem Fettgewebe unter der Haut helfen. Dieses regt bestehende Blutgefäße dazu an, ins Gewebe zu sprießen. Die durchblutete Fettschicht erhöht die Elastizität der Haut bei Verbrennungswunden. Ohne diese Fettschicht, in der sich auch Nerven und Lymphen befinden, würde die Haut direkt am Bindegewebe festkleben.
Bleibt die Frage der Abbaubarkeit: „Unser Ziel ist die Produktion hochreiner Materialien, die sich ohne giftige Rückstände vollständig abbauen lassen“, sagt Höfer. Reine Biopolymere sind besonders schnell abbaubar. Werden sie verblendet, hängt es von den zugesetzten Stoffen ab, wie schnell und vollständig dieser Prozess verläuft.
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