Geckos haften per Elektrostatik – aber nicht nur und nicht für immer
Warum trotzen Geckos der Schwerkraft? Weil sie elektrostatische Aufladungen nutzen, um sich an senkrechten Flächen und sogar über Kopf zu halten, sagen kanadische Wissenschaftler. Damit verweisen sie die bisherige Lehrmeinung, dass Geckos sich ausschließlich durch schwache intermolekulare Kräfte halten, auf die Plätze. Ganz verkehrt ist die Theorie zu den sogenannten Van-der-Waals-Kräften aber nicht, sagen schwedische Wissenschaftler: Sie haben aufgrund der nachlassenden Haftkraft von Geckos interessante Entdeckungen für die Nanotechnologie gemacht.
Wenn Bioniker Geckos sehen, bekommen sie leuchtende Augen: Die Fähigkeit der Tiere, an senkrechten Flächen und sogar über Kopf zu laufen, hat sie von jeher fasziniert und zu Superklebstoffen in Industrie und Medizin inspiriert, die auf dem Haftprinzip der Reptilienfüße beruhen. Dank schwacher molekularer Kräfte zwischen Atomen und Molekülen unzähliger winzigster Härchen, so war man lange überzeugt, haften Geckos an glatten Flächen. Einen Namen hat dieses Prinzip auch: Van-der-Waals-Kräfte heißen die Anziehungen, die eigentlich extrem gering sind. Sobald aber größere Flächen flach aufeinanderliegen, haften sie fest zusammen – so erklärten sich Forscher seit 1934, als der Gothaer Forscher Wolf-Dietrich Dellit seine Publikation „Zur Anatomie und Physiologie der Geckozehe“ veröffentlicht hatte, die erstaunlichen Fähigkeiten der schuppigen Tiere.
Wissenschaftler widerlegen Theorie nach 80 Jahren
Sie lagen 80 Jahre lang falsch, behaupten jetzt Wissenschaftler der kanadischen University of Waterloo im kanadischen Bundesstaat Ontario, oder zumindest nicht vollkommen richtig. Es gibt noch einen weiteren Effekt, der maßgeblich zum Überkopf-Lauf der Geckos beitrage. Dieser beruht auf elektrostatischen Ladungen, so der Kanadier Alexander Penlidis und sein Team – Dellit hatte einen Zusammenhang damals auf Grundlage seiner Experimente ausdrücklich verneint.
Für die elektrostatische Haftwirkung lädt sich ein Material – in diesem Fall die Härchen am Geckofuß – durch Reibung an einem anderen Material negativ elektrisch auf. Wenn der Gecko seine Sohle auf einen neutral geladenen Untergrund setzt, trennen sich die Ladungen darin, und die positiven zeigen nach außen – zum Gecko. Die negativen Ladungen in seinen Füßen und die positiven im Untergrund ziehen sich an, und das Tier läuft scheinbar völlig unbeeindruckt von der Schwerelosigkeit an der Wand oder der Zimmerdecke entlang – das ist das Geheimnis, so die Kanadier.
Versuche mit verschiedenen Materialien
Wie sie vorgingen, berichtet das Nachrichtenmagazin Spiegel online und beruft sich dabei auf den Beitrag der Wissenschaftler im Fachmagazin „Journal of the Royal Society Interface“. Die Forscher prüften ihre Theorie mithilfe von mehreren Kunststofffolien, an denen Geckos unterschiedlich gut haften. Sie zogen deren Füße über die Folien und maßen Ladung und Haftkraft mithilfe einer Kupferplatte, die sie dahintergelegt hatten. Bei beiden Malen luden sich die Härchen positiv und die Kunststoffe negativ auf – letzteres allerdings in unterschiedlichem Maße. An dem stärker geladenen Kunststoff hafteten die Geckos besser als an dem anderen – Haftkraft und die Menge der elektrostatischen Ladung hatten also tatsächlich etwas miteinander zu tun. Interessant hierbei war, dass trotz besserer Haftung die Van-der-Waals-Kräfte schwächer waren als beim anderen Kunststoff – die elektrostatische Aufladung habe also den entscheidenden Einfluss, so die Wissenschaftler.
Haftkraft der Geckos lässt mit der Zeit nach
Völlig außer Acht lassen sollte man die Van-der-Waals-Kräfte jedoch nicht: Einen Teil der Haftung machen diese offenbar auch aus – wenn auch nur begrenzte Zeit, sodass Geckos ihren Winterschlaf vielleicht doch besser am Boden halten sollten. Wie schwedische Wissenschaftler von der Universität Linköping herausgefunden haben, lässt die Haftwirkung nach einer gewissen Zeit nach – ebenso wie bei Spinnen.
In Ihren Forschungen betrachten sie die Van-der-Waals-Kräfte zwischen einem feinen Film, der sich an den Mikro-Härchen an den Geckozehen befindet, und dem jeweiligen Untergrund. „Sie sind gering, aber sie sind da“, betont Lars Johansson, der gemeinsam mit seinen Kollegen Stefan Lindström und Lars Johansson sowie Absolvent Nils Karlsson vom Bereich Mechanik an der Linköping Universität einen entsprechenden Artikel in dem Journal „Physical Review E“ veröffentlicht hat. Die Kräfte wirken zwischen dem dünnen Film und dem Untergrund, reagieren aber auf die Bewegung der Moleküle – das jedenfalls legt Nils Karlsson in seiner Abschlussarbeit nahe. Nachfolgende Experimente der Forschergruppe zeigen, dass beide Flächen minimal vibrieren und irgendwann synchron sind: Die Verbindung löst sich.
Wichtige Erkenntnis für die Arbeit mit Graphenen
Die neuen Erkenntnisse sind spannend für die Nanotechnologie, speziell für die Arbeit mit Graphenen. Diese sind sehr leitfähig, so dass sie gerne als Transistormaterial genutzt werden. Allerdings bestehen sie aus gerade einmal einer Schicht von Atomen, was es extrem schwierig macht, diese Lage von einer anderen zu lösen. Analog zu den Geckozehen, bei denen sich die Van-der-Waals-Kräfte durch reines Abwarten nach einer gewissen Zeit von selbst reduzieren, gilt für die Arbeit mit diesen ultrafeinen Materialien: Im richtigen Moment lässt sich der Film ohne Kraftaufwand abheben. Kraft und ein simples Abziehen wären auch kontraproduktiv. Wenn der Film stückweise gelöst wird, vibrieren die Moleküle an der Ablöse-Stelle besonders stark – der Film haftet stärker, je mehr Kraft aufgewandt wird. Wann der richtige Moment zum Abheben gekommen ist, hängt vom jeweiligen Untergrund und der Steifheit des Materials ab.
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