Größter Röntgenlaser ist fertig: Geheimnisse der Nanowelt werden sichtbar
Der größte und leistungsfähigste Linearbeschleuniger der Welt ist fertig, selbst das letzte Metallrohr montiert: Am Hamburger Stadtrand wird heute die Inbetriebnahme der Röntgenlaseranlage European XFEL gefeiert. Jetzt werden die Knöpfe gedrückt, alle Geräte getestet. Funktioniert alles wird der erste Elektronenstrahl Anfang 2017 durch die 3,4 km lange Tunnelanlage gehen.
Wozu das neue Hamburger Großforschungsgerät XFEL gut ist, an dem fünf Jahre lang gebaut wurde und in das 1,22 Milliarden Euro investiert wurden? Es hilft bei der Bekämpfung von heute noch unheilbaren Krankheiten und der umweltfreundlichen Energieversorgung: Megaplagen der Menschheit wie Alzheimer und Aids sind möglicherweise bald heilbar. Die umweltfreundliche Energieversorgung der Zukunft ist kein Problem mehr. Und selbst die reine Wissenschaft wird profitieren. Sie wird herausfinden, was im Inneren von gigantischen Himmelskörpern passiert, in denen unvorstellbare Drücke und Temperaturen herrschen.
Das alles schafft das spektakulärste Großgerät der Welt, das am 6. Oktober 2016 in Betrieb genommen wird. Die Prozedur wird einige Monate in Anspruch nehmen, ehe das Ziel erreicht ist: Die Erzeugung von 27.000 extrem hellen Röntgenblitzen pro Sekunde, 200 Mal mehr als in der nächst leistungsfähigen Anlage, die in den USA steht.
Zeitlupenfilm aus lebenden Zellen
Um heute noch unheilbare Krankheiten zu heilen müssen Biologen, Mediziner und Pharmakologen wissen, was in lebenden Zellen vorgeht, in denen die Krankheit ausbricht. Mit bisherigen Techniken lässt sich das nicht sichtbar machen. Ehe die entscheidenden Zellveränderungen beginnen ist die Zelle bereits abgetötet. Röntgenstrahlung übersteht sie zwar auch nicht. Da es aber so viele Blitze pro Sekunde sind lassen sich die Veränderungen in dieser Nanowelt, die in Bruchteilen von Sekunden stattfinden, wie in einem Zeitlupenfilm sichtbar machen. Das geht schneller als das Absterben der Zelle. Wenn die Vorgänge erst mal bekannt sind lassen sich gezielt Therapien und Medikamente entwickeln.
„Enormes Entdeckungspotenzial“
European XFEL – das X steht für X-Ray, also Röntgenstrahlen, FEL für Freier Elektronenlaser – heißt das Gerät, das sich im Untergrund von Hamburg vom Gelände des Deutschen Elektronensynchrotrons (Desy) 3,4 Kilometer weit bis ins schleswig-holsteinische Städtchen Schenefeld erstreckt. Desy erzeugt bereits seit Jahrzehnten Röntgenlicht für die Forschung. Der Vorsitzende des Desy-Direktoriums, Helmut Dosch – Desy ist Hauptgesellschafter von European XFEL –, hat sein Urteil schon gefällt: „Der europäische Röntgenlaser ist eines der revolutionärsten Großforschungsprojekte weltweit.“ Er biete ein „enormes Entdeckungspotenzial“.
Auch für die künftige Energieversorgung. Trotz aller Forschung des Menschen ist es immer noch die Natur, die Energie am weitaus effektivsten umwandelt, um sie beispielsweise für das Wachstum von Pflanzen nutzbar zu machen. Die Photosynthese benötigt lediglich Chlorophyll, Sonnenlicht und Kohlendioxid, um Wasserstoff zu erzeugen, der allerdings nicht das Endprodukt ist. Letztlich wird er zum Aufbau von Biomasse genutzt. Man könnte den Prozess allerdings unterbrechen und Wasserstoff ernten. Das ist auch schon gelungen, doch der Wirkungsgrad ist so gering, dass es bei weitem nicht wirtschaftlich ist. Erst wenn der Prozess sichtbar gemacht wird besteht die Chance, der Natur ihr Geheimnis zu entreißen und eine unerschöpfliche und billige Technik zur Energieumwandlung zu etablieren. Genau das soll XFEL leisten.
Katalysatorforscher stehen vor dem gleichen Problem. Sie können nur ahnen, was an der Oberfläche dieser Reaktionsbeschleuniger passiert, wenn sie dafür sorgen, dass zwei Stoffe, die sich eigentlich nicht mögen, zu einem höherwertigen Material verschmelzen, etwa Wasserstoff und Kohlendioxid zu Synthesegas. XFEL wird diesen Prozess sichtbar machen, sodass zielgerichtet effektive Katalysatoren für die Chemie entwickelt werden können.
Blick ins Innere von Himmelskörpern
Astronomen können herausfinden, was bei der Entstehung des Weltalls passiert ist, als sich gewaltige Himmelskörper bildeten. In deren Innerem herrscht ein unvorstellbarer Druck. Den erzeugt in einer XFEL-Experimentierhalle ein Hochleistungslaser, der seine Energie innerhalb des Bruchteils einer Sekunde auf eine Probe konzentriert, die nur wenige Milliardstel Millimeter groß ist. Röntgenblitze machen sichtbar, was in diesem Augenblick passiert.
Bei der Inbetriebnahme werden sämtliche Komponenten der riesigen Maschine getestet, ehe möglicherweise noch in diesem Jahr der erste Elektronenstrahl auf die Reise geschickt wird. Die kleinen elektrisch negativ geladenen Teilchen schlägt ein gepulster Laser im Injektor aus einem Stückchen Caesiumtellurid heraus. Dieses Gerät, das bereits vor knapp einem Jahr fertiggestellt wurde, erzeugt in jeder Sekunde 27.000 Elektronenpakete, die in den 1,8 Kilometer langen Linearbeschleuniger geleitet werden. Dieser besteht aus einem Rohr, das von 100 Beschleunigereinheiten unterbrochen wird. Diese werden mit flüssigem Helium auf minus 270 °C gekühlt. Es dauert rund vier Wochen, ehe die Zieltemperatur erreicht ist. Das Kühlen senkt den Stromverbrauch dieser Resonatoren und erhöht ihre Leistungsfähigkeit.
Elektronen auf Zickzack-Kurs
Am Ende der Strecke sind die Elektronenpakete beinahe so schnell wie Licht, das auf knapp 300.000 Kilometer pro Sekunde kommt. Jetzt werden sie in so genannte Undulatoren geschickt, die die Pakete auf einen Zickzack-Kurs zwingen. Bei jeder Richtungsänderung emittieren sie Röntgenblitze, die sich zu einem Laserstrahl formieren. An fünf Experimentierplätzen wird er genutzt. Die Verteilung übernehmen weltweit einmalige Spiegel. Sie sind so glatt, dass die höchste Erhebung gerade mal ein Millionstel Millimeter beträgt. Verglichen mit einer 40 Kilometer langen Straße bedeutet das einen Höhenunterschied, der so groß ist wie der Durchmesser eines menschlichen Haares.
Genutzt wird das Gerät vor allem von Forschern aus der Europäischen Union, der Schweiz und Russland, die sich an den Baukosten von rund 1,2 Milliarden Euro beteiligt haben. Die größten Anteile entfallen auf Deutschland und Russland.
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