Industrielle Produktion mit Hilfe der Natur auf ein neues Level heben
Um Fertigungsprozesse zukünftig flexibler zu gestalten, haben Forschende verschiedene Mechanismen der natürlichen Evolution von Organismen untersucht und diese auf heutige Produktionsverfahren übertragen. Das Ergebnis: Die Natur ist ein ideales Vorbild für die Entwicklung selbstlernender Prozesse.
„The Survival of the fittest – nur der Anpassungsfähigste überlegt.“ Nicht nur in der Evolutionstheorie, auch in der Industrie und Wirtschaft gilt das Durchsetzungsprinzip durch Anpassung. Mit sich verändernden Umweltbedingungen und einer rasanten technischen Entwicklung ändern sich die Anforderungen an verschiedenste Produkte. Schnell sind neue Materialien, neue Designs oder völlig neue Fertigungsverfahren gefragt. Die Optimierung von Prozessen und Produkten erfordert jedoch Zeit, Geld und Ressourcen. Effizienter wären flexible und selbstanpassende Produktionssysteme.
In dem Projekt „EVOLOPRO – Evolutionäre Selbstanpassung komplexer Produktionsprozesse und Produkte“ haben über 50 Forscherinnen und Forscher aus sieben Fraunhofer-Instituten verschiedene Elemente der Selbstanpassung und Flexibilität unter sich verändernden Umweltbedingungen analysiert und die Ergebnisse auf die Produktion komplexer Bauteile übertragen. Die Ergebnisse legen einen wichtigen Grundstein für neue Produktionssysteme.
Die Vision einer autonomen Produktion im Fokus
Biologische Transformation – Natur auf Technik übertragen
Ausgangspunkt des umfangreichen Projekts „EVOLOPRO“ war die Frage: Was lässt sich von der Natur für die Produktionstechnologie lernen? Dabei ist die Idee, die Natur als Vorbild für technische Produkte zu nehmen nicht neu. Schon lange wird in der Technik auf Lösungen und Prinzipien aus der Natur gesetzt. So ist zum Beispiel die Oberfläche einiger Sensoren mit Nanostrukturen von der Natur inspiriert. Die Augen einiger nachtaktiver Motten haben nämlich genau solche Strukturen, erklärt Projektleiter Tim Grunwald von Fraunhofer-Institut. Diese hätten eine hohe Lichtdurchlässigkeit, würden die Reflexion von Lichtstrahlen verhindern und es so der Motte ermöglichen, auch in der Dämmerung gut zu sehen. Für die Motten ist das überlebenswichtig.
Die Übertragung von der Natur auf technische Bauweisen wird auch als biologische Transformation bezeichnet. Das Forschungsprojekt EVOLOPRO geht noch einen Schritt weiter. Die Forschenden wollen nicht nur natürliche Funktionen aus der Natur auf ein Bauteil übertragen, sondern sie nutzen die evolutionsbiologischen Elemente und Mechanismen, um eine neue Form von „Biological Manufacturing Systems“ (BMS) zu entwickeln. Solche Systeme können sich selbstständig an neue Umgebungsbedingungen anpassen. Dafür benötigen sie jedoch nicht – wie die Natur – viele Jahre, sondern passen sich im Idealfall schon in kürzester Zeit an. „Das große Feld der Digitalisierung schafft beste Voraussetzungen für die angestrebte produktionstechnische Evolution“, sagt Grunwald.
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Digitaler Zwilling und Algorithmen ermöglichen flexiblen Produktionsprozess
Das Projekt EVOLOPRO konzentriert sich auf die Erzeugung von Anpassungsfähigkeit durch die Förderung von Variation, aber auch durch das Zulassen von Fehlern. Damit unterscheidet sich dieser Ansatz beispielsweise vom maschinellen Lernen, das meist nur eine zweckgerichtete Optimierung zum Ziel hat. Bei EVOLOPRO sind Fehler hingegen eine wichtige Information, aus dem das System selbstständig Schlüsse zieht.
Die Grundlage des Biological Manufacturing Systems bilden der Biologie nachempfundene Algorithmen und auf datenbasierte Digitale Zwillinge. Der digitale Zwilling ist hier das digitale Abbild eines Bauteils, das mit einer digitalen Umwelt interagiert. Die Algorithmen ermöglichen dem digitalen Zwilling (Bauteil) den schnellen Weg der Evolution. So können schließlich die Unterschiede zwischen dem Sollbauteil und seinem Ist-Zustand analysiert und bewertet werden.
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Drei Testreihen liefern neue Erkenntnisse für die Produktionstechnologie
Am Ende des Projekts wurden die berechneten Ergebnisse im Hinblick auf die Wirksamkeit der evolutionären Selbstanpassung in drei verschiedenen Pilotanwendungen geprüft. In der Pilotkette Aviation konnte der Aufwand für die Prozessplanung des Bauteils deutlich reduziert werden. In der Pilotkette Optics konnte wiederum die Fertigung optischer Systeme optimiert und der Ausschuss reduziert werden. Und auch die dritte Testreihe, Pilotkette Automotive war erfolgreich. Hier wurde eine vollständig modellbasiert geregelte Karosseriefertigung errichtet, die das komplette Potenzial einer selbstlernenden Industrie 4.0-Karosseriebau-Anwendung ausschöpft.
Alle drei Testreihen, zu den Einzelkomponenten, der Montage mehrerer Einzelkomponenten und dem temporären Interagieren mehrerer Einzelkomponenten haben somit zu neuen Erkenntnissen geführt. Das Projekt legt somit einen wichtigen Grundstein für eine neue Generation von Produktionssystemen. Auch Projektleiter Grunwald ist zufrieden: „Die Pilotketten hatten grundlegend unterschiedliche Anforderungen und Charakteristika. Die erreichten Ergebnisse sprechen demnach für die Universalität des verfolgten Projektansatzes.“
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