Industrie 4.0 revolutioniert die Produktion
Verbände, Politik und Industrie haben die vierte industrielle Revolution ausgerufen. Industrie 4.0 propagiert das Zusammenwachsen moderner Informationstechnik mit klassischen industriellen Prozessen. Grundlage sind cyberphysische Systeme (CPS), die eigenständig Informationen aufnehmen, Aktionen auslösen und sich wechselseitig steuern können. Das Thema war auf der diesjährigen SPS/IPC/Drives in aller Munde.
Industrie 4.0 soll starre Produktionsstrukturen in modulare, effiziente Systemen umwandeln. Ähnlich wie beim USB-Anschluss am PC sollen sich Feldgeräte, Maschinen und Anlagen ohne Parametrierung oder Programmierung zu Produktionssystemen zusammenschließen lassen. „Industrie 4.0 bietet eine historische Chance für den Produktionsstandort Deutschland, denn sie treibt produzierende Industrie und Automatisierungstechnik voran“, sagte Roland Bent, Geschäftsführer von Phoenix Contact auf der SPS/IPC/Drives.
Im Gegensatz zum CIM-Ansatz vor 30 Jahren könnten heute Informationen über weitere Wege ausgetauscht werden. Während CIM mit seinem technokratischen Ansatz nur Insellösungen einzelner Hersteller lauffähig gemacht habe, liege der wesentliche Fortschritt bei Industrie 4.0 in seinem industrieübergreifenden Ansatz, so Bent weiter. Hierbei spielen die horizontale Integration mit ihren Wertschöpfungsnetzwerken über Firmengrenzen hinweg und die vertikale Integration von flexiblen und rekonfigurierbaren Produktionssystemen eine besondere Rolle. Die dritte Dimension ist die digitale Durchgängigkeit über den Lebenszyklus eines Produkts und des zugehörigen Produktionssystems.
Industrie 4.0 geht wesentlich weiter als CIM
„CIM ist damals gescheitert, weil wir die Komplexität der Systeme nicht handeln konnten“, erklärte Bent. Heute wäre dies möglich. Aber Industrie 4.0 fängt nicht dort an, wo CIM scheiterte, sondern geht wesentliche Schritte weiter. „Ganzheitlich betrachtet bietet Industrie 4.0 hierarchielose Kommunikationsstrukturen, wie sie im Internet üblich sind“, unterstrich er.
„Wir versuchen autonome Gruppen zu schaffen, die für sich entsprechende Entscheidungen treffen können“, verdeutlichte Bent. Im Klartext heißt das, dass nicht mehr eine zentrale Steuerung, sondern das zu fertigende Produkt selbst die Produktion steuert. Doch Autonomie ist nicht gleichzusetzen mit Anarchie. Es bestehen noch Regeln, innerhalb derer Entscheidungen getroffen werden können.
Industrie 4.0 wird die Automatisierungspyramide grundlegend verändern
Ähnlich sieht dies auch Olaf Sauer. Der stellvertretende Leiter des Fraunhofer-Instituts IOSB beobachtet seit Langem, dass sich die Ränder der klassisch abgegrenzten Ebenen der Automatisierungspyramide langsam auflösen. „Typische MES-Funktionen wie Fertigungssteuerung, Qualitätsmanagement oder Tracking and Tracing wandern als CPS-Dienste in die Automatisierungs- und Feldebene, während sich die Fertigungsplanung in die ERP-Ebene verlagert“, so Sauer. „Die Automatisierungspyramide, wie wir sie bisher kennen, wird sich in absehbarer Zeit auflösen.“
Die Frage ist aber, wie viel Autonomie verträgt das Produktionsumfeld. Schon heute haben Elektromotoren oder Sensoren ein elektronisches Datenblatt, mit dem sie sich selbst konfigurieren. „Wenn demnächst jeder Sensor, jeder Motor oder jedes Fertigungsaggregat Zeichnungen, Revisionsstände, Soft- und Hardware, Kapazitäten, Bewegungsräume etc. in sich trägt, und dies bei Bedarf anderen mitteilen kann, dann lassen sich daraus recht einfach autonome Maschinenaggregate konfigurieren“, erklärte Gerd Hoppe von Beckhoff Automation. „Damit schaffen wir eine Verbindung zwischen den Methoden der virtuellen Welt, der Informationstechnologie und einem physischen System.“
Industrie 4.0 ist nicht nur auf die Automatisierung begrenzt
Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um eine Produktionsumgebung oder eine städtische Infrastruktur handelt. Der Begriff Industrie 4.0 sei nicht auf die Automatisierung begrenzt. „Die Zukunft wird zeigen, ob sich das alles so strukturiert, wie wir es wollen. Von der Top-down-Architektur bis zum völlig freien Kommunizieren zwischen autonomen Systemen ist alles möglich“, so Hoppe weiter.
Hierarchisch oder autonom, zentral oder dezentral, das sei gar nicht so sehr das Ziel, sagte Klaus Bauer. Für den Leiter der Entwicklung Basistechnologie bei Trumpf Werkzeugmaschinen ist Robustheit im Sinne von Sicherheit der Anlage und der Beherrschbarkeit für den Menschen das Entwicklungsziel für Industrie 4.0. Hauptproblem sei, dass Maschinenbauer, Elektrotechniker und Informatiker weder bei der Funktionsbeschreibung, noch bei der Systemmodellierung eine gemeinsame Sprache sprächen. Hier biete Industrie 4.0 eine gemeinsame Schnittmenge.
„Dies ist auch die Chance, unter einem gemeinsamen Dach intensiv mit den Industrieverbänden VDMA, ZVEI und Bitkom zusammenzuarbeiten“, sagte Roland Bent. Und Sauer ergänzte: „Wir haben dazu in Deutschland die besten Voraussetzungen, um uns als Leitanbieter für cyber-physische Systeme zu entwickeln.“
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