Mikromechanik 25.06.2010, 19:47 Uhr

Intelligente Sensoren erobern Handy, Laptop & Co.

Sensoren sind die „Sinnesorgane“ der Elektronik. Einsatz finden sie seit langem im Automobil – zur Abgasregelung, im Airbag-Steuergerät oder im Schleuderschutz ESP. Jiri Marek, Senior Vice President Engineering Sensors bei der Robert Bosch GmbH, dachte weiter: Preiswerte Sensoren für Konsumelektronik, die dank fortschreitender Miniaturisierung heute millionenfach Realität sind.

Das Handy merkt, wenn es gedreht wird, die Digitalkamera merkt, wenn ein Hochformat-Foto geschossen wird – in immer mehr Produkten der Konsumelektronik stecken Sensoren, die Bewegungen des Geräts erkennen können. Doch was hat das Ganze mit dem Elchtest zu tun? Jiri Marek, Senior Vice President für Sensor Engineering bei der Robert Bosch GmbH in Reutlingen, weiß es.

1997 brachte der spektakuläre Sturz der Mercedes A-Klasse den breiten Einsatz des Schleuderschutzes ESP, des elektronischen Stabilitätsprogramms. Neben der Steuerelektronik ist ein Drehratensensor Kernstück des Systems. Marek präsentiert dieses mikromechanische Präzisionswunderwerk aus dem Jahr 1998, das ungefähr die Größe einer Zigarettenschachtel hatte. Daneben legt er eine kleine, ca. 8 cm durchmessende Blechdose, in der sich 20 000 Beschleunigungssensoren befinden, jeder gerade 2 x 2 mm2 groß. Ergebnis einer rund 15-jährigen Entwicklung in der Sensortechnik, die Marek bei Bosch maßgeblich geprägt hat.

Jiri Marek ist gebürtiger Tscheche. Die Familie kam im Zuge des Prager Frühlings nach Stuttgart. Nach dem Abitur entschloss er sich zum Studium der Elektrotechnik. „Ich schwankte zwischen Physik und Elektrotechnik, aber das Physikstudium war mir damals zu akademisch und zu philosophisch angehaucht.“ Dennoch hat ihn die Physik später nie losgelassen.

So beschäftigte er sich in der Diplomarbeit und Promotion mit der Ausbeuteverbesserung bei Solarzellen. Später arbeitete Marek bei Hewlett-Packard, wo er an der Entwicklung von Leuchtdioden (LED) beteiligt war zum Schluss sogar an ersten LEDs für die Kfz-Beleuchtung. Alles Themen, die stark von der Halbleiterphysik geprägt sind. „Nach vier Jahren Kalifornien zog es meine Frau und mich zurück nach Deutschland. Ein Jahr länger im Golden-State und wir wären vermutlich dort geblieben.“

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Auf Jobsuche in Süddeutschland kam Marek dann mit dem damaligen Geschäftsleiter von Bosch in Reutlingen, Horst Fischer, in Kontakt. „In den 1980er-Jahren gab es erste vielversprechende Entwicklungen von mikromechanischen Strukturen. Fischer suchte jemanden, der in diesem Bereich arbeiten wollte, denn er hatte die Vision, dass solche Strukturen als Sensor oder Aktuator im Auto große Anwendung finden können.“ Als Mikrosystemtechnik bezeichnet, war die Kombination von Mikromechanik, Mikrooptik und Mikroelektronik in den 1980er-Jahren ein heiß diskutiertes Thema. Heute benennt sich die Technologie meist nach dem US-Sprachgebrauch als „Micro-Electro-Mechanical Systems“, kurz MEMS.

Das erste MEMS-Bauelement, das Bosch fertigte, war ein Drucksensor für die Motorregelung. „Die verschärfte Abgasgesetzgebung war der Startschuss einer immer umfangreicheren Fahrzeugelektronik“, erinnert sich Marek. „Später kamen dann die Sensoren und Systeme zur Airbag-Auslösung hinzu.“ Ende der 90er-Jahre – Marek war inzwischen für die gesamte MEMS-Sensorentwicklung bei Bosch verantwortlich – entschied sich das Unternehmen, diese Komponenten auch auf dem freien Markt anzubieten. „Die Halbleitertechnologie war einfach zu teuer, um sie lediglich für den In-House-Bedarf zu nutzen.“

Schon damals dachte Marek über das Auto als Anwendungsfeld hinaus. „Ich war überzeugt, dass die Sensorik auch in Handys und anderen Konsumelektronikprodukten einen Platz haben wird.“ Doch die ersten Diskussionen mit Kunden ernüchterten. Für mobile, batteriegetriebene Anwendungen waren die Automobil-Sensoren zu groß und verbrauchten zu viel Strom. „Daher entschlossen wir uns 2005 ein eigenständiges Unternehmen zu gründen, das unsere Technologien für Konsumanwendungen einsetzbar machen und vermarkten soll.“ Das war die Geburtsstunde der Bosch Sensortec GmbH als 100 %ige Tochter von Bosch.

Im Jahr 2008 erhielt Marek gemeinsam mit dem Geschäftsführer der Bosch Sensortec, Frank Melzer, und Michael Offenberg den Deutschen Zukunftspreis des Bundespräsidenten. In der Begründung hieß es damals: „Dem nominierten Bosch-Forscher-Team gelang es, eine Reihe von Prozessen für die Oberflächen-Mikromechanik zu entwickeln und in eine Großserienfertigung umzusetzen. Damit hergestellte Sensoren erfüllen die Ansprüche der Konsumelektronik und erschließen ihr eine ungeahnte Palette neuer Funktionen. Die bei Bosch entwickelten Prozesse gelten in Fachkreisen als technischer Durchbruch für die industrielle Nutzung der Oberflächen-Mikromechanik.“

Heute schätzen Fachleute das Geschäft mit MEMS-Sensoren bei Bosch auf rund 480 Mio. € Umsatz pro Jahr und die Marktforscher von iSuppli attestieren dem Unternehmen bei MEMS-Sensoren die weltweite Führungsposition. Gefertigt wird ausschließlich in Reutlingen. Marek: „Das ist zwar ein Hochkostenstandort, aber die Vorteile überwiegen. Hier sind Entwickler und Fertigung, Test, Qualitätssicherung und Anwendung so eng verzahnt, dass wir schnell reagieren können.“ Mit den beiden Absatzschienen Automobil- und Konsumelektronik ist außerdem eine gute Auslastung gegeben: einerseits hoch qualifizierte Produkte für den – vom Krisenjahr 2009 abgesehen – langfristig stetig wachsenden Automobilelektroniksektor, andererseits miniaturisierte Produkte in hohen Stückzahlen für den schnell veränderlichen Konsumelektronikmarkt mit Handys, Laptops und Co.

Im Krisenjahr 2009 hat sich Bosch deshalb nicht gescheut, mit 600 Mio. € die größte Einzelinvestition des Konzerns zu tätigen und eine brandneue 200-mm-Halbleiterfertigungslinie aufzubauen. „Am 18. März 2010 hat uns der Bundespräsident Köhler als Zukunftspreisträger besucht und gleichzeitig die neue Wafer-Fab eröffnet“, erinnert sich Marek, „und wir kamen damit genau richtig, um die wieder anziehende Nachfrage nach Halbleitern und Sensoren zu befriedigen.“ Mit der neuen Fertigung habe man zudem die Grundlage, durch weitere Geräteinvestitionen die Fertigungskapazität in Zukunft noch weiter zu steigern.

Neben den MEMS-spezifischen Fertigungstechnologien (s. Kasten) durchlaufen die Bauelemente auch viele Stufen der „normalen“ Halbleiterfertigung. Die Auswerteelektronik z. B. ist ein ganz normaler Chip, der dann mit der MEMS-Komponente im Gehäuse vereinigt wird. Und so vielseitig wie die Anwendungsfelder ist auch das Spektrum der an der Entwicklung beteiligten Ingenieure. „Wir haben hier u. a. Chemiker, Elektrotechniker, Maschinenbauer, ja, wir hatten sogar einmal einen Mineralogen in unserem Team.“ Außerdem betreibe man viel Aufwand zur Schulung und Weiterbildung der Mitarbeiter bis hin zu der „Summer School“ mit Professoren in deren vorlesungsfreier Zeit. Denn MEMS sind ja nicht nur Mikroelektronik, die mechanischen Komponenten erfordern zusätzlichen Aufwand bei Design, Simulation und Test der Produkte.

Auch bei den MEMS-Bauelementen gibt es ähnliche Entwicklungen wie bei den Chips: Die Produkte werden kleiner und stromsparender und nehmen in der Vielfalt der Funktionen zu – was ja nicht zuletzt den Einzug in die Konsumelektronik möglich machte. „Aber beliebig klein zu werden, hat seine Grenzen“, erläutert Marek. Zum Beispiel müssten Beschleunigungssensoren bei der Bestückung der Leiterplatten justiert werden, und da gibt es einfach Grenzen der Miniaturisierung. Trotzdem ist es Bosch gelungen, den mit 2 x 2 mm2 derzeit kleinsten dreiachsigen Beschleunigungssensor auf den Markt zu bringen.

„Die Miniaturisierung der MEMS-Komponenten können wir nutzen, um sie gemeinsam mit Peripherie- oder Auswertelektronik in ein Gehäuse zu packen und so neue Funktionalitäten oder Programmierbarkeit zu erreichen.“

Auch neue Sensoranwendungen sind bereits im Forschungslabor realisiert. „Wir haben beispielsweise einen Infrarotsensor entwickelt, mit dem wir auch die CO2-Konzentration in der Luft des Fahrzeuginnenraums messen können.“ Dementsprechend kann dann die Klimaanlage auf hohe Energieeffizienz getrimmt werden und dabei den Fahrer vor hohen CO2-Konzentrationen schützen. Eine Entwicklung, die der ADAC mit dem Innovationspreis Gelber Engel ausgezeichnet hat, die aber den breiten Einsatz in Automobilen noch finden muss.

Auch Mikrofone lassen sich in MEMS-Technologie fertigen. Deshalb hat Bosch im vergangenen Jahr das amerikanische Start-up Akustica in Pittsburgh gekauft, das sich auf solche Produkte spezialisiert hat. „Wir versprechen uns hier einen lukrativen Markt“, erläutert Marek. Die MEMS-Mikrofone hätten den Vorteil, dass sie im Produktionsprozess der Geräte ganz normal bestückt und gelötet werden können. „Und mit zwei oder drei Mikrofonen in einem Handy habe ich bei entsprechender Signalverarbeitung die Möglichkeit, Umweltgeräusche zu unterdrücken oder eine Richtwirkung zu erzeugen.“

Und so werden in Zukunft immer mehr MEMS-Bauteile Handys und Digitalkameras mit „Augen und Ohren“ versehen und den Bedienkomfort erhöhen. „Kumuliert haben wir schon weit über 1 Mrd. MEMS-Sensoren gefertigt“, sagt Marek stolz. „2009 sind mehr als 220 Mio. Stück hinzugekommen.“ – Tendenz: steigend. JENS D. BILLERBECK

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Ein Beitrag von:

  • Jens D. Billerbeck

    Jens D. Billerbeck

    Leiter Content Management im VDI Verlag. Studierte Elektrotechnik in Duisburg und arbeitet seit seiner Schulzeit jounalistisch. Nach Volontariat und Studienabschluss Redakteur der VDI nachrichten u. a. für Mikroelektronik, Hard- und Software, digitale Medien und mehr.

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