Fertigungsforschung 09.12.2011, 12:03 Uhr

Moderne Werkzeugmaschinen „erfühlen“ ihre Belastung

Werkzeugmaschinen werden immer dichter an der Belastungsgrenze betrieben. Das kann durchaus funktioniere, meinen Fertigungsforscher der Leibniz Universität Hannover, wenn nämlich die Maschinenstruktur selber – etwa über Dehnungsmessstreifen – ihre aktuelle Belastung „erfühlt“ und die Daten in die Maschinensteuerung eingehen.

Hightech für die Produktion: Auf der weltgrößten Werkzeugmaschinenmesse EMO im September in Hannover präsentierte das Produktionstechnische Zentrum (PZH) der Leibniz Universität Hannover ihre Forschungsergebnisse zur „Fühlenden Maschine“. Ein entsprechend weiterentwickeltes Bearbeitungszentrum sowie eine komplette Eigenkonstruktion der Universität Hannover mit einer muskelähnlichen Dämpfung und fühlender Magnetlinearführung zeigten das Fertigungspotenzial der nächsten Maschinengeneration auf. „Bei der Fühlenden Maschine handelt es sich um ein Vorhaben aus dem Sonderforschungsprojekt 653, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird“, betonte Kai Litwinski vom Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen, Forschergruppenleiter und maßgeblich an der Entwicklung beteiligt.

Der Sonderforschungsbereich 653 „Gentelligente Bauteile im Lebenszyklus“ befasst sich mit der Idee, Bauteile „fühlend“ und „wissend“ zu machen. „Das bedeutet, dass wir die Bauteile selbst als Sensoren und Informationsträger verwenden wollen“, erklärte Litwinski. Hieraus sei die Vision der fühlenden Maschine entstanden. „Wir denken an den Werker, der ein Werkstück manuell, z. B. mit einer Feile, bearbeitet“, so der Gruppenleiter. Dabei erfühle er mit seinen Sinnen in Verbindung mit der Erfahrung, die er über Jahre gesammelt hat, den aktuellen Zustand des Werkstücks, des Werkzeugs und der Bearbeitung. Er erkenne also beispielsweise, wenn sich eine Feile zusetzt.

Forscher der Leibniz Universität Hannover präsentieren erste Ergebnisse zu „fühlenden“ Werkzeugmaschinen

„So wie ein Werker mit seinen Händen ein Werkstück wie auch ein Werkzeug halten kann und über seine Hände den Prozess erfühlt, wollen wir mit dem Spannsystem, welches das Werkstück hält, sowie mit dem Z-Schlitten, der die Spindel und letztlich das Werkzeug hält, den Prozess von beiden Seiten beobachten“, erläuterte Litwinski. Beflügelt wird die Entwicklung der Fühlenden Maschine dadurch, dass es in der Fertigungstechnik und -organisation einen Trend zur Integration von Sensoren und Intelligenz in Werkzeugmaschinen gibt. Zu erkennen, so Litwinski, sei dies beispielsweise an der zunehmenden Zahl von Prozessüberwachungssystemen oder der Integration von Überwachungssystemen in die Mensch-Maschine-Schnittstelle.

Die Prozessüberwachung ist ein typischer Anwendungsbereich für die Fühlende Maschine. Hier geht es immer öfter um die Überwachung in der Einzelteilfertigung. Schon länger sind Prozessüberwachungssysteme bekannt, die sich wiederholende Zerspanprozesse durch Teachen erlernen: „Unser Ansatz ist es, den Prozess ab dem ersten Schnitt zu erlernen und so auch eine Überwachung in der Einzelteilfertigung zu ermöglichen“, verdeutlichte Litwinski. Die neue Idee sei es, die Maschinenstruktur als Sensor zu verwenden. Bisher kenne man Ansätze, Kraftmessdosen oder Kraftmessplattformen in Maschinen einzubauen. Doch dafür seien aufwendige Hilfskonstruktionen notwendig, und außerdem werde die Maschine störungsanfälliger.

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Werkzeugmaschinen werden durch eine Vielzahl von Sensoren „fühlend“ gemacht

„Unser Ansatz ist es, durch das geschickte, simulationsbasierte Auslegen und Anbringen von Sensoren – beispielsweise Dehnungsmessstreifen – die eigentliche Maschinenstruktur fühlend zu machen, ohne die Struktur als solche maßgeblich zu verändern“, hob der Hannoveraner Maschinen- und Steuerungsexperte hervor.

Wer sich allerdings Hoffnungen macht, dass die Fühlende Maschine schon bald im harten Produktionsalltag ihre Vorteile ausspielt, muss sich noch ein wenig gedulden. Litwinski: „Das ist ein Projekt der Grundlagenforschung. Es wird zunächst eine Umsetzung einzelner Teiltechnologien in eine industrielle Praxis geben.“ Hier sei man auf der EMO und schon zuvor auf sehr großes Interesse aus der Industrie gestoßen.

„Fühlende“ Werkzeugmaschinen für das Arbeiten an der Belastungsgrenze sinnvoll

Was an einer Fühlenden Maschine wichtig ist für die innovative Fertigung ist, der PZH-Mitarbeiter so: „In innovativen Bearbeitungsverfahren werden Maschinen und Werkzeuge bis an die Belastungsgrenze betrieben. Um solche Verfahren zu beherrschen, ist ein genaues Wissen über den aktuellen Prozess- und Werkzeugzustand sowie eine genaue Kenntnis des Prozessverhaltens notwendig.“ Die Fühlende Maschine ermögliche hierbei das Erfassen des Prozess- und Werkzeugzustands sowie den Aufbau einer entsprechenden Wissensbasis. 

Ein Beitrag von:

  • Uwe Schamari

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