Pestizide: Hersteller schuldig gesprochen
Beim „Permanenten Tribunal der Völker“ im indischen Bangalore diskutierten Anfang Dezember Landwirte, Forscher und Juristen, ob Hersteller von Pflanzenschutzmitteln gegen das Menschenrecht auf gesundes Leben verstoßen, indem sie Pestizide mit gefährlichen Wirkstoffen in Entwicklungs- und Schwellenländern vermarkten.
Elf konkrete Vergiftungsfälle wurden vor dem Tribunal verhandelt. Chefanklägerin war Sarojeni Rengam aus Malaysia. Sie ist Direktorin des Pestizid Aktions-Netzwerks (PAN) in Asien und im Pa-
zifikraum. Alle Vergiftungen wurden auf Wirkstoffe der sechs größten Hersteller von Pflanzenschutzmitteln zurückgeführt. Diese „Big6“ sind BASF und Bayer CropScience aus Deutschland, Syngenta aus der Schweiz sowie Dow, DuPont und Monsanto aus den USA. Sie vertreiben weltweit rund 70 % aller Pestizide.
Das Problem: Nach Angaben der Weltbank sterben jedes Jahr ca. 350 000 Menschen an Pestiziden. Es könnten sogar viel mehr sein, meint Carina Weber, Geschäftsführerin des PAN in Deutschland, denn: „In Ländern Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas werden akute Vergiftungen kaum erfasst.“
Pestizide: „Big6“ unter den Herstellern schuldig gesprochen
Sieben Juroren sprachen am 6. Dezember die Big6 für schuldig. Es bestehe dringender Handlungsbedarf, auch wenn Pestizidhersteller nicht gegen geltendes Recht verstoßen haben. Philipp Mimkes vom Umweltverband Coordination gegen Bayer-Gefahren: „Die Unternehmen dürfen die Wirkstoffe zwar nicht in der Heimat vertreiben, aber in viele Länder – toleriert von der jeweiligen Regierung – verkaufen.“
Zwei Beispiele: Eine Plantagenarbeiterin aus Malaysia berichtete über Vergiftungen durch Paraquat, einen Unkrautvertilger von Syngenta. „In der Schweiz ist Paraquat seit 1989 verboten – und in der EU seit 2007“, sagt François Meienberg, Co-Geschäftsführer der „Erklärung von Bern“, einer entwicklungspolitischen Organisation. Dennoch vertreibt Syngenta Herbizide mit diesem Wirkstoff in mehr als 100 Ländern.
Und ein schottischer Imker klagte über Bienensterben durch Insektengifte, die Imidacloprid oder Clothianidin enthalten. Mit diesen Wirkstoffen von Bayer CropScience wird Saatgut gebeizt. Nehmen Bienen die Stoffe über Pollen auf, werden sie orientierungslos oder sterben.
Bayer stellt Pestizide für Schwellenländer her, die in Europa teilweise verboten sind
Frankreich hat den Einsatz von Imidacloprid bei Sonnenblumen bereits 1999 untersagt. Und Clothianidin – das Nachfolgeprodukt – wurde dort gar nicht zugelassen. In Deutschland lässt das Bundesamt für Verbraucherschutz und Landwirtschaft (BVL) die Zulassung für Insektizide mit diesen Stoffen nach 2008 ruhen. Mimkes: „Dennoch stellt Bayer beide Wirkstoffe weiter her und vertreibt sie in vielen Ländern.“
Selbst wenn die Big6 ihre Vermarktungsstrategien nicht sofort ändern, hoffen die Teilnehmer des Tribunals auf die Zukunft: Im Juni 2011 hatte der UN-Menschenrechtsrat „Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte“ verabschiedet. Staaten müssen dafür sorgen, dass kein Unternehmen ein Menschenrecht verletzt; Unternehmen müssen von sich aus Menschenrechte respektieren; Opfer müssen entschädigt werden. „Es reicht also nicht, wenn Unternehmen sagen, sie handeln in Übereinstimmung mit nationalen Gesetzen“, erklärt Meienberg.
Das neue Instrument muss sich noch etablieren. So habe Syngenta die Risiken der Anwendung von Paraquat nicht ausreichend geprüft, meint Meienberg. Als Paraquat in Deutschland verkauft wurde, war das Tragen von Atemmasken, Schutzbrillen und Sicherheitshandschuhen vorgeschrieben. „Das ist in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern illusorisch.“
Viele akute Vergiftungen gehen auf Pestizide zurück
Meienberg wundert sich daher nicht, dass in Burkina Faso und in Costa Rica rund ein Fünftel aller akuten Vergiftungen auf das Konto dieses Pestizids gehen: „Syngenta muss in Ländern, in denen Paraquat nicht angemessen angewendet werden kann, sofort einschreiten und den Verkauf stoppen.“
Allein jeder der drei Konzerne BASF, Bayer und Syngenta vermarktet mehr als 50 hochgefährliche Wirkstoffe. Viele davon wirken chronisch, können Krebs auslösen oder unfruchtbar machen. In Schwellen- und Entwicklungsländern bleibt dies fast immer unerkannt. „Wir müssen davon ausgehen, dass vielfach Menschenrechte verletzt werden, ohne dass dies wahrgenommen wird“, mahnt Weber.
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