Serie Zukunftswelten 15.06.2012, 11:55 Uhr

„Vertical Farms“: Wolkenkratzer mit Obst und Gemüse

Im Jahr 2050 werden vier Fünftel der dann 9 Mrd. Menschen in Städten leben. Nahrungsmittelversorgung wird dann – auch logistisch – zur enormen Herausforderung. Architekten und Stadtplaner arbeiten gemeinsam mit Natur- und Agrarwissenschaftlern an Konzepten für einen urbanen Ackerbau. Gemüse, Reis und Obst sollen inmitten der Städte angebaut werden. Die Utopie landwirtschaftlicher Wolkenkratzer nimmt Gestalt an.

Wolkenkratzer: Bald zur Lebensmittelversorgung?

Wolkenkratzer: Bald zur Lebensmittelversorgung?

Foto: NYC & Company

Fahrer Yuan Hao ist aufgeschmissen. Gurken, Tomaten und Kopfsalat soll er abholen. Nun steht er in der schlichten Lobby des Wolkenkratzers und weiß nicht weiter. Eine weibliche Roboterstimme ertönt. „Sie waren noch nicht hier. Was wünschen Sie?“ Hao schaut sich irritiert um. „Gurken und Tomaten. Je eine Palette. Kopfsalat zwei Paletten“, antwortet er schüchtern. „Gerne. Warten Sie am Aufzug“. Fünf Minuten später ist die Ware da. Die voll automatisierte Gebäudelogistik hat sie erntefrisch aus den Stockwerken 17, 19 und 24 geholt, wo das Gemüse unter Sauberraum-Bedingungen wächst.

Solche Utopien von „Vertical Farms“ in Hochhäusern machten schon in den 1960er-Jahren die Runde. Mittlerweile nehmen sie Gestalt an. In den USA, Japan, Korea und den Niederlanden laufen konkrete Forschungsprojekte. In Seoul betreibt die Rural Development Administration in einem äußerlich eher schmucklosen Dreistöcker voll automatisierten Pflanzenbau. Und in Japan treibt die 2006 gegründete Green Green Earth Ink. bereits auf zehntausenden Quadratmetern vertikalen Salat- und Gemüseanbau.

Wolkenkratzer als „Vertical Farms“: Eine Utopie aus den 60ern

Das unter dem Markennamen „Nuvege“ vermarktete Biogemüse wächst unter Hightech-Bedingungen heran. Verbrauchsarme Leuchtdioden (LED) erzeugen rund um die Uhr jene Lichtspektren, in denen die Pflanzen am Besten gedeihen. Um die Photosynthese anzuregen, sorgen die Japaner für erhöhten Kohlendioxidanteil in der Luft. Zutritt zu den Anbauräumen haben Menschen nur mit Mundschutz und Schutzkleidung. Viren und Bakterien sollen außen vor bleiben. Auch für Insekten und andere tierische Störenfriede ist der Zugang verwehrt.

Den Einflüssen von Frost, Hagel oder Dürre ist diese schöne neue Anbauwelt konsequent entzogen. Je nach Gemüsesorte erlauben die optimierten Bedingungen bis zu vier Ernten pro Jahr. Gewaschen werden muss das klinisch reine Erntegut nicht. Denn dank der kontrollierten Bedingungen verzichtet Nuvege auf Pestizide. Und Sand oder Erde im Salat ist bei den Japanern ebenfalls Vergangenheit. Ihr Ackerbau fußt auf hydroponischen Anbausystemen. Die Pflanzen wurzeln dabei statt in Mutterboden in Röhren, durch die feiner, exakt auf ihre Bedürfnisse abgestimmter Nährstoffnebel zirkuliert.

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Der US-Mikrobiologe und Public-Health-Experte Dickson Despommier sieht solche Anbaumethoden als zentralen Baustein künftiger Nahrungsmittelproduktion. Er verweist auf aktuelle Prognosen der Welternährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO, wonach Mitte des Jahrhunderts rund 9 Mrd. Menschen ernährt werden müssen. Dafür muss die landwirtschaftliche Produktion um 70 % steigen, obwohl bereits vier Fünftel der nutzbaren Flächen beackert sind. Obendrein gehen jährlich 10 Mio. ha Ackerland durch Erosion und falsche Anbaumethoden verloren.

Vertikale Farmen könnten die Problematik laut Despommier entschärfen, da sie Ressourcen sehr viel effizienter nutzen. So wüchsen auf einem Hektar Indoor-Plantage dank des ganzjährigen Anbaus unter Optimalbedingungen vier- bis sechsmal mehr Gemüse und bis zu dreißig Mal mehr Früchte, als unter freiem Himmel. Die optimierten Wasserkreisläufe ohne Verdunsten und Versickern senken zudem den Wasserbedarf auf rund ein Achtel. Außerdem soll aufbereitetes Grau- und Schwarzwasser eingesetzt werden. Was dabei an Klärresten übrig bleibt, soll ebenso wie die pflanzlichen Abfälle zu Biogas vergärt werden. Ohnehin soll der Strom- und Wärmebedarf der Agrar-Wolkenkratzer komplett aus erneuerbaren Energien bestritten werden. Der Forscher erwartet, dass der CO2-Ausstoß der Agrarproduktion dadurch drastisch sinken wird. Denn Traktoren und andere landwirtschaftliche Maschinen fallen ebenso weg, wie die langen Transportketten von den ländlichen Anbaugebieten in die Städte. Obendrein entfalle ein Großteil des Energiebedarfs für die Pestizid- und Düngerproduktion.

Solche Argumente haben Strahlkraft. Wie in Japan pirschen sich auch in den USA erste Unternehmen an die Zukunftswelt der urbanen Agrarhochhäuser heran. So installiert das Start-up BrightFarms Inc. aus New York Gewächshäuser auf ausrangierte Frachtschiffe sowie auf Dächer von Bürogebäuden und Supermärkten. Letztere vermarkten die erntefrischen Salate, Tomaten und Paprika vom eigenen Dach als lokal erzeugte Bioware mit minimalem ökologischen Fußabdruck.

Federleichte Anbausysteme entlasten die Statik von Wolkenkratzern

Um die Statik der Altbausubstanz nicht über Gebühr zu belasten, setzt BrightFarms ebenfalls auf die federleichten hydroponischen Anbausysteme. Auch die Gewächshäuser selbst bringen kaum Gewicht auf die Dächer. Bei kühlen Temperaturen wird ihnen Abwärme von Klimaanlagen und Kühlregalen zugeführt. Im Sommer sorgen automatisierte Jalousien und großflächige Verdunstungskühlgeräte für Optimalbedingungen. Das alles soll nur der Anfang sein. „Künftig lässt sich unser Anbausystem auch auf Neubauten übertragen“, erklärt Zak Adams, der technische Leiter des Unternehmens.

Wie solche Neubauten aussehen könnten, zeigen architektonische Entwürfe aus allen Teilen der Welt. Das Pariser Architektenbüro SOA etwa plant auf den unteren 15 Stockwerken seines „Tour Vivante“ insgesamt 130 Wohnungen und auf weiteren 15 Etagen darüber 8675 m2 Bürofläche. Daneben soll es ein Einkaufszentrum und 12 000 m2 Parkfläche geben. Besonders wird der Lebensturm durch 7000 m2 über die Geschosse verteilte Anbaufläche für Gemüse und Obst. Geschätzte Jahresproduktion: 63 t Tomaten, 9,3 t Erdbeeren und Salate, deren Menge die Franzosen wegen des Röhrenanbaus mit 37 333 Fuß (rund 11 km) angeben.

Den Wasserbedarf soll aufbereitetes Regen- und Brauchwasser decken. Energie liefern zwei Windräder auf dem Dach des markanten Gebäudes, in dessen Fassade außerdem 4500 m2 Photovoltaik-Module integriert sind. Für Luftaustausch und Klimatisierung sieht der SOA-Entwurf ein vom Grund bis zum Dach durchgängiges Schachtsystem vor, das den Kamineffekt nutzt. Zudem übernehmen die Pflanzen selbst in ihrem System die Funktion einer grünen Lunge.

Das US-Büro Kiss + Cathcart experimentiert derweil mit der Integration hydroponischer Pflanzröhren in die Zwischenräume doppelschaliger Glasfassaden. In einer 50 Stockwerke hohen und 60 m breiten Fassade sollen 135 Module bis zur 400 t Nahrungsmittel jährlich erzeugen. Das würde den kompletten Gemüse- und Salatbedarf der 3000 Menschen decken, die im Gebäude leben und arbeiten können. Die Module sind jeweils 2 m breit und 40 m hoch. Damit die bepflanzten Röhren trotz dieser Höhe für die Pflanzenpflege und Ernte greifbar bleiben, sind sie in eine Art Paternoster eingehängt. Neben Gemüse soll die begrünte Fassade Schatten erzeugen und so helfen, den Kühlbedarf zu senken.

Deutsche Wolkenkratzer sollen auch zu „Vertical Farms“ werden

Auch hierzulande befassen sich Wissenschaftler mit Ackerbau in der Vertikalen. So stellte ein Team um die Professoren Joachim Sauerborn und Folkard Asch vom Institut für Pflanzenproduktion und Agrarökologie in den Tropen und Subtropen der Uni Hohenheim jüngst ein Konzept für Reisanbau in Hochhäusern vor. Vor dem Hintergrund, dass allein für die Reisversorgung täglich 130 Vierzig-Tonner in eine Metropole wie Tokio rollen und der Anbau dieses Reises mehr als das Doppelte der Stadtfläche beanspruche, sehen sie im hocheffizienten Anbau in innerstädtischen „Vertical Farms“ eine auf jeden Fall bedenkenswerte Alternative. „Megastädte wachsen, das verfügbare Ackerland nimmt ab, heutige Produktionsmethoden sind verlustreich und der Klimawandel wird die Probleme weiter verschärfen“, argumentiert Sauerborn. Noch allerdings wertet er den vollkommen durchtechnisierten Ackerbau in Wolkenkratzern als Vision. Für konkrete Kostenabschätzungen sei es noch zu früh. Vorerst werden Fahrer wie Yuan Hao Gemüse also wie gehabt beim Großmarkt abholen.

 

Ein Beitrag von:

  • Peter Trechow

    Peter Trechow ist Journalist für Umwelt- und Technikthemen. Er schreibt für überregionale Medien unter anderem über neue Entwicklungen in Forschung und Lehre und Unternehmen in der Technikbranche.

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