Virtueller Pkw gibt Gas beim Engineering
Von der Konstruktion über die Produktion bis zur Präsentation: Virtuelles Prototyping optimiert die Abläufe im Unternehmen und dank 3-D-Simulation fahren künftige Automobile schon vor der Fertigung beim potenziellen Käufer vor. Hier kennen sich die Spezialisten des Münchner Unternehmen Realtime Technology (RTT) gut aus und entwickeln unter der Leitung von Peter Röhner effektive Lösungen für eine breitgefächerte Kundschaft.
Automobilhersteller wie Audi, Porsche und BMW lassen sich nicht gern in die Karten schauen. Wenn sie aber doch zusammenkommen, um über das Kernprodukt eines Zulieferers zu reden, dann muss dieser Zulieferer schon etwas Besonderes bieten. Jedes Jahr treffen sich die Branchengrößen bei der Realtime Technology AG, um ihr Wissen in puncto Highend-Visualisierung auf den neuesten Stand zu bringen. Dabei hat sich die ehemalige Hausmesse des 3-D-Spezialisten inzwischen zu einem begehrten Kongress-Event gemausert – mehr als 600 Teilnehmer kamen allein im Mai dieses Jahres zur „RTT Excite“ für Vorträge und Workshops nach München.
Peter Röhner, Chef der 90-köpfigen Forschungs- und Entwicklungsabteilung von RTT, ist für so manche optische Überraschung verantwortlich, und das nicht nur an den beiden Veranstaltungstagen. „Mich fasziniert der Schwung und die Innovationskraft bei RTT“, sagt der 46-Jährige, und das nimmt man ihm leicht ab. Zum Beispiel, wenn er mit leuchtenden Augen über die neuesten Eigenschaften des RTT-Kernprodukts „Delta-Gen“ spricht und erklärt, wie im neuesten Release 9.6 nun auch komplexe Lichtbrechungen und Reflexionen in Echtzeit visualisiert werden können – was etwa entscheidend ist für das Design von Fahrzeug-Frontlichtern.
Seit 2007 ist der Informatiker Head of Research and Development bei RTT und in dieser Zeit hat er sein Forschungsteam kontinuierlich aufgestockt. „Vor fünf Jahren“, erinnert sich Röhner, „zählte eher der Effekt. Heute geht es bei der Visualisierung zunehmend darum, sie in die Prozesse eines Unternehmens zu integrieren.“ Eine Lösung, um etwa das Produktdatenmanagement (PDM) künftig enger mit dem Virtual-Reality-Format zu verknüpfen, ist der neu entwickelte PDM-Connector von RTT. Die Schnittstelle erlaubt einen automatischen Import von CAD-Daten aus dem PDM-System in eine Visualisierungsanwendung. Updates aus dem CAD-Master werden damit automatisch in das Virtual-Reality-Modell übernommen, aufwendige Änderungen per Hand entfallen. Für Unternehmen bedeutet das weniger Verwaltungs- und Arbeitsaufwand und eine Optimierung des Ablaufs.
„Bei uns steht der Enterprise-Ansatz seit Jahren im Vordergrund – und der geht weit über reines Tool-Denken hinaus. Kontinuität und die langfristige Integration in die Prozesse des Kunden ist uns wichtiger als das schnelle Projektgeschäft“, sagt Röhner selbstbewusst.
Seit 1999 arbeitet RTT an der Vision, virtuelle Modelle in Echtzeit am Computer zu generieren. Aus einer Konkurssituation heraus begannen die Gründer damals, Grundsätze aus Spielegrafiken und der PC-Welt für die Highend-Visualisierung nutzbar zu machen. Der Fokus lag dabei von Anfang an auf der Automobilbranche und darauf, alles in den Kontext des Kunden zu setzen.
Das Konzept ging auf. Das Unternehmen ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen, heute arbeiten mehr als 400 Beschäftigte weltweit an innovativen Visualisierungslösungen. Vor allem die Bestandskunden sorgten im vergangenen Geschäftshalbjahr für eine Umsatzsteigerung von 58 % auf 23,3 Mio. €. Die Kundenliste liest sich wie ein Who“s who der Automobilbranche. Aber auch Konsumgüterhersteller wie Elektrolux und Adidas setzen verstärkt auf 3-D-Anwendungen.
„Durch die zunehmende Verlässlichkeit der Technologie sowie der Weiterentwicklung der Hardware und der Algorithmen wird heute in der Produktentwicklung immer mehr Visualisierung eingesetzt“, so Röhner. Das reduziere vor allem die Risiken einer Fehlentwicklung. „Der Vorstand kann sich beispielsweise bereits in einer frühen Phase ein Bild vom fertigen Produkt machen“, erklärt der VR-Experte, der sichtlich Spaß daran hat, im hauseigenen Cave den Innenraum eines neuen Sportwagens in Sekundenschnelle per Knopfdruck farblich zu verändern.
Diese Möglichkeiten der Simulation nutzen immer mehr Hersteller. Doch auch im Marketing- und Sales-Bereich rückt das Thema 3-D-Konfiguration in Echtzeit in den Fokus. Ob Edel-Konfigurator für Ferrari, Messepräsentationen für Audi oder rein virtuelle Produktvorstellung von Nissan: „Die Fülle unseres Portfolios geht weit über 3-D-Visualisierung hinaus“, fasst Röhner zusammen. „Wir bieten eine Kombination aus Service und Dienstleistung, die individuell gekoppelt wird mit unserer Software.“
Davor, dass aus der allgemein wachsenden 3-D-Begeisterung heraus neue gefährliche Konkurrenz erwächst, hat Röhner heute keine Angst. „Wenn sich ein Kunde für Visualisierung entscheidet, will er meist die gesamte Produktpalette in Szene setzen – vom Entwurf bis zum Content auf der Website. In einem Zeitraum von zwei bis drei Monaten kann das kaum jemand anders stemmen.“ Und, so weiß Röhner, „Kunden wollen Verlässlichkeit, beispielsweise Release-Kompatibilität. Auch die können wir bieten.“
Der Entwicklungschef sieht die zunehmende Präsenz von virtuellen Modellen und 3-D-Technik sogar als Vorteil. „Bei der 3-D-Visualisierung ist heute auf jeden Fall mehr Musik im Markt. Es entstehen viele neue Visualisierungsideen durch den zunehmenden Wettbewerb. Das sehen wir eher als Zeichen, dass wir im richtigen Markt unterwegs sind.“ Eine Blase oder einen künstlichen 3-D-Hype sieht Röhner nicht, im Gegenteil: „Die Stereowelt steht meiner Meinung nach erst am Anfang.“ Und das, so der Kino- und Fahrradfan, gelte sowohl im Entertainment als auch in der Business-Welt. „Das lässt sich gar nicht mehr trennen, denn Emotionen spielen inzwischen bei allen Produkten eine immer größere Rolle.“ SIMONE FASSE
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