Werkzeugmaschinenbranche sieht Entwicklung in Sachen Elektromobilität gelassen
Elektromobile sind derzeit politisch gewünscht. Die Automobilindustrie stellt jetzt schon die Weichen für eine neue Fahrzeugära. Schnelle Veränderungen erwarten die Hersteller von Werkzeugmaschinen allerdings nicht und fahren daher zweigleisig. VDI nachrichten, Düsseldorf, 19. 2. 10, ciu
Nahezu alle Automobilhersteller planen derzeit Elektroautos oder haben bereits erste Modelle vorgestellt. Auch für die Werkzeugmaschinenbranche sind damit Veränderungen absehbar. „Im Produkt Elektrofahrzeug werden eine Vielzahl von mechanischen Komponenten teilweise oder komplett entfallen“, stellte Prof. Reimund Neugebauer, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) Ende 2009 auf einer Tagung fest. Laut dem neuen Präsidenten der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik (WGP) handle es sich aber nicht um einen schnellen Umstieg, sondern um einen langsamen Übergang mit Hybrid-Zwischenlösungen.
Dieter Kollmar, Geschäftsführer der Emag Gruppen-Vertriebs- und Service GmbH aus Salach, stellte dazu kürzlich fest: „Hybridsysteme bieten Werkzeugmaschinenherstellern kurzfristig viele Möglichkeiten, Fertigungssysteme zu verkaufen.“ In den Pkw kämen zwar schwächere Verbrennungsmotoren zum Einsatz, doch würden für den Elektroantrieb zusätzlich Kopplungen und Kupplungselemente benötigen. Die Anzahl mechanischer Komponenten bei Hybridsystemen und damit zerspanend gefertigte Komponenten bliebe daher nahezu gleich.
Auch Hersteller von Werkzeugmaschinen zum Fertigen von Getrieben stehen nicht zwangsweise vor dem Aus. Das meint zumindest Bernd Vahlensieck von ZF Friedrichshafen. Für den Leiter Hybridentwicklung „wird die Verbrennungskraftmaschine auf absehbare Zeit weiterhin unverzichtbar bleiben“. Schritt für Schritt kämen zwar elektrischen Antriebe hinzu, doch es gäbe „sicher auch weiterhin noch neue Generationen von Getrieben.“ Als Irrglaube bezeichnete er die Aussage, dass Hybridfahrzeuge auf Getriebe oder Nebenaggregate verzichten könnten. Vahlensieck: „Hybridfahrzeuge werden weiterhin hocheffiziente Getriebe benötigen – nur dann lässt sich das Potenzial der Technik voll erschließen.“
Mehrheitlich wird ein schrittweiser Umstieg erwartet. Selbst die Audi AG, die ein Projekthaus „e-Performance“ gegründet hat, sieht die Elektromobilität nüchtern. Produktionsvorstand Frank Dreves: „Die klassische Werkzeugmaschine wird noch lange ein wichtiger Bestandteil der Produktionstechnik bleiben und muss daher auch in Zukunft technologisch weiterentwickelt werden. Dennoch bieten sich im Rahmen der Elektrotraktion neue Wertschöpfungsmöglichkeiten, auf die sich die Produktionstechnik einstellen muss.“
Aber auch das künftige reinrassige Elektroauto – Fachleute rechnen im Jahr 2020 mit einem Weltmarktanteil von 2 % bis 5 % – beunruhigt Werkzeugmaschinenhersteller wie Emag kaum. Beim Elektroauto würden zwar große Teile des Antriebsstrangs wegfallen, doch es gäbe neue Möglichkeiten im Bereich der rotatorischen Komponenten und der Gehäusefertigung. Kollmar: „Werkzeugmaschinen von morgen müssen auf die Bearbeitungsanforderung konfiguriert werden.“ Denn die Automobilbranche könne nur mit optimal angepassten Fertigungssystemen Komponenten für die Antriebe der Elektroautos kostengünstig und in hoher Qualität herstellen.
Die künftigen E-Mobile krempeln aber nicht nur die Welt in Sachen Zerspanung um, sondern in besonderem Maße auch die Umformtechnik. Die Elektromobilität erfordert nämlich nicht nur neue Antriebe, sondern teilweise auch neue Karosserien. „Die Konstruktion und Struktur werden sich gewaltig verändern“, prognostiziert beispielsweise Frank Löschmann, Geschäftsführer Technik der VW Sachsen GmbH. Es geht z. B. um die Frage, wie ein Unterboden für die schwere Hochspannungsbatterie gestaltet sein muss.
Eine fertigungstechnische Antwort darauf ist das „Tailored Tempering“, das ThyssenKrupp im Rahmen seines Projekts InCar perfektioniert hat. Mit diesem weiterentwickelten Warmumformprozess lassen sich Bauteile mit lokal unterschiedlichen Festigkeits- und Dehnungseigenschaften aus einem einzigen Warmumformstahlblech fertigen. Ulrich Jaroni, Mitglied des Vorstands der ThyssenKrupp Steel Europe: „Wir schaffen mit InCar den entsprechenden Platz und kommen so den Automobilherstellern bei Elektro- und Hybridkonzepten entgegen.“ NIKOLAUS FECHT
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